Tradition1.pdf (Download) - Medienwissenschaft - HU Berlin
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Unterschied zu Spolien als unintendierten „Überresten“, also<br />
dem Unbewußten der Tradition (im Sinne Bernheims / Droysens),<br />
eine<br />
Form der Tradierung, bei der materielle Zeitzeugnisse (Texte, Bilder, Tonträger, Gebrauchsgegenstände usw.) in<br />
einem Behältnis verschlossen hinterlegt werden. Öffnungszeitpunkt und Adressaten einer Z. können vorbestimmt<br />
sein oder offen bleiben. Z.n sollen ihren Inhalt zum einen materiell konservieren, zum andren zeitweilig dem<br />
Zugriff entziehen und die Kette lebendiger Tradierung unterbrechen 97<br />
- denn nur im Entzug aus der Ökonomie der Tradition entsteht<br />
mögliche künftige Information. Bibliotheken halten Wissen vor,<br />
das damit als Maßeinheit für potentielle Information definiert<br />
ist:<br />
Der Witz ist, daß sich in der Bibliothek Gelesenes zu Ungelesenem verhält. Das Speichern ist daher zunächst ein<br />
Aufbewahren auf unbestimmte Zeit und keine Lagerhaltung, die auf einen prompten Abruf zielt . Es ist diese<br />
kleine Differenz, die die Bibliothek eben nicht zu einem Übertragungsmedium oder Kanal macht, sondern das<br />
Übertragen aussetzt. An diesem Punkt des Aussetzens geschieht aber das Neue: daß man a) stutzt und b)<br />
etwas Neues findet, nämlich etwas ganz Altes, was schon lange da war, aber immer übersehen wurde, weil es von<br />
den Datenströmen, an die man sich gewöhnt hatte, überdeckt worden war. 98<br />
Womit die Bibliothek nach dem Prinzip des Luhmannschen<br />
Zettelkasten als Generator von unerwartetem Wissen, also<br />
Information definiert und mithin der Raum des Katechontischen<br />
eröffnet ist.<br />
Wissen ist Erfahrung, die sich tradiert und verfügbar ist.<br />
"Für die Weitergabe von Erfahrenem und von Erkenntnissen<br />
reicht das gesprochene Wort. Grundlage der Wissenschaft ist<br />
jedoch die Schrift." 99 Wissen lebt von Weitergabe und<br />
Rekombination 100 , ist dabei aber weniger eine soziale denn eine<br />
informationstheoretische Größe. Information, so Jürgen<br />
Mittelstraß, ist die Art und Weise, in der das Wissen sich<br />
transportabel macht, also eine Kommunikationsform über einen<br />
Kanal. 101<br />
Eine Inkunabel aus dem Bestand der Bibliothek der <strong>Berlin</strong>er<br />
Humboldt-Universtität, also ein spätmittelalterlicher<br />
Erstdruck eines Manuskripts nach Erfindung des Buchdrucks,<br />
ging in den 1930er Jahren zum Buchbinder; nach der<br />
Rücklieferung wurde bei der Neueinschreibung der<br />
Bibliothekssignatur versehentlich ein Buchstabe falsch<br />
notiert. Mit der unerbittlichen Logik der Magazinbibliotheken,<br />
wo es mit der diskreten Logik symbolischer Signaturen (denn im<br />
altgriechischen Sinn des symbolon muß hier in der Tat die auf<br />
dem Bestellzettel des Lesers notierte Signatur im realen<br />
97<br />
Jens Ruchatz, Eintrag „Zeitkapsel“, in: Pethes / ders. (Hg.) 2001: 663f<br />
98<br />
e-mail Uwe Jochum, Universitätsbibliothek Konstanz, 14. Mai 1998<br />
99<br />
Hendrik Budde / Bernd Graff, Wissenswertes. Wegweiser durch die Ausstellung, in: Budde / Sievenich (Hg.)<br />
2000: 16- (16)<br />
100<br />
Gero von Randow, Know-how für alle! , in: Die Zeit v. 8. Juni 2000, 33f (34)<br />
101<br />
Paraphrasiert hier von: Dieter Simon, Wissen ohne Ende [Vortrag anläßlich der 120. Versammlung der<br />
Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte e.V. an der Humboldt-Universität zu <strong>Berlin</strong> am 21. September<br />
1998], in: Rechtshistorisches Journal Bd. 18 (1999), 147-166 (157f)<br />
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