Das ist <strong>der</strong> Zweifelsgang, wie Descartes ihn <strong>in</strong> <strong>der</strong> ersten Meditation vollzieht. Das, was erbesagt, ist: es gibt ke<strong>in</strong>e Gewissheit (certitudo). Das ist aber e<strong>in</strong> wichtiger Gedanke, <strong>der</strong>kurz auch erläutert werden muss. Wahrheit und Gewissheit s<strong>in</strong>d nicht ganz dasselbe.Zwar ist all das, was gewiss ist, auch wahr. Doch es gibt Wahres, das braucht noch nichtgewiss zu se<strong>in</strong>. Wenn ich Ihnen jetzt mitteilen würde, dass <strong>in</strong> Frankfurt e<strong>in</strong>e schwereterroristische Attacke stattgefunden hat, dann könnte das wahr se<strong>in</strong> - doch Sie werdensich so verhalten, als wäre das noch nicht gewiss. Sie werden me<strong>in</strong>e Mitteilungüberprüfen, sie auf ihren Wahrheitsgehalt h<strong>in</strong> untersuchen. Erst wenn Sie sich zureichend<strong>in</strong>formiert haben, werden Sie Gewissheit haben. Freilich - und das ist ja hier wichtig -selbst wenn Sie <strong>die</strong> Sachen aus dem Fernsehen erfahren, könnte das doch immer noche<strong>in</strong>e große Fiktion se<strong>in</strong>. Schließlich könnte doch das Fernsehen o<strong>der</strong> könnten <strong>die</strong> Me<strong>die</strong>nuns doch e<strong>in</strong>fach etwas vorspielen.Descartes wäre aber ke<strong>in</strong> Denker, wenn er nicht selber <strong>die</strong> Gewissheit def<strong>in</strong>ieren würde.Nach Descartes gibt es nämlich e<strong>in</strong>e regula generalis, e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e Regel, an <strong>der</strong> iche<strong>in</strong>e wahre Erkenntnis erkennen kann: nämlich dass ich das Wahre klar und deutliche<strong>in</strong>sehe (clare et dist<strong>in</strong>cte percipio). Ich sehe das klar und deutlich e<strong>in</strong>, von dem ich e<strong>in</strong>eklare und deutlich Idee (idea) besitze. Dazu später. Wir werden sehen, dass zur völligenGewissheit noch etwas dazugehört, dass es sozusagen e<strong>in</strong>e Bed<strong>in</strong>gung <strong>der</strong> Möglichkeit<strong>der</strong> Gewissheit gibt.Descartes sucht nach Gewissheit und spielt <strong>die</strong> Möglichkeit durch, dass nichts gewiss ist.Denn es könnte ja e<strong>in</strong> Riesenmedium (e<strong>in</strong> böser Geist) alles nur ersche<strong>in</strong>en lassen, ohnedass etwas so ist, wie es sche<strong>in</strong>t. An <strong>die</strong>ser Stelle geschieht <strong>die</strong> Wendung. Es wird e<strong>in</strong>eGewissheit gefunden.Descartes hat mit <strong>der</strong> Generalverdächtigung, alles könnte e<strong>in</strong>e Fiktion se<strong>in</strong>, sich vor allemdarauf bezogen, dass ke<strong>in</strong>e S<strong>in</strong>neswahrnehmung, ke<strong>in</strong> Körper, ke<strong>in</strong>e Gestalt, ke<strong>in</strong>eAusdehnung, ke<strong>in</strong>e Bewegung und ke<strong>in</strong> Ort existieren. Mit an<strong>der</strong>en Worten: all das, waswir für <strong>die</strong> objektiv existierende Welt halten - h<strong>in</strong>zugerechnet den eigenen Körper, <strong>der</strong> <strong>in</strong><strong>der</strong> Tat ja auf e<strong>in</strong>e bestimmte Weise zur Welt gehört. Nun aber stutzt Descartes und erfragt: „B<strong>in</strong> ich etwa so an den Körper und <strong>die</strong> S<strong>in</strong>ne gebunden, dass ich ohne sie nichtse<strong>in</strong> kann?“ An <strong>die</strong>ser Stelle bricht <strong>der</strong> Riss zwischen res extensa und res cogitans auf,zwischen den beiden endlichen Substanzen, von denen am Anfang <strong>die</strong> Rede war. Es me<strong>in</strong>Denken und es gibt offenbar me<strong>in</strong>en Körper (d.h. <strong>die</strong> ausgedehnte Welt). Wie steht denn<strong>die</strong>ses Denken zur ausgedehnten Welt? Und - e<strong>in</strong>e noch wichtigere Frage - <strong>die</strong> Frageüberhaupt an <strong>die</strong>ser Stelle - <strong>die</strong>se riesige Fiktion des bösen Geistes - bezieht <strong>die</strong> sich aufdas Denken genauso wie auf <strong>die</strong> ausgedehnte Welt?26
