Was ich anstrebe <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Vorlesung, das ist, dass wir erkennen, <strong>in</strong>wiefern <strong>die</strong> wichtigstenPhilosophen <strong>der</strong> <strong>Neuzeit</strong> e<strong>in</strong>en Kontext bilden, <strong>in</strong> dem ihre Schriften stets aufe<strong>in</strong>an<strong>der</strong>verweisen. Wir beg<strong>in</strong>nen dann nicht nur zu verstehen, was <strong>der</strong> o<strong>der</strong> <strong>der</strong> gedacht hat - <strong>in</strong>e<strong>in</strong>er <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> ist das ja ohneh<strong>in</strong> recht dürftig -, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong>wiefern <strong>die</strong> Denkermite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Zusammenhang bilden, <strong>in</strong> dem er e<strong>in</strong>e sich so auf den an<strong>der</strong>en bezieht,<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e so, alle aber eben doch bestimmte Grundlagen teilen. Wenn e<strong>in</strong> solches Netzvon Verb<strong>in</strong>dungen, von philosophischen Gedanken entsteht, dann ist e<strong>in</strong> essentiellerZweck <strong>der</strong> Vorlesung erreicht. Es ist also wenig s<strong>in</strong>nvoll, <strong>die</strong> besprochenen Abhandlungennur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er abstrakten Reihe zu betrachten. Die Denker <strong>der</strong> <strong>Neuzeit</strong> wussten, was <strong>der</strong>jeweils an<strong>der</strong>e dachte, und sie reagierten darauf.Thomas Hobbes z.B. kannte Descartes. Er schrieb e<strong>in</strong>e obiectio zu den Meditationes. In<strong>die</strong>ser obiectio richtete sich e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> E<strong>in</strong>wände gegen Descartes‘ Differenzierung zweierendlicher Substanzen, nämlich <strong>der</strong> res cogitans und <strong>der</strong> res extensa: „<strong>die</strong> res cogitansmuss etwas Körperliches se<strong>in</strong>, denn, wie es sche<strong>in</strong>t, s<strong>in</strong>d alle Subjekte von Tätigkeiten alsetwas Körperliches, Materielles aufzufassen“, schreibt Hobbes. Hobbes bezweifelt also,dass es e<strong>in</strong> immaterielles Denken gibt, e<strong>in</strong>e immaterielle Seele, bzw. er bezweifelt, dass<strong>die</strong> <strong>Philosophie</strong> <strong>die</strong>se <strong>in</strong> ihrer Existenz beweisen kann. Das aber entfernt Hobbes nicht soweit von Descartes, dass <strong>die</strong>se sozusagen nichts mehr mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zu tun haben.Denn 1. sah auch Descartes <strong>die</strong>ses Problem, <strong>in</strong>dem er <strong>die</strong> Seele <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er gewissenH<strong>in</strong>sicht mit <strong>der</strong> Zirbeldrüse im Gehirn verband, d.h. selbst wusste, dass <strong>in</strong> <strong>der</strong> völligenUnabhängigkeit <strong>der</strong> beiden Substanzen e<strong>in</strong>e Schwierigkeit liegt; und 2. liegt zwischen <strong>der</strong>Auffassung <strong>der</strong> Natur bei Hobbes und Descartes kaum e<strong>in</strong> Unterschied vor. Für Descartesist <strong>die</strong> Natur re<strong>in</strong>e Extension, Ausdehnung, <strong>in</strong> <strong>der</strong> es Bewegung gibt, <strong>die</strong> re<strong>in</strong>eOrtsbewegung ist. Alles ist nicht nur Stoff, son<strong>der</strong>n aus e<strong>in</strong>er Art von Stoff bestimmt.Dieser ist korpuskular unendlich teilbar, weswegen Descartes nicht als Atomistanzusprechen ist. In e<strong>in</strong>er solchen Natur geschieht alles mechanisch, <strong>in</strong>dem e<strong>in</strong> Körperauf den an<strong>der</strong>en e<strong>in</strong>wirkt. Die sich bewegenden Körper ersche<strong>in</strong>en als „Masch<strong>in</strong>en“, alsmechanische Gebilde, <strong>die</strong>, im Falle <strong>der</strong> Tiere, noch nicht e<strong>in</strong>mal Affekte haben, weil Tieren<strong>die</strong> res cogitans nicht eignet, nach Descartes. Das ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Konsequenz auch bei Hobbesso. Hobbes ist Materialist, <strong>die</strong> Körper bee<strong>in</strong>flussen sich kausal gegenseitig, ohne dassihnen e<strong>in</strong> immaterielles Denken zugesprochen werden könnte. Insofern ist <strong>der</strong> Leviathan,<strong>der</strong> Staat, nichts an<strong>der</strong>es als e<strong>in</strong> artificial animal mit e<strong>in</strong>er artificial soul, man könnte auchsagen, ganz und gar technisches Produkt des Menschen. Und betrachten wir den Staatnicht genauso? Ist nicht auch für uns <strong>der</strong> Staat e<strong>in</strong> technisches Produkt des Menschen?Dar<strong>in</strong> besteht also e<strong>in</strong>e große Mo<strong>der</strong>nität des Thomas Hobbes.46
