Ansichtsexemplar (KPB_MJ2014) - Kulturprojekte Berlin

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775 Jahre Berlin – Stadt der Vielfalt Ethnologisches Museum Koloniale Gaben Wie ein arabischer Mantel aus dem Oman nach Berlin kam »So gastfrei ist keiner und zum Geben geneigt, dass er Geschenke verschmäht, oder so wenig auf Erwerb bedacht, dass er Gegengabe hasst.«1 Ausgangspunkt der hier skizzierten Geschichte, die sich während der Objektrecherchen entfaltet hat, ist ein vornehmer arabischer Überwurf, der sich heute in der Sammlung des Ethnologischen Museums befindet. Das Inventarbuch vermerkt als Herkunftsort Maskat, die Hauptstadt des Oman, den Namen Habibu Ben Slim als Schenker und das Ober-Hofmarschallamt seiner Überwurf aus der Sammlung Habibu Ben Slim, Maskat, Oman, 1912. Länge: 130 cm, Breite: ca. 135 cm. Ethnologisches Museum. © Ethnologisches Museum SMB. Foto: Martin Franken Zwei Perlencolliers aus der Sammlung Habibu Ben Slim, Maskat, Oman, 1912. Länge: 60 cm. Ethnologisches Museum. © Ethnologisches Museum SMB. Foto: Martin Franken Majestät des Kaisers und Königs Wilhelms II. als Übereigner des Objektes an das Museum für Völkerkunde im Jahr 1912. Diese wenigen, aber bemerkenswerten Daten geben Anlass zu weiterführenden Fragen: Weshalb und mit welchen Anliegen verbunden wird ein Überwurf aus Oman nach Deutschland versendet Was verbindet die beiden Hauptstädte Maskat und Berlin Der mantelartige, mit Ärmelschlitzen versehene Überwurf, »Bisht« genannt, wird von Männern getragen. Er besteht aus zwei aus feinster Wolle gewebten Bahnen. Eine horizontale Mittelnaht verbindet beide Gewebebahnen an deren Längsseite zu einem Kleidungsstück. Silberund goldglänzende Metallborten verzieren Ärmelschlitze und stabilisieren das Gewand an Schultern und Öffnungsseiten. Die prächtige, 2 4 | M U S E U M S J O U R N A L 4 / 2 0 1 2
Ethnologisches Museum | 775 Jahre Berlin – Stadt der Vielfalt flächenfüllende Metallstickerei auf beiden Vorderseiten und der breite Schmuckstreifen auf der Rückseite machen deutlich, dass der neue und ungetragene Überwurf für einen wohlhabenden und vornehmen Mann vorgesehen war. Solche wertvollen Überwürfe wurden vor allem von Würdenträgern zu offiziellen Angelegenheiten getragen oder auch als Geschenk, z.B. an politisch Verbündete, überreicht. Unser Überwurf war für keine geringere Person bestimmt als für den preußischen Kaiser und König Wilhelm II. Zusammen mit Perlencolliers, Gürteln, einer goldenen Medaille, einer geografischen Karte zu den Küsten von Maskat und des Oman sowie mit Granatäpfeln, Nüssen und Datteln und in insgesamt elf Kisten verpackt, gelangte er Anfang 1912 nach Berlin. Über die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft erreichten die Kisten das Auswärtige Amt, das die Sendung an das Ober-Hofmarschallamt weiterleitete.2 Dort angekommen wurden der Überwurf, Perlencolliers und Gürtel an das Museum für Völkerkunde überwiesen. Dies war bereits die zweite Geschenk-Sendung, die Wilhelm II. von Habibu Ben Slim erhielt. Die Akten geben leider keine weiteren Hinweise zur näheren Identität des Habibu Ben Slim. Möglicherweise war er ein wohlhabender arabischer Händler, der den preußischen Kaiser mit der Sendung von Granatäpfeln, Nüssen und Datteln auf die wichtigsten omanischen Handelsgüter aufmerksam machen und eine wirtschaftliche Beziehung zum Deutschen Reich errichten wollte. Diese Vermutung wird dadurch unterstrichen, dass die erste Geschenksendung aus vier Kisten Datteln bestanden hatte. Obwohl die Geschenke an den preußischen Kaiser gerichtet waren, scheute sich Habibu Ben Slim nicht, seine Gaben mit der ausdrücklichen Bitte um