Es gibt e<strong>in</strong>en bösen Geist, <strong>der</strong> mich täuscht - das ist <strong>die</strong> Annahme. Gut, er mag michtäuschen, aber er muss doch mich täuschen. Wenn er mich täuscht, so muss dochunzweifelhaft gegeben se<strong>in</strong>, dass ich b<strong>in</strong>. Nun sagt Descartes: „Er täusche mich, soviel erkann, niemals wird er doch fertigbr<strong>in</strong>gen, dass ich nichts b<strong>in</strong>, solange ich denke, dass ichetwas sei.“ Das ist <strong>der</strong> Schritt zu jener so berühmten Formulierung: cogitatio est, ego sum,ego existo, certum est. Das Denken ist es. Ich b<strong>in</strong>, ich existiere, das ist gewiss. Das ist <strong>der</strong>Gedanke, <strong>der</strong> <strong>in</strong> den Worten: ego cogito, ergo sum (je pense, donc je suis.) gefasst wird,e<strong>in</strong>e Formulierung, <strong>die</strong> so <strong>in</strong> den Meditationen nicht auftaucht, <strong>die</strong> aber doch <strong>der</strong> Sachenach dort geme<strong>in</strong>t ist.Was heißt das? Der Zweifel kann an allem zweifeln, nicht aber, dass e<strong>in</strong> Subjektvorausgesetzt werden muss, dass <strong>die</strong>sen Zweifel vollzieht. Zu <strong>die</strong>ser Erkenntnis kommtDescartes eben durch <strong>die</strong>sen Zweifel. Diese Erkenntnis ist aber gewiss - was ihrenCharakter ausmacht. Es kann ja se<strong>in</strong>, dass alles e<strong>in</strong>e Täuschung ist, ich kann aber nichtgetäuscht werden darüber, dass ich vorausgesetzt werden muss, um getäuscht zuwerden. Das ego cogito, ergo sum ist demnach <strong>die</strong> erste Gewissheit, <strong>die</strong> erste Gewissheit<strong>der</strong> prima philosophia, das fundamentum absolutum <strong>in</strong>concussum - wie man <strong>in</strong>Cartesianischer Diktion gesagt hat, d.h. das absolute unerschütterliche Fundament. D.h.<strong>der</strong> Satz ich denke, also b<strong>in</strong> ich, ist <strong>der</strong> erste absolut gewisse Satz e<strong>in</strong>er Wissenschaft, <strong>die</strong>nun e<strong>in</strong> festes Fundament besitzt.Das hat e<strong>in</strong>e große Wirkung gehabt. Rufen wir uns noch e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung, was Hegelüber Descartes gesagt hat. 1. hat er gesagt, dass Descartes noch e<strong>in</strong>mal mit allem neuangefangen habe. Wir haben bereits gehört, dass Descartes das selbst sagt. 2. sagtHegel aber auch noch: „Mit ihm treten wir eigentlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e selbständige <strong>Philosophie</strong> e<strong>in</strong>,welche weiß, daß sie selbständig aus <strong>der</strong> Vernunft kommt und daß das Selbstbewusstse<strong>in</strong>wesentliches Moment des Wahren ist.“ Dieser Satz bezieht sich auf das fundamentumabsolutum <strong>in</strong>concussum, ego cogito, ergo sum. Hegel fasst <strong>die</strong>se erste Erkenntnis - als <strong>die</strong>Descartes den Satz versteht - als e<strong>in</strong>e Erkenntnis <strong>der</strong> Vernunft, <strong>die</strong> sich selbständig zu<strong>die</strong>ser Erkenntnis gebracht hat. So werde das „Selbstbewusstse<strong>in</strong>“ - Hegel spricht auchvon <strong>der</strong> „Subjektivität“ - „wesentliches Moment des Wahren“ - d.h. dass das Subjekt undse<strong>in</strong> sich über sich selbst verständigen nun zu allem gehört, was jemals gewusst werdenkann. Denn <strong>der</strong> Satz, ich denke, also b<strong>in</strong> ich, impliziert nach Hegel den Gedanken, dass<strong>die</strong>ses Ich bei je<strong>der</strong> Erkenntnis als e<strong>in</strong> Selbstverhältnis anwesend se<strong>in</strong> muss. Erkenntnisbedeutet: dass ich weiß, dass ich <strong>die</strong>se Erkenntnis habe, bedeutet, dass ich mich selbstweiß, dass ich mir selbst bewusst b<strong>in</strong>.Gewiss - das ist e<strong>in</strong>e Interpretation, doch <strong>die</strong>se Interpretation ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong><strong>Philosophie</strong> sehr mächtig geworden. Man hat Descartes gleichsam zum Begrün<strong>der</strong> <strong>der</strong>Subjektivitätsphilosophie o<strong>der</strong> -theorie gemacht, zum Stifter e<strong>in</strong>er Tradition, <strong>die</strong> sich als27
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offenbar auch kein Fenster haben ka
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Die Kritik an den Cartesianern ist
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Die Differenz zum Tier ist also nic
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Mathematik, was wenig überzeugt (d
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Böse möglich, wenn doch Gott notw
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Hegel schreibt in seiner Vorrede zu
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Körper keinen Unterschied zu geben
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Gegenstand nähern will. Das ist fr
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demnach in der Materie das Denken,
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den dogmatischen Schlummer unterbra
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entwickeln. Ein Blinder kann sich k
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Für Hume steht aber zunächst etwa