man mir das abstreiten?“ Es ist klar, was er me<strong>in</strong>t: wie könnte ich daran zweifeln, dass ichgerade hier stehe und e<strong>in</strong>e Vorlesung gebe? Wie könnten Sie zweifeln, dass Sie da sitzenund sich mit Ihrem Nachbarn unterhalten - o<strong>der</strong> sogar zuhören? Descartes schließt aus,dass se<strong>in</strong> Gehirn nicht bee<strong>in</strong>flusst ist durch Krankheit o<strong>der</strong> Drogen. Freilich: <strong>die</strong>se könnene<strong>in</strong>em Halluz<strong>in</strong>ationen verschaffen. Aber dann ist man eben, wie Descartes sagt: demens,d.h. soviel wie von S<strong>in</strong>nen, nicht mehr Herr se<strong>in</strong>er selbst. Er me<strong>in</strong>t damit, dass wir jas<strong>in</strong>nvollerweise <strong>die</strong>sen Unterschied machen. Wenn nun e<strong>in</strong>er hier im Raum aufschreienwürde, weil er Darth Va<strong>der</strong> sehen würde, würden wir ihn doch als wahns<strong>in</strong>nig bezeichnen.Wenn aber jemand sagen würde, er sähe mich hier stehen, dann fänden wir alle <strong>die</strong>seAussage völlig unbezweifelbar.Doch Descartes kennt e<strong>in</strong> an<strong>der</strong>es Phänomen, dass uns zweifeln lässt: den Traum. ImTraum b<strong>in</strong> ich da und dort, ganz klar, ganz <strong>in</strong>tensiv. Ich habe deutliche Wahrnehmungen,ich fühle etwas. Ist das aber wirklich so? Habe ich im Traum genauso <strong>in</strong>tensiveTasterfahrungen wie im Wachen? Ich kann doch sagen: ich rede hier zu Ihnen, ich denkedoch, dass das so ist. Descartes aber - und das ist doch schon e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>teressanteBeobachtung - sagt dazu: „Als wenn ich mich nicht entsänne, dass ich sonst auch schonim Traum durch ähnliche Gedankengänge genarrt worden b<strong>in</strong>.“ Das will sagen: wir habendoch schon <strong>in</strong> Träumen gezweifelt, ob das auch wahr ist, was wir da erfahren. Das istselbst e<strong>in</strong>e Traumerfahrung, kann uns also ke<strong>in</strong> Argument gegen den Traum liefern.Descartes konze<strong>die</strong>rt: „dass Wachse<strong>in</strong> und Träumen niemals durch sichere Kennzeichenunterscheiden werden können“. Also träume ich vielleicht hier? Träume ich Sie mir?Wie kommt Descartes da heraus? (Das Thema ist ja sehr <strong>in</strong>teressant, kann jetzt aber nichtweiter durchgespielt werden.) Er sagt, dass es <strong>in</strong> Träumen doch allgeme<strong>in</strong>e Sachverhaltegibt, <strong>die</strong> davon unabhängig s<strong>in</strong>d, ob wir sie träumen - <strong>die</strong> also allgeme<strong>in</strong>e Geltungbeanspruchen können - ganz gleich, ob wir wachen o<strong>der</strong> träumen. Was s<strong>in</strong>d das fürallgeme<strong>in</strong>e Geltungen? Dass zu e<strong>in</strong>em Körper gehört so etwas wie Ausdehnung, Qualität,Quantität und Raum und Zeit - das, was <strong>die</strong> <strong>Philosophie</strong> seit Aristoteles Kategorien nennt.Ich sage: da ist e<strong>in</strong>e Frau. Es kann se<strong>in</strong>, dass ich das träume: doch <strong>die</strong> Kategorie <strong>der</strong>Quantität „e<strong>in</strong>s“, <strong>die</strong> gilt ganz gleich, ob ich träume o<strong>der</strong> schlafe.So sagt Descartes, dass <strong>die</strong> Arithmetik, <strong>die</strong> Geometrie und an<strong>der</strong>e Wissenschaften <strong>die</strong>serArt, <strong>die</strong> nur von den allere<strong>in</strong>fachsten und allgeme<strong>in</strong>sten Gegenständen handeln und sichwenig darum kümmern, ob <strong>die</strong>se <strong>in</strong> <strong>der</strong> Wirklichkeit vorhanden s<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> nicht, etwas vonzweifelsfreier Gewissheit haben: 2+3= 5 - das gilt ganz gleich, ob ich schlafe o<strong>der</strong> wache.Es ist nicht unwichtig, dass also <strong>die</strong> Mathematik den Traume<strong>in</strong>wand auflöst. 