Tradition1.pdf (Download) - Medienwissenschaft - HU Berlin
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Erfindung auf naturwissenschaftlichem und technischem Gebiet<br />
sei, sondern „als ein lebendiger Organismus alle seine<br />
Glieder“ umfasse. 61 Vergleichen wir damit die Archivdiskussion<br />
im 19. Jh., wo organizistische Metaphern vom Archivkörper<br />
fröhliche Urstände feierten. Das Regulativ für die preußischen<br />
Staatsarchive von 1881 hat diese Relation festgeschrieben,<br />
doch eine Behördenvorschrift schafft noch keine<br />
Gedächtnisenergie. Dies geschieht erst in der Kopplung dieser<br />
Vorschrift an epistemische „Geltung und Autorität“ 62 , den<br />
Diskurs der Geschichte, der als Organismus verbrämt, was<br />
System ist - korrespondierend mit der Definition der<br />
Archivalie durch „das organische Prinzip der Besonderheit“<br />
(Meisner), das in dem Moment aufgehoben ist, wo sie das<br />
Trägermedium wechselt. 63<br />
In den sogenannten Lebenswissenschaften waren es Figuren wie<br />
Charles Darwin und Ernst Haeckel, welche „das Lebendige“ dem<br />
Zugriff mathematisch-physikalischer Theoretisierung (2.<br />
Hauptsatz der Thermodynamik) zu entziehen suchten; der<br />
indische Physiker Apoorva Patel beschreibt es so:<br />
Organismen bestehen weder aus völlig regulären, festkörperhaften, noch aus restlos freibeweglichgasförmigen<br />
Arrangements. Dadurch werden die üblichen Werkzeuge der Physik Gleichgewichtsdynamiken, axiomatisches<br />
Schließen, periodische Strukturen und Störungstheorien weitgehend nutzlos. 64<br />
Möglich war diese Sicht nur im schriftstellerischen Modell des<br />
„Lebenserzählens“; dem gegenüber steht die „Informatiknähe<br />
neuer Lebenswissenschaften wie der Genomik, vertreten etwa<br />
durch Dawkins, worin sich Leben in Rechenanweisungen<br />
aufzulösen beginnt .<br />
Damit zurück zur Memetik, also dem Modell<br />
gedächtnisübertragender Einheiten kultureller Evolution, als<br />
Äquivalent des Gens als sich replizierender Einheit der<br />
biologischen Evolution. In der Sprache der Informatik<br />
entsprechen Meme den genetischen Algorithmen oder quasiintelligten<br />
Knowbots:<br />
Meme sind alle Arten von Informationsmustern, die in der menschlichen Kultur überliefert werden, z. B.<br />
Schlagwörter, Erfindungen, Überzeugungen, Melodien (# Ohrwurm) oder Geschichten. Diese # Überlieferung<br />
vollzieht sich als Replikation der Einheiten, die Meme sind als Replikatoren ihre eigentlichen Akteure. Menschen<br />
erscheinen lediglich als Vehikel der Meme. Erfolgreiche Meme modifizieren das Verhalten ihrer Vehikel<br />
dergestalt, daß sie repliziert werden. Eine gute Geschichte wird weiter erzählt, eine eingängige Melodie wird im<br />
Radio gespielt und auf der Straße gepfiffen, der Handschlag setzt sich als Begrüßungsform in einer Kultur durch.<br />
61<br />
Zitiert von Conrad Matschoss in der Einleitung zu ders. (Hg.), Das Deutsche Museum. Geschichte, Aufgaben,<br />
Ziele, <strong>Berlin</strong> / München (VDI-Verlag / Oldenbourg) 1925, 6<br />
62<br />
Carl Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form, München 1925, 24; dazu Peter Berz, Der<br />
deutsche Normenausschuß. Zur Theorie und Geschichte einer technischen Institution in: Armin Adam / Martin<br />
Stingelin (Hg.), Übertragung und Gesetz. Gründungsmythen, Kriegstheater und Unterwerfungsstrategien von<br />
Institutionen, <strong>Berlin</strong> (Akademie) 1995, 221-236 (228)<br />
63<br />
Fußnote Meisner 1955: 174: „Von den Perspektiven des Mikrofilm sehe ich dabei ab“; Mikrofilm macht<br />
archivische Unikate nicht nur reproduzierbar, sondern auch in einer bibliotheksvertrauten Weise vernetzbar, wie<br />
es Vannevar Bush 1945 in Form eines maschinellen Memory extender angedacht hat.<br />
64<br />
Zitiert nach: Dietmar Dath, Darwins Testament, über: Jay Gould, The Structure of Evolutionary Theory<br />
(2002), in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 83 v. 10. April 2002, 47<br />
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