Ansichtsexemplar (KPB_MJ2014) - Kulturprojekte Berlin
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Ausstellungen<br />
Stadtmuseum <strong>Berlin</strong> – Ephraim-Palais<br />
Johannes Grützke:<br />
»die ganze Welt in meinem Spiegel«<br />
Hannah-Höch-Preis des Landes <strong>Berlin</strong> 2012<br />
16. November 2012 bis 17. Februar 2013<br />
Johannes Grützke,<br />
Das Tablett, 1997. Öl auf<br />
Leinwand, 110 × 110 cm.<br />
Sammlung Jaeschke.<br />
© VG Bild-Kunst, Bonn 2012.<br />
Foto: Andreas Kunert<br />
Johannes Grützke, Benno<br />
Ohnesorg greift zum Gewehr,<br />
1968. Öl auf Leinwand,<br />
120 × 130 cm. Stiftung Haus<br />
der Geschichte der Bundesrepublik<br />
Deutschland, Bonn.<br />
© VG Bild-Kunst, Bonn 2012.<br />
Foto: Stiftung Haus der<br />
Geschichte der Bundesrepublik<br />
Deutschland, Bonn<br />
Grützkes Bilder gelten als »einzigartige, freilich<br />
extravagante Beiträge zu einer Gesellschafts- und<br />
Sittengeschichte der Bundesrepublik« (Eduard<br />
Beaucamp). Sie zeigen auf bizarre Weise banale<br />
Situationen und meinen existenzielle Zustände.<br />
Sie bedienen sich der Erhabenheit historischer<br />
Vorbilder und stehen in einem ironischen Verhältnis<br />
zu ihnen. Sie wirken realistisch, lassen<br />
aber bewusst alle Deutungen zu.<br />
Grützke (Jg. 1937) ist Maler, Zeichner, Grafiker<br />
und Plastiker, aber auch Musiker, Schriftsteller,<br />
Performer, Regisseur, Schauspieler, Bühnenbildner<br />
und Verleger. Seit 1965 ist er Mitglied<br />
des anarchisch-dadaistischen Musikensembles<br />
»Die Erlebnisgeiger«. 1973 gründete er mit Manfred<br />
Bluth, Matthias Koeppel und Karlheinz Ziegler<br />
in Anspielung auf Künstlerbünde des 19. Jahrhunderts<br />
die »Schule der Neuen Prächtigkeit«<br />
und verfasste das Theaterstück »Die Maßregelung<br />
auf dem Floß der Medusa«. 1979 begann die<br />
fast zwei Jahrzehnte andauernde Zusammenarbeit<br />
mit dem Regisseur und Intendanten Peter<br />
Zadek. Seit 1980 tritt er in Filmen von Robert van<br />
Ackeren, Wolf Gremm, Ulrich Schamoni, Werner<br />
Schroeter und Otto Waalkes auf. 1995 gründete<br />
Grützke mit Tilmann Lehnert den Goethe Verlag,<br />
1998 mit Christoph Haupt die Literaturzeitschrift<br />
»Der Prager«.<br />
Das Land <strong>Berlin</strong> ehrt ihn nun mit dem Hannah-Höch-Preis<br />
für sein Lebenswerk – und das<br />
Stadtmuseum <strong>Berlin</strong> mit einer Bilderschau, die<br />
über das bloße Dekor einer Preisvergabe weit hinausgeht.<br />
Es ist die erste Retrospektive Grützkes<br />
in seiner Heimatstadt seit 1974. Sie konzentriert<br />
sich zum einen auf das malerische Œuvre,<br />
zum anderen auf grafische Zyklen, entstanden<br />
ab den 1960er-Jahren bis heute. Die gezeigten<br />
Gemälde erlauben nicht nur einen Überblick<br />
über Grützkes stilistische Entwicklung, sondern<br />
veranschaulichen auch sein gesamtes thematisches<br />
Spektrum. Die ausgewählten Papierarbeiten<br />
konzentrieren sich auf erzählerische, buchkünstlerische<br />
und bühnenbildnerische Aspekte<br />
seines Werkes. Als Linolschnittfolge ist überdies<br />
Grützkes 1991 vollendetes Hauptwerk, der<br />
monumentale Zug der Volksvertreter von 1848<br />
in der Frankfurter Paulskirche, präsent.<br />
Zunächst begegnet man in zahlreichen Bildnissen<br />
Grützke selbst. Man erkennt ihn sofort an<br />
den abgerundeten Brillengläsern oder den charakteristischen<br />
Augenbrauen. Meist erscheint<br />
er auf einen Kopfausschnitt reduziert, bisweilen<br />
um den Oberkörper oder um Doppelung seiner<br />
Person erweitert. Mal hält Grützke eine Maske,<br />
mal betrachtet er eine Philosophenbüste<br />
oder einen abgeschnittenen Gänsehals. Er blickt<br />
amüsiert, nachdenklich, versonnen, skeptisch,<br />
grimmig, leidend, verzweifelt. Sodann erscheint<br />
Grützke oder jemand, der ihm ähnelt, in verschiedenen,<br />
absurd anmutenden Situationen.<br />
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