Tradition1.pdf (Download) - Medienwissenschaft - HU Berlin
Tradition1.pdf (Download) - Medienwissenschaft - HU Berlin
Tradition1.pdf (Download) - Medienwissenschaft - HU Berlin
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Denn Information ist weder Materie noch Energie (Norbert<br />
Wiener). Doch impliziert die Übertragungsmetapher "zu viel<br />
Ontologie" nur dann, wenn der Akzent auf der Metaphorik liegt.<br />
Tatsächlich aber ist dieser tautologische Begriffe der<br />
"Übertragungsmetapher" ein Hinweis auf die Anwesenheit von<br />
Kanälen in jedem Kommunikationsakt, also das Spiel von<br />
Rauschen und Signal, von System und Umwelt.<br />
Der Prozeß, der die Übertragungen von im Gedächtnis einer Generation enthaltenen Informationen in das<br />
Gedächtnis der nächsten erlaubt, kann als Kernfrage der menschlichen Kommunikation überhaupt angesehen<br />
werden. Beispielsweise werden "Geräusche" d. h. Elemente, die bei der Übertragung in die Botschaft<br />
eindringen, ohne im Repertoire der Codes enthalten zu sein im Fall der "natürlichen" Kommunikation zu<br />
sogenannten "Mutationen", während sie im Fall der "kulturellen Kommunikation" dem Kommunikationsprozeß<br />
überhaupt erst seine Berechtigung geben, ihn "fortschrittlich" machen. 182<br />
Quanteninformation beruht durch die immediate Verschränkung<br />
entfernter Teilchen scheinbar rauschfreie Kommunikation,<br />
Übertragung ohne Kanal. Doch in reale Makrosysteme<br />
implementiert, kommt es zur Dekohärenz der Verschränkung und<br />
erfordert Verifikation der Nachrichten über klassische<br />
Übertragungskanäle. Genau diese Dekohärenz sucht die<br />
Quantenkryptographie durch Segmentierung der Wegstrecken zu<br />
überbrücken - Rückkehr der Relais, der Pferdewechselstationen<br />
antiker Botensysteme.<br />
Luhmann weist den Begriff von Kommunikation als "Gabe" zurück.<br />
Die Metaphorik des kulturellen Erbes (Goethe: "erwirb es, um<br />
es zu besitzen") aber unterstellt ein ökonomisches Dispositiv,<br />
eine Logik der Gabe. Gegenüber der Übertragung als das Wesen<br />
der Kommunikation akzentuiert Luhmann die Operation der<br />
Mitteilung als Selektionsvorschlag. Womit Tradition eher in<br />
Begriffen der Nachrichtentheorie denn der Hermeneutik zu<br />
fassen wäre: "Wir müssen deshalb zunächst die Terminologie<br />
reorganisieren" . Luhmann referiert einen<br />
Begriffsvorschlag von Johann Jakob Wagner, Philosophie der<br />
Erziehungskunst, Leipzig 1803, 55: "Alle Mitteilung ist<br />
Erregung." Nervenphysiologie steht zur Analyse solcher<br />
zeitkritischer Prozesse dereit (Hermann von Helmholtz); am<br />
Ende steht eine Signal-Ökonomie der Aufmerksamkeit (xxx<br />
Franck).<br />
Doch eine Übersetzung syetemischer Theorie auf zeitgedehnte<br />
Prozesse kann auf den Begriff der Übertragung nicht<br />
verzichten. Wenn Luhmann Kommunikation als "Prozessieren von<br />
Selektion" beschreibt, benennt er damit implizit die mediale<br />
Infrastruktur der kulturellen Überlieferung - die nämlich<br />
nicht primär kulturelle Semantik, sondern syntaktisch Daten<br />
prozessiert (Archive, Bibliotheken, Museen, Editionen).<br />
Dennoch reicht Luhmann der Gadamerschen Hermeneutik die Hand,<br />
wenn er betont, daß Kommunikation nicht auf den reinen Akt der<br />
Selektion aus einem Vorrat, einem Repertoire reduzierbar ist:<br />
182<br />
Vilém Flusser, Kommunikologie, Frankfurt/M. (Fischer) 1998, 309<br />
62