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Ansichtsexemplar (KPB_MJ2014) - Kulturprojekte Berlin

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Ausstellungen<br />

Literaturhaus <strong>Berlin</strong><br />

Helmut Heißenbüttel<br />

30. November 2012 bis 8. Februar 2013<br />

Helmut Heißenbüttel (1921–96) zählt zu den wenigen<br />

Autoren, die nach 1945 an die abstrakte<br />

Moderne anknüpften und sie konsequent weiterentwickelten.<br />

Wieder und neu zu entdecken<br />

ist sein experimentelles Werk, das Literatur als<br />

offene Form neu erfindet. Heißenbüttel war Mitglied<br />

der Gruppe 47, Kritiker, Theoretiker, Essayist,<br />

Rundfunkredakteur, konkreter Dichter sowie<br />

Urheber der »Autorenmusik«. Geboren als<br />

Sohn eines Gerichtsvollziehers in Rüstringen bei<br />

Wilhelmshaven wuchs er in Papenburg auf. Als<br />

Kriegsversehrter kehrte er 1941 aus dem Zweiten<br />

Weltkrieg zurück. Von 1942–45 studierte er<br />

Germanistik und Kunstgeschichte in Dresden,<br />

Leipzig und Hamburg. In den Jahren 1954–57 war<br />

er Lektor und Werbeleiter eines Hamburger Verlags<br />

und erhielt 1956 ein Stipendium aus dem<br />

Lessing-Preis der Hansestadt Hamburg.<br />

1954 erschienen seine »Kombinationen« im<br />

Esslinger Bechtle Verlag beim Verleger Kurt<br />

Leonhard (1910–2005). 1956 folgten die »Topographien«.<br />

Eine Art Durchbruch waren seine<br />

sechs »Textbücher« aus den Jahren 1960–67,<br />

die im avantgardistischen Umfeld einschlägige<br />

Lektüre wurden. Von 1959–81 arbeitete Heißenbüttel<br />

als Redakteur des Radio-Essays beim<br />

Süddeutschen Rundfunk in Stuttgart und förderte<br />

viele junge Autoren. 1963 hielt er seine<br />

Frankfurter Poetikvorlesungen »Grundbegriffe<br />

einer Poetik im 20. Jahrhundert«. 1969 bekam er<br />

für sein poetisch-experimentelles Werk den<br />

Georg-Büchner-Preis, 1970 kamen der Hörspielpreis<br />

der Kriegsblinden und 1984 der Literaturpreis<br />

der Stadt Köln hinzu.<br />

Nach seinen Erfolgen im avantgardistischen<br />

Feld der 1960er-Jahre fristeten Heißenbüttels<br />

Arbeiten lange Zeit unter dem Verdikt grammatikalischer<br />

Reduktion und unverständlicher<br />

Sprachpoesie ein nahezu unbeachtetes Dasein.<br />

Seit einigen Jahren wird er als zentraler Vertreter<br />

der bundesrepublikanischen Neoavantgarde<br />

wiederentdeckt, sei es als »Sammler und Erfinder«<br />

oder »Integrationsfigur der neuen Avantgarden in<br />

den 1960er-Jahren«, wie denn auch sein experimentelles<br />

Werk mehr in den Blick rückt.<br />

Heißenbüttels Literaturbegriff kreist um die<br />

Reduktion des Inhalts und die Auflösung der<br />

Form aus ihren traditionell erzählenden Funktionen.<br />

An erster Stelle steht die interaktive »Beziehung<br />

zwischen Literatur und Leser, Kunst und<br />

Publikum«. Das Vorbild hierfür lieferten die abstrakte<br />

Prosa, Portraiture und Wortkompositionen<br />

Gertrude Steins (1874–1946). Heißenbüttel<br />

entdeckte in Steins Texten musikalische Techniken<br />

der Etüde, Komposition und Kadenz. Ihren<br />

»insistence«-Stil der Jahre 1906–08 übertrug<br />

er auf seine eigenen experimentellen Texte als<br />

Wiederholungen von Sätzen und Phrasen und<br />

als rhythmische Qualitäten. Auch Steins serielle<br />

Verfahren wie das »continuing of paragraphing«<br />

übernahm Heißenbüttel mit mathematischer<br />

Exaktheit und einer manischen Vorliebe für die<br />

Zahl 13. Aus dem Wechsel von Fortgang und Wiederholung<br />

einzelner Wortkombinationen verschwimmen<br />

die Grenzen zwischen Poesie und<br />

Prosa zu einer poetologisch »offenen Literatur«.<br />

Mit dem bekannten Text »Politische Grammatik«<br />

aus dem »Textbuch« bereicherte er die<br />

ästhetische Neoavantgarde und konkrete Dichtung<br />

um eine politische Dimension. Diese betraf<br />

die allfällige Auseinandersetzung mit der<br />

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