Achte VorlesungHeidegger sagt e<strong>in</strong>mal über Leibniz, dass se<strong>in</strong>e <strong>Philosophie</strong> <strong>die</strong> „neuzeitliche Denkweise“enthält, „<strong>in</strong> <strong>der</strong> wir uns tagtäglich aufhalten“. Das ist e<strong>in</strong>e große Auszeichnung, auch wennwir bisher noch nicht verstehen, was er damit me<strong>in</strong>en könnte. Am Ende <strong>die</strong>ser Sitzungaber wird es so se<strong>in</strong>, me<strong>in</strong>e ich jedenfalls.Wir haben es mit <strong>der</strong> „Monade“ zu tun. Alles besteht aus Monaden, das Ganze Seiendebesteht aus Monadenanhäufungen. Sie selbst s<strong>in</strong>d ausdehnungslos (er sagt, sie seien wie„Atome“ - Atome können nicht immateriell se<strong>in</strong> - allerd<strong>in</strong>gs müssen sie Ausdehnung haben- jedenfalls muss ich mich korrigieren, dass ich <strong>in</strong> <strong>der</strong> letzten Stunde darüber nachdachte,<strong>in</strong>wiefern <strong>die</strong> Monaden immateriell s<strong>in</strong>d - sie s<strong>in</strong>d es nicht - es gibt e<strong>in</strong>e próte hyle - <strong>in</strong>welcher sich <strong>die</strong> Monade wie e<strong>in</strong> mathematischer Punkt bef<strong>in</strong>det - doch das lassen wir hiere<strong>in</strong>mal, weil es zu spezifisch wird), aber wenn sie sich aggregieren, anhäufen, entsteht <strong>die</strong>Welt. D.h. natürlich wie<strong>der</strong>um nicht, dass es nichts Immaterielles gibt. Das sagt Leibniz,wie wir sehen, ausdrücklich.Die Monade hat ke<strong>in</strong> Fenster, sie bildet e<strong>in</strong>e absolute Immanenz, nichts kommt <strong>in</strong> sieh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> o<strong>der</strong> aus ihr heraus. Was <strong>in</strong> ihr vorgeht, lässt sich nur als Vielheit deuten. DieMonade hat Perzeptionen und Apperzeption. Diese Perzeptionen werden motiviert vone<strong>in</strong>em „<strong>in</strong>neren Pr<strong>in</strong>zip“, von dem appetitus. Leibnizens Frage ist es nun, <strong>in</strong>wieweit manz.B. bei Tieren von Perzeptionen und Apperzeptionen sprechen kann. Inwieweit kann mansagen, dass Alles Perzeptionen hat, wenn doch Alles aus Monaden besteht.Leibniz ist sich <strong>die</strong>ser ungewöhnlichen Konzeption bewusst, vor allem <strong>in</strong> dem Streit mitPositionen, <strong>die</strong> an Descartes er<strong>in</strong>nern. Die Kritik an den Cartesianern, <strong>die</strong> nur <strong>die</strong>Apperzeption kennen und nicht <strong>die</strong> Perzeption, wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> Frage nach dem Verhältnis vonPerzeption und Apperzeption ausgebaut. Die Frage ist, ob Leibniz, an<strong>der</strong>s als Descartes,<strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage ist, den Tieren o<strong>der</strong> sogar den Pflanzen, e<strong>in</strong>e Seele zuzusprechen (das tutAristoteles), weil ja Tiere und Pflanzen sehr wohl Monaden s<strong>in</strong>d - eben weil <strong>die</strong> Naturschließlich nach Leibniz monadisch organisiert wird. Ist also <strong>die</strong> Seele e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>facheSubstanz im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong> Monade? Ne<strong>in</strong>. Dennoch sche<strong>in</strong>t aber Leibniz den Tieren e<strong>in</strong>eSeele zuzusprechen (Leibniz als Aristoteliker). So räumt er e<strong>in</strong>, dass wir (20) an uns selbst„e<strong>in</strong>en Zustand erfahren, <strong>in</strong> dem wir uns an nichts er<strong>in</strong>nern und überhaupt ke<strong>in</strong>eunterscheidbaren Perzeptionen haben, so wenn wir <strong>in</strong> Ohnmacht fallen o<strong>der</strong> von e<strong>in</strong>emtraumlosen Schlaf übermannt werden. Dann, so Leibniz, unterscheidet sich <strong>die</strong> Seele nichtmerklich von e<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>fachen Monade. Doch dann geht aber <strong>die</strong> Seele darüber h<strong>in</strong>aus undentwickelt e<strong>in</strong> Gedächtnis. Die Seele muss demnach doch noch etwas mehr se<strong>in</strong> als nure<strong>in</strong> Haben von Perzeptionen. Das me<strong>in</strong>t aber nicht, dass <strong>die</strong> Tiere ke<strong>in</strong>e Seele hätten,denn sie haben eben Gedächtnis.78
