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Tradition1.pdf (Download) - Medienwissenschaft - HU Berlin

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ou de son inapparence, de sa garde capitalisante". 254 Wenn<br />

Kultur eine Funktion ihrer Speicher ist, stellt sich die<br />

Frage, ob das, was sich nicht archiviert, was nicht Eingang in<br />

den (Schrift-)Speicher findet, nicht teil der Kultur ist -<br />

etwa die erotischen Notizen. In Pompeji hat erst die<br />

Archäologie die Graffiti an den Häusern der Prostituierten<br />

zutage gefördert, die im Korpus der kanonisierten Klassiker<br />

nicht vorkommt. Ex negativo, am Rande des Ausschlusses, werden<br />

solche Literaturen mitüberliefert; dasselbe gilt für die<br />

erotischen Minneparodien im Mittelalter. 255 Zum anderen aber<br />

wird mehr überliefert, als es scheint - eine Frage der<br />

Aufmerksamkeit und der selektiven Filter kanonischer Lektüre,<br />

nicht Überlieferung. Worauf die Philologie nicht schaut, ist<br />

literarischer Abfall; man braucht ihn nur aufzulesen.<br />

Adorno und Horkheimer geben Einsicht in die Ambivalenz einer<br />

medialen Bestimmung des Kulturbegriffs (Medienkultur als Frage<br />

nach den Medien der Kultur):<br />

Von Kultur zu reden war immer schon wider die Kultur. Der Generalnenner Kultur enthält virtuell bereits die<br />

Erfassung, Katalogisierung, Klassifizierung, welche die Kultur ins Reich der Administration hineinnimmt. Erst<br />

die industrialisierte, die konsequente Subsumption, ist diesem Begriff von Kultur ganz angemessen. 256<br />

Tradition und technische Zensur stehen im Verbund:<br />

Denn nur der universale Sieg des Rhythmus von mechanischer Produktion und Reproduktion verheißt, daß nichts<br />

sich ändert, nichts herauskommt, was nicht paßte. Zusätze zum erprobten Kulturinventar sind zu spekulativ. Die<br />

gefrorenen Formtypen wie Sketch, Kurzgeschichte, Problemfilm, Schlager isnd der normativ gewandte, drohend<br />

oktroyierte Durchschnitt des spätliberalen Geschmacks. Es ist, als hätte eine allgegenwrätige Instanzt das<br />

Material gesichtet und den maßgebenden Katalog der kulturellen Güter aufgestellt, der die lieferbaren erien<br />

bündig aufführt. Die Ideen sind an den Kulturhimmel geschrieben, in dem sie bei Platon schon gewählt, ja<br />

Zahlen selbst, unvermehrbar und unveränderlich beschlossen waren. <br />

Schließlich ist auch die scheinbare übergreifende Idee nichts<br />

als eine "Registraturmappe"; sie stiftet Ordnung, nicht<br />

Zusammenhang. Archiv und Kulturindustrie stehen also im<br />

Bündnis (so das UNESCO-Programm Memory of the World, das im<br />

Wesentlichen ein Register darstellt); am Rande kommt<br />

Kulturwissenschaft damit kritisch ins Spiel.<br />

Die Blindheit und Stummheit der Daten, auf welche der Positivismus die Welt reduziert,geht auf die Sprache<br />

selber über, die sich auf die Registrierung jener Daten beschränkt. sei es, daß der Name der Diva im Studio<br />

nach statistischer Erfahrung kombiniert wird." <br />

Joseph Beuys hat es einmal auf die Formel gebracht: "Name ist<br />

gleich Adresse." Differenzierter dazu Horheimer und Adorno:<br />

"Der Name überhaupt, an den Magie vornehmlich sich knüpft,<br />

unterliegt heute einer chemischen Veränderung" - geschrieben<br />

in Goethes Wahlverwandtschaften (Otto / tot / Ottilie). "Er<br />

verwandelt sich in willkürliche und handhabbare Bezeichnungen,<br />

deren Wirkkraft nun zuwar berechenbar, aber gearde darum<br />

ebenso eigenmächtig ist, wie die des archaischen" .<br />

254<br />

Jacques Derrida, Pour l'amour de Lacan, in: Collège International de Philosophie (Hg.), Lacan avec les<br />

philosophes, Paris 1991, 401<br />

255<br />

Gabi Herchert, "Das Ding täte ich ihr gern viel". Minnesang und erotische Minneparodien im Mittelalter, in:<br />

quadratur. Kulturzeitschrift, 2. Jg., Heft Nr. 2, 14­19<br />

256<br />

Max Horkheimer / Theodor W. Adorno, Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug, in: dies., Dialektik der<br />

Aufklärung [*1944], Frankfurt/M. 1986, 108­150 (118)<br />

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