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Ansichtsexemplar (KPB_MJ2014) - Kulturprojekte Berlin

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775 Jahre <strong>Berlin</strong> – Spuren des Mittelalters<br />

lichen Synagoge und des rituellen Tauchbades.<br />

In diesem Bereich wird derzeit gegraben – und<br />

zwar so tief, dass man auf die Treppe des Tauchbades<br />

stoßen könnte, die zum Grundwasser herabführte.<br />

Es wären die ersten Zeugnisse der mittelalterlichen<br />

jüdischen Gemeinde, die man auf<br />

<strong>Berlin</strong>er Gebiet finden würde. Die berühmten jüdischen<br />

Grabsteine aus dem 13. und 14. Jahrhundert<br />

stammen aus dem älteren Spandau, wo die<br />

<strong>Berlin</strong>er Juden ihre Toten bestatten ließen.<br />

Ganz in der Nähe, an der Ecke Stralauer Straße/Klosterstraße,<br />

wurde Mitte August ein überraschender<br />

Fund gemacht. Eine verbrannte<br />

Holzbohle, Eckpfosten eines Kellers unter einem<br />

Stall, ließ sich auf das Jahr um 1174 datieren. An<br />

der Cöllner Breiten Straße war bereits 1996 eine<br />

Bohle aus dem Jahr um 1171 geborgen worden.<br />

Damit ist bewiesen, dass Cölln und <strong>Berlin</strong> bereits<br />

um 1170 besiedelt waren – etwa 70 Jahre bevor<br />

die Städte in den ältesten erhaltenen Urkunden<br />

von 1237 und 1244 genannt werden. Dass auch<br />

die Besiedlung des Marienviertels wohl früher<br />

begann als bisher vermutet, ergaben die Ausgrabungen<br />

vor dem Roten Rathaus 2010. Schon<br />

um 1220, nicht erst um 1250, standen hier die ersten<br />

Häuser. Um 1280 wurde dann, am Schnittpunkt<br />

von Spandauer Straße und Oderberger<br />

Straße (heute Rathausstraße) mit dem Bau eines<br />

stattlichen Rathauses begonnen, das die aufstrebende<br />

Handelsstadt <strong>Berlin</strong> repräsentierte.<br />

Einen Vorgängerbau hat es sicher schon am Molkenmarkt<br />

gegeben. Das neue Rathaus – mit 39<br />

Metern Länge und 17 Metern Breite auch das<br />

größte profane Gebäude der Stadt – bildete ein<br />

Scharnier zwischen dem älteren Nikolaiviertel<br />

und dem jüngeren, größeren Marienviertel.<br />

Das mittelalterliche Rathaus war in jeder Hinsicht<br />

das Zentrum der Stadt. Hier tagte nicht nur<br />

der Rat, schworen Neubürger feierlich ihren Eid.<br />

Hier wurde auch Recht gesprochen und über die<br />

städtischen Ausgaben Buch geführt. Vom Rathaus<br />

wurden berittene Boten losgeschickt,<br />

wenn Überfälle drohten, um Hilfe aus verbündeten<br />

Städten zu holen. Auswärtige Weinhändler<br />

mussten sich hier melden, damit der Rat den<br />

Wein kostete und einen Preis festsetzte. Das<br />

Rathaus aber war auch Ort des Handels. Im untersten<br />

Geschoss standen zwischen den Pfeilern,<br />

die das Kreuzgewölbe trugen, die Tische der<br />

Händler, auf denen Wollstoffe aus Flandern, Leinen<br />

aus Westfalen und Samt aus Italien ausgebreitet<br />

waren. Der Dielenboden der 4,5 m hohen<br />

Kaufhalle lag eineinhalb Meter unter dem Straßenniveau.<br />

Die Archäologen legten die Außenwände<br />

und die Ansätze der gemauerten Pfeiler<br />

frei, die die lange Halle in vier Schiffe teilten. Im<br />

Boden fanden sich zahlreiche Dinge, die den<br />

Tuchhändlern durch die Finger gerutscht und in<br />

den Spalten der Dielen verschwunden waren:<br />

geschmiedete Nähnadeln, Stecknadeln, Fingerhüte<br />

aus Bronze, Plomben aus Blei, mit denen<br />

die Tuchballen verschlossen waren, außerdem<br />

zahlreiche Münzen. Etwa zwei Drittel der hier<br />

geborgenen mittelalterlichen Münzen stammen<br />

aus der Mark Brandenburg, der Rest vor allem<br />

aus Böhmen, Sachsen und Pommern. Im Bereich<br />

des Ratskellers wurden zudem kleine Würfel aus<br />

Knochen gefunden. Ab Herbst nächsten Jahres<br />

Abb. 3: »Spuren des Mittelalters«, Ausstellungsturm<br />

am Molkenmarkt, August 2012. Foto: Oana Popa<br />

Abb. 4: Der Große Jüdenhof 1933. Landesarchiv<br />

<strong>Berlin</strong>. Das Foto zeigt die Nordseite zur heutigen<br />

Grunerstraße hin. Das zweistöckige Haus ist das<br />

Haus Nr. 9, das vorspringende daneben Nr. 10.<br />

werden diese Funde erstmals in einer Sonderausstellung<br />

im Neuen Museum zu sehen sein.<br />

Schon jetzt kann man sich direkt an der Gertrauden-<br />

und Grunerstraße über die jüngsten Grabungsergebnisse<br />

und die zentralen Orte der mittelalterlichen<br />

Doppelstadt informieren. Acht<br />

pinkfarbene Ausstellungstürme – unübersehbar<br />

selbst für Autofahrer – helfen dabei, die Topografie<br />

der Stadt des 13. Jahrhunderts nachzuvollziehen<br />

und widerlegen gängige Vorurteile über<br />

diese vermeintlich finstere Epoche. Zudem weisen<br />

auf das Pflaster gesprühte Texte auf verschwundene<br />

Gebäude hin und erzählen vom Leben<br />

im mittelalterlichen <strong>Berlin</strong>.<br />

Annette Meier<br />

Die Autorin ist Redakteurin und Journalistin. Für die<br />

Ausstellung »Spuren des Mittelalters« hat sie die Bodentexte<br />

und zusammen mit Viola Goertz die Texte für die<br />

Ausstellungstürme verfasst.<br />

Jeden Donnerstag um 17 Uhr und jeden Sonntag um<br />

11 Uhr finden kostenlose Führungen zur Ausstellung<br />

statt, Treffpunkt ist der Infopoint vor der Marienkirche.<br />

Außerdem führen Archäologen auf der Grabungsfläche<br />

am Großen Jüdenhof.<br />

Informationen unter www.berlin.de/775/fuehrungen<br />

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M U S E U M S J O U R N A L 4 / 2 0 1 2

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