Die Kritik an den Cartesianern ist <strong>die</strong>, dass sie den Tieren ke<strong>in</strong>e Seele zugesprochenhaben, <strong>in</strong>dem sie ihnen jede Art von Perzeption und damit <strong>die</strong> res cogitans (und damit <strong>die</strong>Seele) absprachen. Für Leibniz haben <strong>die</strong> Tiere Perzeptionen und sogar e<strong>in</strong>e Art vonGedächtnis. Obwohl ich hier nicht das ganze Thema auf <strong>die</strong> Tiere beziehen will, weil <strong>die</strong>semich nicht beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong>teressieren, möchte ich noch daran er<strong>in</strong>nern, dass im Paragraphen26 Leibniz ganz offenbar dem Hund e<strong>in</strong>e Seele zuschreibt. Der Paragraph beg<strong>in</strong>nt: „DasGedächtnis liefert den Seelen e<strong>in</strong>e Art Verknüpfung, welche <strong>die</strong> Vernunft nachahmt, <strong>die</strong>davon aber unterscheiden werden muss.“ (<strong>die</strong> Verknüpfung ahmt <strong>die</strong> Vernunft nach, nichtan<strong>der</strong>sherum). Das Gedächtnis ist also ansche<strong>in</strong>end nicht immer das klare Bewusstse<strong>in</strong>von etwas. Es gibt e<strong>in</strong> Gedächtnis, das vielleicht etwas enthält, was sich nicht e<strong>in</strong>fach soaufrufen lässt. So ist für Leibniz auch folgendes e<strong>in</strong> Gedächtnis. Würde man e<strong>in</strong>en Hunde<strong>in</strong> paarmal mit e<strong>in</strong>em bestimmten Stock schlagen, so würde <strong>die</strong>ser gewiss vor dem Stockfliehen, wenn er ihn nur sieht (das Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> Dressur). Das me<strong>in</strong>t also, dass <strong>der</strong> Hund e<strong>in</strong>Gedächtnis des Stocks hat, wobei man gewiss nicht sagen kann, er hat e<strong>in</strong> klaresBewusstse<strong>in</strong> davon, vor allem weil er sich wohl auch nicht ohne den Stock selbst an denStock er<strong>in</strong>nern könnte. Aber egal: <strong>der</strong> Hund muss etwas <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Seele zurückbehaltenhaben, denn sonst könnte er auf <strong>die</strong>se Weise nicht auf den Stock reagieren. Im Übrigengibt es solche Trigger auch bei Menschen - irgende<strong>in</strong>e Sache löst e<strong>in</strong>e psychischeReaktion aus, wobei wir meistens gar nicht wissen, was das gewesen ist.Das sagt auch Leibniz (28): „Die Menschen handeln wie <strong>die</strong> Tiere, <strong>in</strong>sofern <strong>die</strong>Verknüpfungen ihrer Perzeptionen sich nur gemäß dem Pr<strong>in</strong>zip des Gedächtnissesgestalten; ähnlich den empirischen Ärzten, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache Praxis ohne Theorie haben;und bei drei Vierteln unserer Handlungen s<strong>in</strong>d wir selbst nur Empiriker. Erwartet man zumBeispiel, daß morgen wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Tag se<strong>in</strong> wird, weil es bisher immer so war, handelt manals Empiriker. Alle<strong>in</strong> <strong>der</strong> Astronom urteilt darüber vernunftgemäß.“ E<strong>in</strong>e seltsame Stelle.Insofern wir empirisch handeln, bewegen wir uns auf <strong>der</strong> Ebene des Tieres. Das Pr<strong>in</strong>zipsche<strong>in</strong>t <strong>die</strong> Gewöhnung an das Sich Wie<strong>der</strong>holende, <strong>die</strong> Erfahrung <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>holung, zuse<strong>in</strong>. So wie <strong>der</strong> Hund sich daran gewöhnt, bei Ansicht des Stocks zu gehorchen, sogewöhnen wir uns an <strong>die</strong> Me<strong>in</strong>ung, dass morgen auch wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Tag se<strong>in</strong> muss, weil dasbisher immer so gewesen ist. Dass das notwendig so se<strong>in</strong> müsse, könne nur <strong>der</strong> Astronomwissen. Ich frage nun nicht, ob <strong>der</strong> Hund wirklich jemals davon ausgehen könnte, dassmorgen noch e<strong>in</strong> Tag ist. Will sagen: <strong>die</strong>se Me<strong>in</strong>ung setzt doch immerh<strong>in</strong> voraus, dass wire<strong>in</strong>e Erfahrung verallgeme<strong>in</strong>ern können (zu Unrecht, me<strong>in</strong>t Leibniz). Der Hund kann daswahrsche<strong>in</strong>lich nicht.Ich halte fest, dass sich Leibniz <strong>in</strong> ungefähr den ersten dreißig Sätzen <strong>der</strong> Paragraphenmit dem Charakter <strong>der</strong> Monade beschäftigt <strong>in</strong>sofern, dass er e<strong>in</strong>e strukturelleBestandsaufnahme auf den Menschen und das Tier überträgt, wobei uns jetzt schon klar79
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Einführung in die Philosophie der
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Eine Sicht, die ich persönlich fav
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letzthinnigen Prüfung dessen, was
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auf die Staatsform als solche, auf
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See ,Land‘ rufen; Cartesius ist e
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Descartes natürlich nicht so. Bei
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Ich möchte bevor ich zu dem Aufbau
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als Grundsätze. Wieder geht es als
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Doch - der Zweifelsgang ist noch ni
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zwischen den beiden endlichen Subst
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und unrichtig halten - das ist eben
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Dritte VorlesungIn der letzten Woch
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Descartes, nicht so sehr täuschen,
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