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Ansichtsexemplar (KPB_MJ2014) - Kulturprojekte Berlin

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Stadtmuseum <strong>Berlin</strong> – Ephraim-Palais | Ausstellungen<br />

gen, Duktus und Form wirken gestischer. Damit<br />

geht eine verstärkte Verarbeitung christlicher<br />

und mythologischer Themen einher. Ist es Blasphemie,<br />

die badende Batseba aus ihrem alttestamentarischen<br />

Zusammenhang zu reißen oder<br />

beim »Einzug nach Jerusalem« eine Frau den Esel<br />

reiten zu lassen Grützkes Denkweise ist eine<br />

andere. Wenn bei ihm Jesus eine nackte Frau ist,<br />

so deshalb, weil das Bild nicht dadurch authentischer<br />

würde, wenn er ein Modell nähme, das<br />

Albrecht Dürer ähnlich sähe.<br />

Die wichtigste mythologische Gestalt ist für<br />

Grützke Prometheus, der Sage nach Schöpfer<br />

Johannes Grützke,<br />

Prometheus, 1980.<br />

Pastell, 180 × 100 cm.<br />

Ladengalerie <strong>Berlin</strong>.<br />

© VG Bild-Kunst,<br />

Bonn 2012.<br />

Foto: Marie Walter<br />

Johannes Grützke,<br />

Darstellung der Freiheit,<br />

1972. Öl auf Leinwand,<br />

170 × 200 cm. Privatbesitz.<br />

© VG Bild-Kunst,<br />

Bonn 2012. Foto:<br />

Bildarchiv Foto Marburg<br />

Da tritt er als dreifacher Riese auf, spielt mit seinem<br />

Alter Ego auf einer Wiese Mikado, balanciert<br />

einen Muskelkopf, drückt einen Säugling<br />

an sich oder stemmt zusammen mit einer – seiner<br />

– Frau ein Tablett in die Höhe; er mit weiblicher<br />

Brust, sie mit männlicher Armmuskulatur.<br />

Die Erwartungshaltung wird auf eine harte Probe<br />

gestellt, insbesondere die gewählte Draufsicht,<br />

eine sich nach unten hin verjüngende Perspektive<br />

und widernatürliche Körpertorsionen<br />

konterkarieren gängige Sehgewohnheiten.<br />

Grützke spiegelt sich, selbst wenn im Spiegel<br />

andere erscheinen. Die Darstellung des Menschen,<br />

anfangs ausschließlich von Männern,<br />

wurde Ende der 1960er-Jahre zum Thema großformatiger<br />

Kompositionen. Der Kontrast zwischen<br />

seriöser Aufmachung und kindischem<br />

Verhalten, zwischen detailgetreuer Abbildhaftigkeit<br />

und verrätselter Raumsituation, birgt bei<br />

nicht geringem Unterhaltungswert ein Element<br />

tiefer Irritation.<br />

1972 betritt mit der »Darstellung der Freiheit«<br />

die erste weibliche Nackte eine Leinwand Grützkes.<br />

Seine »Freiheit« ist eine sexuell emanzipierte,<br />

selbstbestimmte Frau. Aber die Botschaft<br />

des Künstlers erschöpft sich nicht in der Hinterfragung<br />

stereotyper Geschlechterrollen. Grützke<br />

führt quasi ein Stück auf, ein Lehrstück, das<br />

von einem Befreiungsakt in allgemeinem Sinn<br />

handelt: »Wenn ich die Menschheit male, nehme<br />

ich gewöhnlich eine nackte Frau.« Was im Umkehrschluss<br />

heißt: Eine unbekleidete weibliche<br />

Figur ist nicht das, was sie vordergründig vorgibt<br />

zu sein, sondern steht für eine übergeordnete<br />

Aussage. Dem Zugriff auf den Fundus ikonografischer<br />

Muster – hier Eugène Delacroix’<br />

»La Liberté guidant le peuple« – entspricht die<br />

akademische Methode von Modell-Arrangement<br />

und gründlichem Vorstudium.<br />

Als Schüler der »Neuen Prächtigkeit« greift<br />

Grützke die im 19. Jahrhundert beliebte Gattung<br />

des Historien- bzw. Ereignisbildes auf, freilich<br />

unter überraschender Wendung des geschilderten<br />

Geschehens. Bei ihm wird Benno Ohnesorg<br />

nicht erschossen, vielmehr greift dieser ein Jahr<br />

nach seinem Tod zum Gewehr. Das eigentlich<br />

leicht erkenn- und benennbare Bildgeschehen<br />

entzieht sich einfacher Deutung, zumal Grützke<br />

in den 1970er-Jahren begann, seine bevorzugten<br />

Sujets um narrative Elemente zu bereichern und<br />

alltägliches Tun durch Rückgriff auf hergebrachte<br />

Bildtypologien zu adeln.<br />

Mit den 1980er-Jahren wandelte sich Grützkes<br />

Stil. Die Malschicht wird pastoser aufgetra-<br />

der Menschheit, mit dem er sich als Erzeuger<br />

von Kunst und Leben identifiziert. Wenn Prometheus<br />

seine Entwürfe zerstört, für die Menschheit<br />

das Feuer stiehlt und von Zeus zur Strafe<br />

angekettet wird, so geht es auch immer um persönliche<br />

Ängste und Wünsche des Künstlers. In<br />

solchen Momenten schlüpft Grützke gar nicht<br />

in eine Rolle – »nein, ich bin es wirklich«.<br />

Dominik Bartmann<br />

Prof. Dr. Dominik Bartmann ist Ausstellungsdirektor des<br />

Stadtmuseums <strong>Berlin</strong>.<br />

Zur Ausstellung erscheint eine Broschüre, die an der<br />

Museumskasse für 2 € erhältlich ist.<br />

M U S E U M S J O U R N A L 4 / 2 0 1 2 | 7 9

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