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Tradition1.pdf (Download) - Medienwissenschaft - HU Berlin

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Die Post meint die räumliche Übertragung einer Nachricht. Das<br />

„post“ als lateinisches Adverb aber meint neben der räumlichen<br />

Bedeutung („hinten/nach“) auch das zeitliche „hernach,<br />

darnach, nachher“.<br />

Die postalische Unterstellung der Tradition findet ihr Modell<br />

in einer Epistemologie als Epitolologie. Kulturhistorie geht<br />

von Ursprüngen aus, welche auf die Gegenwart zulaufen,<br />

so daß die heutige Wissenschaft immer bis zu einem gewissen Grad schon in der Vergangenheit angekündigt ist.<br />

Der Epistemologe geht vom Aktuellen aus und auf seine Anfänge zurück, so daß nur ein Teil dessen, was sich<br />

gestern als Wissenschaft ausgab, bis zu einem gewissen Grad als durch Gegenwart begründet erscheint. 234<br />

Gadamer erinnert an die Ekstase dieses Verfahrens:<br />

Z. B. dort, wo ein Text einen ganz bestimmten Adressaten hat, etwa den Partner des Vertrages, den Empfänger<br />

der Rechnung oder des Befehls. Hier kann man sich wohl, um den Sinn des Textes ganz zu verstehen, sozusagen<br />

an die Stelle des Adressaten versetzen, und sofern diese Versetzung bewirken soll, daß der Text seine volle<br />

Konkretion gewinnt, kann man auch dies als eine Leistung der Interpretation anerkennen. 235<br />

Wenn der Priester in der Kirche das Evangelium verlesen läßt,<br />

etwa die Briefe des Apostels Paulus an die Thessalonicher,<br />

tritt die Gemeinde an diese systemische Stelle.<br />

Aber solche Versetzung in den ursprünglichen Leser (Schleiermacher) ist etwas ganz anderes als Applikation. Sie<br />

überspringt gerade die Aufgabe der Vermittlung von Damals und Heute , die wir mit Applikation meinen<br />

und die etwa auch die juristische Hermeneutik als ihre Aufgabe erkennt. <br />

Im Begriff der "Vermittlung von Damals und Heute" ist die Medialität des Prozesses schon<br />

mitgesprochen. Vermittlung aber bedarf der Interfaces, und an<br />

diesen Stellen kommt es zur prosopopoietischen Illusion. Seit<br />

diese Worte sich schrieben, ist Gadamer im März 2002<br />

verstorben. Welchen Unterschied macht dies bei der Zitierung<br />

seiner Werke Stand und steht die Art und Weise, wie Wahrheit<br />

und Methode längst in die sogenannte geistesgeschichtliche<br />

Tradition eingegangen ist, in einem asymmetrischen Verhältnis<br />

zum (Über-)Leben des Autors „Jedes Gespräch setzt eine<br />

gemeinsame Sprache voraus“ (Gadamer). „Mit einem Abwesenden<br />

aber kann man nicht sprechen“ (Goethe).<br />

Die Materialität der Kabel und Leitungssysteme über Land wie<br />

unter See zeitigt im 19. Jahrhundert Experimente, die<br />

Verwundbarkeit der Übertragung durch drahtlose Telegraphie zu<br />

umgehen.<br />

1898, im spanisch­amerikanischen Krieg, brauchten die Vereinigten Stsaaten nur im Süden Floridas ein<br />

Unterseekabel zu unterbechen, das Spanien mit seiner vorletzten Kolonie Kuba verband, um eine zum Schutz<br />

Havannasausgelaufene Flotte ihrem Verderben auszuliefern. Am 2. August 1914, dem zweiten Tag des Ersten<br />

234<br />

Georges Canguilhem, Die Geschichte der Wissenschaften im epistemologischen Werk Gaston Bachelards, in:<br />

ders., Wissenschaftsgeschichte und Epistemologie, übers. v. Michael Bischoff u. Walter Seitter, hg. v. Wolf<br />

Lepenies, Frankfurt/M. (Suhrkamp) 1979, 7-21 (12)<br />

235<br />

Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik [*1960],<br />

Tübingen (Mohr) 4. Aufl. 1975, 316<br />

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