9. VorlesungIch hatte ganz zu Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Vorlesung schon zu zeigen versucht, <strong>in</strong>wiefern <strong>der</strong> epochaleÜbergang vom Mittelalter mit e<strong>in</strong>er Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Welt zusammenhängt. Der christlicheGlaube, <strong>die</strong> Autorität des Mittelalters, gerät mehr und mehr <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Krise mit demAufkommen neuer naturwissenschaftlicher Methoden aufgrund von technischenErf<strong>in</strong>dungen, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>e dem Mittelalter unbekannte Forschungshaltung ermöglichen. DieNatur ist jetzt nicht mehr e<strong>in</strong>fach ens creatum, e<strong>in</strong> Geschöpf Gottes, son<strong>der</strong>n schlechth<strong>in</strong>e<strong>in</strong> Bereich, <strong>in</strong> dem <strong>die</strong> Materie sich <strong>in</strong> vielerlei Formen präsentiert.Descartes me<strong>in</strong>te zwar, dass <strong>die</strong> Natur von e<strong>in</strong>er göttlichen creatio cont<strong>in</strong>ua im Se<strong>in</strong>gehalten wurde. Das war aber auch alles, was <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser H<strong>in</strong>sicht über <strong>die</strong> theologischeDimension <strong>der</strong> Natur zu sagen war. Die Mathematik und <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>die</strong> Mechanik boten<strong>die</strong> Möglichkeit, sich <strong>der</strong> Natur zu bemächtigen. Der Mensch war „maitre et possesseur dela nature“, e<strong>in</strong> Gedanke, <strong>der</strong> freilich auf gewisse Weise durchaus mit e<strong>in</strong>er christlichenHaltung übere<strong>in</strong>stimmen kann.In <strong>der</strong> Mechanik bewegen sich <strong>die</strong> Körper alle nach den gleichen Gesetzen, überhauptwird <strong>die</strong> Struktur <strong>der</strong> Körper vere<strong>in</strong>heitlicht: <strong>der</strong> Körper, <strong>in</strong>sofern er sich bewegt, ist e<strong>in</strong>eMasch<strong>in</strong>e. „Ja, ebenso wie e<strong>in</strong>e aus Rä<strong>der</strong>n und Gewichten zusammengesetzte Uhr nichtweniger genau alle Naturgesetze beobachtete, wenn sie schlecht angefertigt ist und <strong>die</strong>Stunden nicht richtig anzeigt, als wenn sie <strong>in</strong> je<strong>der</strong> H<strong>in</strong>sicht dem Wunsch ihresKonstrukteurs genügt, so steht es auch mit dem menschlichen Körper, wenn ich ihn alse<strong>in</strong>e Art von Masch<strong>in</strong>e betrachte, <strong>die</strong> aus Knochen, Nerven, Muskeln, A<strong>der</strong>n, Blut undHaut so e<strong>in</strong>gerichtet und zusammengesetzt ist.“, Meditatio VI) Die Bildung und Übernahmedes Begriffs <strong>in</strong> <strong>die</strong> Naturerklärung, mith<strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Anwendung auf den menschlichen undtierischen Körper ist <strong>in</strong>teressant. Denn es ist deutlich, dass <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Masch<strong>in</strong>evorher auf mechanische Apparaturen angewendet wurde, so z.B. auf <strong>die</strong> Taschenuhr, <strong>die</strong>erst 1510 <strong>in</strong> Nürnberg erfunden worden ist. Wenn also Descartes und nicht nur er immerwie<strong>der</strong> auf das Rä<strong>der</strong>werk <strong>der</strong> Uhr zu sprechen kommen, wenn sie <strong>die</strong> natürliche Weltbeschreiben (im Großen und Kle<strong>in</strong>en), dann hat das se<strong>in</strong>en Grund <strong>in</strong> <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong>Technik.Bleiben wir noch e<strong>in</strong> wenig bei Descartes, mit dem wir ja im Wesentlichen unsere<strong>E<strong>in</strong>führung</strong> begonnen haben.In den „Meditationes de prima philosophia“, <strong>in</strong> <strong>der</strong> zweitenMeditation, kommt Descartes auf <strong>die</strong> Frage zu sprechen, wer denn „ich“ sei. Dabei gehtihm zunächst auf, dass „ich e<strong>in</strong> Gesicht, Hände, Arme, und <strong>die</strong>se ganze Masch<strong>in</strong>e vonGlie<strong>der</strong>n habe, <strong>die</strong> man auch an e<strong>in</strong>er Leiche wahrnimmt und <strong>die</strong> ich als Körper (corpus)bezeichnete“. Auffällig an <strong>die</strong>ser Beschreibung ist, dass <strong>der</strong> Körper mit e<strong>in</strong>er Leicheverglichen wird. Es sche<strong>in</strong>t für Descartes zwischen e<strong>in</strong>em lebenden und e<strong>in</strong>em toten88
Körper ke<strong>in</strong>en Unterschied zu geben. Das führt uns zunächst auf <strong>die</strong> Frage nach <strong>der</strong>Bewegung (denn dar<strong>in</strong> unterscheidet sich leben<strong>der</strong> Körper und Leiche). Für Descartesentspr<strong>in</strong>gt Bewegung immer e<strong>in</strong>em Anstoß von Köper zu Körper, <strong>der</strong> sich dannweiterbewegt, bis er an e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Körper, <strong>die</strong>sem Bewegung mitteilend, zur Ruhekommt. Allerd<strong>in</strong>gs kennt natürlich Descartes auch den Unterschied zwischen Körpern, <strong>die</strong>sich selbst bewegen und solchen, <strong>die</strong> das nicht vermögen (z.B. Leichen). DieSelbstbewegung aber gehört freilich nicht zur res extensa. So heißt es: „Denn ich nahman, daß <strong>die</strong> Fähigkeit, sich selbst zu bewegen, ebenso wie <strong>die</strong> zu empf<strong>in</strong>den o<strong>der</strong> zudenken ke<strong>in</strong>eswegs zur Natur des Körpers gehöre, vielmehr wun<strong>der</strong>te ich mich eherdarüber, daß sich solche Fähigkeiten <strong>in</strong> manchen Körpern vorf<strong>in</strong>den.