Tradition1.pdf (Download) - Medienwissenschaft - HU Berlin
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als staatliches Metallgeld hat die Nebenfunktion eines<br />
Nachrichten- und Massenkommunikationsmittels; die Prägung<br />
nimmt den Buchdruck vorweg. "Von diesem Doppelcharakter der<br />
Münze hängt ihr historischer Quellenwert ab.“ 216<br />
Im Fall von Traditionsquellen schließt sich der hermeneutische<br />
Verstehenshorizont: Der Quellenzweck des Senders und die<br />
Quellennutzung durch den Historiker, der sich an die Stelle<br />
des Adressaten setzt, decken sich, "während bei den Überresten<br />
beide in der Regel auseinanderklaffen“ .<br />
Eine Traditionsquelle läßt bewußter den Zusammenhang erkennen:<br />
„Denn sie erzählt, berichtet ja historisch“ - im Medium<br />
der Narration. Ist Narration das Medium der Tradition „The<br />
narrative (= Tradition), without documents, is at least<br />
intelligble, the documents (= Überrest) would be hardly<br />
intelligble without some narrative“, schreibt E. A. Freeman<br />
.<br />
Während der Überrest meist einer „Momentaufnahme“ gleicht, nur punktförmig erhellt, ist die Traditionsquelle<br />
einem Film zu vergleichen, der mit „beweglicherKamera“ Abläufe zeigt oder weiträumige Zustandsüberblicke zu<br />
geben vermag. <br />
Gegenüber historischen Photos ist der Film eine<br />
Narrativisierungsmaschine derselben (Habbo Knoch); er gibt<br />
ihnen einen Vektor und Kontext. Theoretiker des<br />
Dokumentarfilms wie Siegfried Kracauer schreiben dem Film ein<br />
die referentielle Illusion überbietendes Potential zu, nämlich<br />
die Fähigkeit, „die sichtbare – oder potentiell sichtbare –<br />
physische Realität nicht nur wiederzugeben, sondern auch zu<br />
enthüllen“ (Joachim Paech).<br />
Tradition, postalisch: die Perspektive der Hermeneutik<br />
(purlointed letters)<br />
Hans-Georg Gadamer nennt alles Verstehen ein "Einrücken in ein<br />
Überlieferungsgeschehen" 217 ; damit erinnert er nolens volens an<br />
das mediale Dispositiv der Hermeneutik. Zunächst aber ist die<br />
Technik dieses "Einrückens" keine apparative, sondern eine<br />
rhetorische; was hier am Werk ist, heißt Supposition, die<br />
Unterstellung eines Adressaten:<br />
Derrida versteht Husserls ”Rückfrage” als eine Form der Mitteilung, in der man sich über einen Abstand hinweg<br />
nachträglich die Frage stellt, wie, warum und mit welcher Absicht uns eine Sendung ins Haus geschickt wurde<br />
. Die geschichtliche Überlieferung wird so den nie ganz reibungslos funktionierenden Systemen der<br />
”Telekommunikation” angeglichen . Es führt, in geometrischer Sprache ausgedrückt, kein Vektor vom<br />
Absender zum Empfänger. 218<br />
216<br />
Robert Göbl, Numismatik. Grundriß und wissenschaftliches System, München (Battenberg) 1987, 20<br />
217<br />
Zitiert von Thomas Wirtz, Traditionsunlust [über die Einstellung des Bochumer DiltheyJahrbuchs], in:<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 22. November 2000, Nr. 272, N5<br />
218<br />
Rudolf Bernet, Vorwort zur deutschen Ausgabe von: Jacques Derrida, Husserls Weg in die Geschichte am<br />
Leitfaden der Geometrie [*Paris 1962], München (Fink) 1987, 11-30 (16)<br />
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