Gegengaben zu verbinden. Während man seiner Bitte um zwei großformatige Fotografien von Wilhelm II. bei der ersten Sendung nachkam, wurde seinem in bestem Französisch formulierten Gesuch, das er mit der zweiten Sendung verband, nicht stattgegeben. Seinem Brief vom 11. Dezember 1911 ist die deutliche Absicht zu entnehmen, sich durch das Geschenk einer goldenen Medaille in den Dienst des Deutschen Reiches zu stellen: »Sa Majesté trouvera Hermann Burchardt, Maskat, 1904. Fotografie. Ethnologisches Museum © Ethnologisches Museum SMB dans la même caisse la médaille en or que je prie Sa Majesté de vouloir bien la faire remplacer par une décoration officielle quelconque«3. In einem Schreiben vom 29. März 1912 an das Ober-Hofmarschallamt äußert das Auswärtige Amt Bedenken gegen die Annahme der Medaille aus Gold und schlägt sogar eine Rückgabe an Habibu Ben Slim vor: »Gegen die Annahme der an sich nicht wertvollen Geschenke durch Seine Majestät sind meinerseits Bedenken nicht zu erheben, nur wurden mit der Darbietung der goldenen Medaille gewisse Ansprüche (Übertragung der Reichsvertretung) verbunden, deren Erfüllung sich aus politischen Gründen nicht empfiehlt. Ich möchte daher vorschlagen, die Medaille durch mich an den Araber zurückgelangen zu lassen«4. Verfolgte Habibu Ben Slim neben möglichen wirtschaftlichen Zielen auch politische Absichten 1911 hatte England seine Herrschaft über den Oman im Rahmen seines Protektorats stark gefestigt.5 Zum englischen Herrschaftsbereich gehörte auch die Insel Sansibar, die zusammen mit dem ihr vorgelagerten Festlandstreifen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts dem omanischen Sultan unterstanden hatte. Insel und Küstenstreifen waren von einer arabischen Bevölkerung dominiert, die insbesondere den Handel bestimmte. Hier ergeben sich Berührungspunkte mit der Kolonie Deutsch-Ostafrika des Deutschen Reiches. Zwar war Sansibar nie Bestandteil der Kolonie, wohl aber der ihr vorgelagerte Küstenstreifen, der jedoch 1890, als das Deutsche Reich und die britische Krone im Helgoland-Sansibar-Vertrag die Grenzen ihrer ostafrikanischen Kolonien regelten, an Sansibar abgetreten wurde. Der Sitz der Deutsch-Ostafrikanischen Kolonisationsgesellschaft, über die Habibu Ben Slim seine Schenkung versandt hatte, war in Dar es Salaam, Tansania. Schlussbemerkung: Wir wissen nicht, ob es zur Rückgabe der Medaille wirklich gekommen ist. Sicher ist, dass keine weitere Korrespondenz existiert, und so können wir vermuten,dass die Rückgabe stattgefunden und zum Abbruch der Beziehungen zwischen Habibu Ben Slim und dem preußischen Kaiser geführt hat mit dem vorrangigen Ziel, die deutsch-britischen Beziehungen nicht zu gefährden. Ingrid Schindlbeck PD Dr. Ingrid Schindlbeck ist Leiterin des Referates Nordafrika, West- und Zentralasien am Ethnologischen Museum SMB. Anmerkungen 1 Strophe aus dem Hávámal, einer Spruchdichtung der skandinavischen Edda, zitiert nach Marcel Mauss, Die Gabe, Frankfurt a.M. 1968, S. 15. 2 Ich danke Kilian Schmidtner, der mich auf die im Geheimen Staatsarchiv befindlichen Briefe von Habibu Ben Slim und auf den Schriftverkehr zwischen Auswärtigem Amt, Ober-Hofmarschallamt und dem Völkerkundemuseum Berlin hinwies. 3 Aktensignatur Rep. 113/1171, Blatt 231. »Seine Majestät wird in derselben Kiste die Medaille aus Gold finden; ich bitte Seine Majestät sie durch eine offizielle Dekoration ersetzen zu wollen« (eigene Übersetzung). 4 Aktensignatur Rep. 113/1171, Blatt 227. 5 Hussein Gubash, Oman – The Islamic Democratic Tradition, London, New York 2006, S. 137–154. M U S E U M S J O U R N A L 4 / 2 0 1 2 | 2 5
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