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Tradition1.pdf (Download) - Medienwissenschaft - HU Berlin

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Schrift zum Druck den Spruch des Horaz buchstäblich wahr:<br />

"Monumentum aere perennius ...". Tatsächlich aber führt die<br />

selektive oder kontingente Überführung von Handschriften in<br />

Buchdruck zur damit einhergehenden sukzessive Zerstörung<br />

handschriftlicher Vorlagen, zu Traditionsverlust.<br />

1811, inmitten der Mobilisierung geistiger Energien in<br />

Deutschland gegen den Besatzer Napoleon, verfaßt der Verleger<br />

Perthes ein Schriftstück, dessen Einleitung die deutsche<br />

Literatur und mithin Kultur überhaupt als Funktion ihres<br />

technischen Dispositivs, und dynamisch ihrer<br />

Übertragungsmedien, bestimmt: Es sei nötig, die Geschichte des<br />

deutschen Buchhandels zu entwickeln, da "ohne demselben <br />

keine deutsche Litteratur bestände und somit nicht die Stufe<br />

der geistigen Cultur, worauf die deutsche Nation steht" 154 . Der<br />

Geist also weht nur, wo Infrastruktur von Buchstaben ist.<br />

Gerade als Netzwerk ersetzt der Buchhandel die fehlende<br />

Kulturzentrale.<br />

Die Archäologie eines Deutschen Gesamtkatalogs geht bis auf<br />

Goethes 1795er Einsicht zurück, im Herzogtum Weimar das, was<br />

an realen Büchern in zerstreuten Bibliotheken nicht an einem<br />

zentralen Ort zusammenzubringen war, durch „virtuale<br />

Vereinigung“ im Medium Gesamtkatalog zu verknüpfen 155 . Die<br />

virtuelle Zentralisierung 156 der preußischen Bibliotheken durch<br />

Bereitstellung von Katalogzweitexemplaren in der Königlichen<br />

Bibliothek zu <strong>Berlin</strong> nach Plänen um 1900 hat genau dies<br />

leisten sollen; mit dieser logistischen Virtualität<br />

korrespondiert die deutsche Einrichtung der Fernleihe, die<br />

anstelle einer denkbaren nationalen Buchkonzentration auf die<br />

<strong>Berlin</strong>er Königliche Bibliothek die deutsche<br />

Bibliothekslandschaft in Zerstreuung beließ. Nicht die realen<br />

Buchkörper, sondern ihre Metadaten werden in <strong>Berlin</strong><br />

zusammengeführt; die dortige Zentralstelle weist nicht so sehr<br />

die Orte, sondern die genauen Titel gesuchter Bücher nach -<br />

eine nachrichtentechnische Verlagerung vom Ort des Speichers<br />

auf seine Adressierung als Bedingung der Übertragbarkeit von<br />

Information. 157<br />

Perthes´ formuliert sein Plädoyer für den deutschen Buchhandel<br />

in Begriffen, die ein solches Netz - ganz im Sinne des<br />

154<br />

Zitiert nach dem Abdruck im Börsenblatt Nr. 132 v. 9. Juni 1884 = Perthes 1995: 81f<br />

155<br />

Goethes Vortrag vor der Weimarer gelehrten Freitagssozietät unter dem Titel: Über die verschiedenen Zweige<br />

der hiesigen Tätigkeit, zitiert nach: Eugen Paunel, Goethe als Bibliothekar, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen,<br />

Jg. 63, Heft 7/8 (Juli/August 1949), 235­269 (259); Paunel kommentiert: „Es fällt hier die bis dahin in der<br />

Bibliothekssprache nicht übliche Bezeichnung `virtualiter´, die man besser versteht, wenn man sie durch das der<br />

griechischen Sprache entlehnte Fremdwort `dynamisch´ ersetzt“ (260) ­ was man noch besser versteht, wenn<br />

diese Dynamik an einen elektromechanischen Stromkreis angeschlossen ist. Virtual im Sinne von<br />

Platzhalterschaft für künftige Eintragungen durch weiße Zwischenblätter ist Goethes konkreter Plan für die Form<br />

des (Gesamt­)Katalogs vom 23. Mai 1798: Siehe Karl Georg Brandis, Goethes Plan eines Gesamtkatalogs der<br />

weimarischen Bibliotheken, in: Jahrbuch der Goethe­Gesellschaft 14 (1928), 152­165 (157)<br />

156<br />

Begriff in: Bernhard Fabian, Die Reform des preußisch­deutschen Bibliothekswesens in der Ära Althoff:<br />

Fortschritt oder Weichenstellung in eine Sackgasse, in: xxx, 425­441 (429)<br />

157<br />

Richard Fick, Die Zentralstelle der Deutschen Bibliotheken (Das <strong>Berlin</strong>er Auskunftsbureau und der<br />

Gesamtkatalog), in: Commission permanente des Congrès internationaux des Archivistes et des Bibliothécaires,<br />

Congrès de Bruxelles 1910. Actes, hg. v. J. Cuvelier / L. Stainier, Brüssel 1911, 399­449 (410)<br />

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