“ Das Problem, vordem Descartes stand und vor dem gleichsam <strong>die</strong> ganze <strong>Philosophie</strong> nicht nur <strong>in</strong> <strong>der</strong><strong>Neuzeit</strong>, son<strong>der</strong>n seit <strong>der</strong> Antike stand, war es, zu erklären, wie sich e<strong>in</strong> Seiendes, dassich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e übers<strong>in</strong>nliche und e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nliche Hälfte spaltet (polemisch gesagt), zu e<strong>in</strong>emGanzen zusammenfügt. Wie hängen Seele und Körper zusammen?Das ist ke<strong>in</strong> nebensächliches Problem, son<strong>der</strong>n es führt direkt <strong>in</strong> das Zentrum e<strong>in</strong>esDenkens, das sich als Metaphysik versteht, das also gleichsam immer schon davonausgeht, dass es e<strong>in</strong>en übers<strong>in</strong>nlichen Bereich des Denkens, des Geistes, <strong>der</strong> Idee, wieauch immer, gibt, und e<strong>in</strong>en s<strong>in</strong>nlichen Bereich <strong>der</strong> Natur, <strong>der</strong> Materie, <strong>der</strong> Körper etc. Daswar seit Platon e<strong>in</strong>e selbstverständliche Voraussetzung <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> - selbst wennschon <strong>in</strong> <strong>der</strong> Antike Positionen zu f<strong>in</strong>den s<strong>in</strong>d, <strong>die</strong> mehr o<strong>der</strong> weniger <strong>die</strong>se Spaltungbezweifeln (Demokrit und Epikur - Atomismus). Und auch noch heute geht <strong>die</strong> Diskussiondarüber, wie wir uns zu <strong>die</strong>ser Auffassung <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> als Metaphysik verhalten.Freilich stehen wir nicht mehr <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Neuzeit</strong>, freilich haben wir <strong>die</strong> Sicherheit e<strong>in</strong>esDescartes o<strong>der</strong> Leibniz verloren, doch <strong>der</strong> Verlust <strong>die</strong>ser Sicherheit - <strong>der</strong> beg<strong>in</strong>nt bereits imGefolge <strong>die</strong>ser beiden Philosophen.Wir stehen vor dem Problem, wie zwei Substanzen, <strong>die</strong> sich ausschließen (Substanzenschließen sich als Substanzen aus), e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit bilden können. Wie können wir <strong>die</strong>senproblematischen Dualismus überw<strong>in</strong>den? E<strong>in</strong> Philosoph reagiert beson<strong>der</strong>s radikal auf ihn.Es handelt sich um Julien Offray de la Mettrie, <strong>der</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er 1747 anonym erschienenSchrift „L‘homme mach<strong>in</strong>e“ e<strong>in</strong> Angebot macht, wie das cartesianische Problem desmetaphysischen Dualismus zu überw<strong>in</strong>den sei.E<strong>in</strong>iges zur Biographie <strong>die</strong>ses m.E. sehr <strong>in</strong>teressanten Mannes. Er wurde 1709 geboren <strong>in</strong>St. Malo, stu<strong>die</strong>rte Mediz<strong>in</strong> und wurde <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat e<strong>in</strong> wichtiger Mediz<strong>in</strong>er se<strong>in</strong>er Zeit.Allerd<strong>in</strong>gs legte er sich mit <strong>der</strong> Kirche an, als er 1745 <strong>die</strong> „Histoire naturelle de l‘âme“publizierte. Die Schrift wurde als ketzerisch gebrandmarkt. Ketzerisch betrachtet wurdeauch se<strong>in</strong> Traktat „La volupté“ und dann, vor allem, 1748, se<strong>in</strong> „Discours sur le bonheur“,<strong>in</strong> dem er e<strong>in</strong>e Theorie <strong>der</strong> Unnatürlichkeit von Scham und Schuld entwickelte. Zu <strong>die</strong>sem89
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Eine Sicht, die ich persönlich fav
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letzthinnigen Prüfung dessen, was
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auf die Staatsform als solche, auf
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See ,Land‘ rufen; Cartesius ist e
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Descartes natürlich nicht so. Bei
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Ich möchte bevor ich zu dem Aufbau
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als Grundsätze. Wieder geht es als
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Doch - der Zweifelsgang ist noch ni
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zwischen den beiden endlichen Subst
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und unrichtig halten - das ist eben
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Dritte VorlesungIn der letzten Woch
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Descartes, nicht so sehr täuschen,
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Es gibt einen bösen Geist, der mic
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für „subjektiv“ halten, das ha
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Im Folgenden beschäftigt sich Desc
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In Bezug auf die Kausalität führt
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Vierte VorlesungAm Beginn dieser Vo
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