Ich habe dabei zunächst darauf h<strong>in</strong>gewiesen, wie Hobbes reason, Vernunft, bestimmt.Reason ist bei Hobbes reckon<strong>in</strong>g. E<strong>in</strong>e solche Bestimmung <strong>der</strong> Vernunft ist natürlich auchauf den grundlegenden Materialismus abgestimmt. Wenn wir den Menschen betrachten,wie er sich im Naturzustand bef<strong>in</strong>det und ihn dann verlässt, dann gehört dazu nichtsan<strong>der</strong>es als Berechnung, sowohl im Naturzustand als auch an <strong>der</strong> Stelle se<strong>in</strong>esVerlassens.Im Naturzustand geht es dem Menschen darum, zu überleben. Das kann er nur, <strong>in</strong>dem ersich <strong>die</strong> Mittel sichert, mit und von denen er nichts an<strong>der</strong>es als leben kann (selbst wennHobbes auch von Vergnügen spricht, geht es zunächst um <strong>die</strong> bloße Selbsterhaltung).Dabei besteht <strong>die</strong> Rechnung schon dar<strong>in</strong>, dass <strong>der</strong> Mensch kalkulieren kann, wie <strong>der</strong> sich<strong>die</strong> Mittel gegen e<strong>in</strong>en o<strong>der</strong> mehrere An<strong>der</strong>e sichert, d.h. wie er den o<strong>der</strong> <strong>die</strong> An<strong>der</strong>en <strong>in</strong>Schach hält bzw. tötet. Das bedeutet natürlich auch, er muss im Blick haben, wie <strong>die</strong>An<strong>der</strong>en ihn nicht töten können. Es geht um Sicherheit - und wenn ich nicht sehen würde,dass es e<strong>in</strong> wenig fragwürdig ist, hier an <strong>die</strong> certitudo des cogito bei Descartes zuer<strong>in</strong>nern, dass wir also am Beg<strong>in</strong>n <strong>der</strong> Wissenschaft e<strong>in</strong>e absolut sichere Erkenntnisbrauchen - dann würde ich eben doch genau daran er<strong>in</strong>nern. - Mit an<strong>der</strong>en Worten: <strong>in</strong> <strong>der</strong><strong>Neuzeit</strong> geht es vielfach darum, den Menschen <strong>in</strong> Sicherheit zu br<strong>in</strong>gen. Leibniz ist e<strong>in</strong>Miterf<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>der</strong> Lebensversicherung, d.h. ihrer mathematischen Ermöglichung. Das ist e<strong>in</strong>bemerkenswertes Phänomen, f<strong>in</strong>de ich.So rechnet sich dann auch <strong>der</strong> Mensch vernünftig aus, dass er im Naturzustand wenigerÜberlebenschancen hat als im Staat. Jedenfalls hat er im Staat, wie wir sehen werden,nicht stets damit zu tun, für se<strong>in</strong> bloßes Überleben zu arbeiten. Die ständige Furcht vore<strong>in</strong>em gewaltsamen Tod bei gleichzeitigem Verlangen nach D<strong>in</strong>gen, <strong>die</strong> das Lebenangenehm machen, führen dazu, dass <strong>der</strong> Mensch sich e<strong>in</strong>verstanden erklärt, e<strong>in</strong>enVertrag abzuschließen. Die Vernunft legt, so Hobbes, geeignete Friedensartikel nahe, auf<strong>der</strong>en Grundlage dann <strong>der</strong> Vertrag geschlossen werden könne.Diese Friedensartikel (Friede ist bei Hobbes Nicht-Krieg) s<strong>in</strong>d Naturgesetze, sagt Hobbes.E<strong>in</strong> Naturgesetz, e<strong>in</strong>e lex naturalis, wird unterschieden vom jus naturale, vom Naturrecht.Über das sagt Hobbes, dass <strong>der</strong> Mensch von Natur aus das Recht habe, se<strong>in</strong>er Freiheitgemäß alles für se<strong>in</strong>e Selbsterhaltung zu tun, d.h. se<strong>in</strong>e ihm zur Verfügung stehendeMacht dafür e<strong>in</strong>zusetzen. Dieses Naturrecht wird <strong>der</strong> Mensch auch im Staat nichtverlieren. Hobbes geht davon aus, dass <strong>der</strong> Mensch z.B. von Natur das Recht dazu hat,sich <strong>der</strong> Polizei zu wi<strong>der</strong>setzen, wenn <strong>die</strong> ihm se<strong>in</strong>e Freiheit nehmen will (Freiheit heißt fürHobbes, sich frei bewegen zu können). D.h. freilich nicht, dass <strong>die</strong> Polizei ke<strong>in</strong> Rechthabe, sie ihm zu nehmen. Im Gegenteil, wie wir sehen werden.47
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entwickeln. Ein Blinder kann sich k
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Für Hume steht aber zunächst etwa