2+3=5 istwahr, ob geträumt o<strong>der</strong> nicht. Ich könnte also doch sagen: hier haben wir das Fundament,das Descartes ja sucht. Der Traum kann gegen <strong>die</strong> Mathematik nicht an. E<strong>in</strong> Dreieck hatdrei Ecken - auch im Traum.16
Doch - <strong>der</strong> Zweifelsgang ist noch nicht zu Ende - denn es gibt e<strong>in</strong>e Möglichkeit, selbst an<strong>der</strong> Mathematik zu zweifeln.Descartes spricht von e<strong>in</strong>er „alten Überzeugung“ (vetus op<strong>in</strong>io). Diese besagt: dass ese<strong>in</strong>en Gott gibt und dass <strong>die</strong>ser Gott so, wie Descartes sei, ihn geschaffen habe. Diesealte Überzeugung hat bei Descartes - wie wir sehen werden - e<strong>in</strong>e große Bedeutung. Hierführt er noch nicht aus, was genau er damit me<strong>in</strong>t. Doch was er aus <strong>die</strong>ser Überzeugungherleitet, ist nun, dass er <strong>die</strong>sem Gott zutraut, er könne all das, von dem wir ausgehen,dass es existiert, f<strong>in</strong>gieren. Es ist nun also nicht mehr <strong>der</strong> Traum, <strong>der</strong> uns zweifeln lässt,ob wir alle hier <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Hörsaal s<strong>in</strong>d. Nach Descartes könnte Gott es so machen, dasswir glauben, wir seien hier - <strong>in</strong> Wirklichkeit ist aber alles nur Sche<strong>in</strong>. Noch mehr traut er<strong>die</strong>sem Gott zu - nämlich dass er uns nur vorgaukelt, 2+3=5. In Wahrheit könnte das dochgar nicht stimmen.Descartes macht sich sogleich e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>wand: Gott sei doch das summum bonum, dashöchste Gute. Daher würde er doch bestimmt se<strong>in</strong> Geschöpf, also den denkendenDescartes, nicht so sehr täuschen, dass <strong>die</strong> ganze Schöpfung nur e<strong>in</strong>e Fiktion sei. Gewiss- doch wenn er schon so gut ist, warum täuschen wir uns dann überhaupt? Dass wir unszuweilen täuschen, ist aber gewiss. Das ist e<strong>in</strong> schwieriges Problem, wie wir gleich sehenwerden.Zunächst aber etwas zu <strong>die</strong>sem Gottesverständnis. Dieses nämlich stammt sozusagenaus dem Mittelalter. Es war Wilhelm von Ockham (1288-1347), e<strong>in</strong> Franziskaner-Philosoph, <strong>der</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Denken ernst macht mit <strong>der</strong> Idee e<strong>in</strong>es omnipotenten Gottes,e<strong>in</strong>es Gottes also, <strong>der</strong> kraft <strong>der</strong> Allmacht e<strong>in</strong>e creatio ex nihilo, e<strong>in</strong>e Schöpfung aus demNichts vollziehen konnte. Dieser Gott ist so allmächtig, dass er auch <strong>die</strong> mathematischenGesetze geschaffen hat. Hat er <strong>die</strong>se aber geschaffen, so kann er sie auch verän<strong>der</strong>n,d.h. er könnte sozusagen <strong>die</strong> alten mathematischen Gesetze durch neue ersetzen. Dasshat er doch Konsequenzen, denn was gilt uns als gewisser, dass 1+1=2 ist? Deshalb sagtDescartes auch: „Freilich möchte es wohl manche geben, <strong>die</strong> lieber leugnen würden, dasse<strong>in</strong> so mächtiger Gott überhaupt existiert, als dass sie an <strong>die</strong> Ungewissheit aller an<strong>der</strong>enD<strong>in</strong>ge glaubten“. Will sagen: Lieber haben wir e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Idee von Gott, nämlich z.B.dass er nicht allmächtig ist, als dass wir akzeptieren könnten, selbst <strong>die</strong> Mathematik seiungewiss. (Gottesidee des „Voluntarismus“.) Descartes aber hat <strong>die</strong>se Idee von Gott,nämlich <strong>die</strong> <strong>der</strong> Allmacht. Doch - er sche<strong>in</strong>t zunächst <strong>die</strong> Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung abzuwiegelnund sagt nur: mit denen, <strong>die</strong> also e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Vorstellung von Gott haben, wolle er nichtstreiten.17
- Seite 1 und 2: Einführung in die Philosophie der
- Seite 3 und 4: Eine Sicht, die ich persönlich fav
- Seite 5 und 6: letzthinnigen Prüfung dessen, was
- Seite 7 und 8: auf die Staatsform als solche, auf
- Seite 9 und 10: See ,Land‘ rufen; Cartesius ist e
- Seite 11 und 12: Descartes natürlich nicht so. Bei
- Seite 13 und 14: Ich möchte bevor ich zu dem Aufbau
- Seite 15: als Grundsätze. Wieder geht es als
- Seite 19 und 20: zwischen den beiden endlichen Subst
- Seite 21 und 22: und unrichtig halten - das ist eben
- Seite 23 und 24: Dritte VorlesungIn der letzten Woch
- Seite 25 und 26: Descartes, nicht so sehr täuschen,
- Seite 27 und 28: Es gibt einen bösen Geist, der mic
- Seite 29 und 30: für „subjektiv“ halten, das ha
- Seite 31 und 32: Im Folgenden beschäftigt sich Desc
- Seite 33 und 34: In Bezug auf die Kausalität führt
- Seite 35 und 36: Vierte VorlesungAm Beginn dieser Vo
- Seite 37 und 38: Methode bezeichnet, für die die Ma
- Seite 39 und 40: ein Ungeheuer, das von Gott kontrol
- Seite 41 und 42: sage Kennzeichnen, wenn wir für un
- Seite 43 und 44: Aus dieser Situation entsteht eine
- Seite 45 und 46: ei Machiavelli - in der Staatsgrün
- Seite 47 und 48: Ich habe dabei zunächst darauf hin
- Seite 49 und 50: Naturgesetze kennenzulernen, sonder
- Seite 51 und 52: die Abwesenheit von Krieg (wie Hobb
- Seite 53 und 54: Deo. Sie lautet: „1. Per causam s
- Seite 55 und 56: finden ist. Wir werden sehen, dass
- Seite 57 und 58: Sechste VorlesungHegel schreibt üb
- Seite 59 und 60: geben - es wird eine geben so, wie
- Seite 61 und 62: Damit ist gemeint, dass wir uns not
- Seite 63 und 64: Erkenntnis zugänglich ist, keine Z
- Seite 65 und 66: glauben, er könnte das auch noch a
- Seite 67 und 68:
Siebente Vorlesung„Verflucht sei
- Seite 69 und 70:
Also die „Monadologie“. Da ist
- Seite 71 und 72:
umstellen noch sich eine innere Bew
- Seite 73 und 74:
Das Seltsame ist ein wenig, dass Le
- Seite 75 und 76:
eginnt: „Das Gedächtnis liefert
- Seite 77 und 78:
offenbar auch kein Fenster haben ka
- Seite 79 und 80:
Die Kritik an den Cartesianern ist
- Seite 81 und 82:
Die Differenz zum Tier ist also nic
- Seite 83 und 84:
Mathematik, was wenig überzeugt (d
- Seite 85 und 86:
Böse möglich, wenn doch Gott notw
- Seite 87 und 88:
Hegel schreibt in seiner Vorrede zu
- Seite 89 und 90:
Körper keinen Unterschied zu geben
- Seite 91 und 92:
Gegenstand nähern will. Das ist fr
- Seite 93 und 94:
demnach in der Materie das Denken,
- Seite 95 und 96:
den dogmatischen Schlummer unterbra
- Seite 97 und 98:
entwickeln. Ein Blinder kann sich k
- Seite 99 und 100:
Für Hume steht aber zunächst etwa