alles, was sich bewegt, auch als <strong>der</strong> Ste<strong>in</strong>. Wie ich sagte: <strong>der</strong> Mensch ist Teil <strong>der</strong> Natur -und warum sollte er an<strong>der</strong>s verursacht se<strong>in</strong> als e<strong>in</strong> Fisch im Wasser.Aber - bei <strong>die</strong>sem Gedanken bleibt Sp<strong>in</strong>oza nicht stehen: noch haben wir den ganzenSkandal nicht verstanden. Wir haben jetzt verstanden: unsere sich an Zweckursachenorientierenden Urteile s<strong>in</strong>d Vorurteile. Wir kennen <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zelnen Ursachen nicht, <strong>die</strong> unshandeln lassen, <strong>in</strong>dem wir uns bewusst s<strong>in</strong>d, dass wir überhaupt etwas wollen. (DiesesEtwas macht uns Lust, sagt Sp<strong>in</strong>oza, aber wir wollen das auf sich beruhen lassen.) Wir tun<strong>in</strong> <strong>die</strong>ser H<strong>in</strong>sicht genau das, was alle D<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> <strong>der</strong> Natur tun: wir wollen <strong>in</strong> unserem Se<strong>in</strong>verharren. Wie steht es aber um <strong>die</strong> D<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> <strong>der</strong> Natur? Handeln <strong>die</strong>se D<strong>in</strong>ge, weil esZwecke für sie gibt, nach denen sie streben? Wächst <strong>der</strong> Baum, weil er blühen will?Regnet es, damit <strong>die</strong> Pflanzen wachsen? Sche<strong>in</strong>t <strong>die</strong> Sonne, damit wir gute Launebekommen? Gibt es Korkeichen, damit wir den Kork für unsere We<strong>in</strong>flaschen nutzenkönnen?Ich er<strong>in</strong>nere an jene Stelle aus dem vierten Teil <strong>der</strong> Ethik, <strong>die</strong> lautet: „aeternum namqueillud, & <strong>in</strong>f<strong>in</strong>itum Ens, quod Deum, seu Naturam appellamus, eadem, qua existit,necessitate agit.“ „Jenes ewige und endliche Seiende, das wir Gott o<strong>der</strong> Natur nennen,handelt vielmehr mit <strong>der</strong>selben Notwendigkeit, mit <strong>der</strong> es existiert.“ Die Natur handelt mitNotwendigkeit, und zwar mit <strong>der</strong>selben, mit <strong>der</strong> sie existiert. (Sp<strong>in</strong>oza will nicht <strong>die</strong>Existenz <strong>der</strong> Natur als kont<strong>in</strong>gent betrachten, weil das dem Begriff <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Substanz,dem Begriffe Gottes nicht eignet - Gott kann nur notwendig (nicht zufällig) existieren - undweil eben etwas existiert als Moment <strong>der</strong> göttlichen Substanz, muss <strong>die</strong>se notwendigexistieren). Doch was me<strong>in</strong>t <strong>die</strong>se Notwendigkeit?Wie geschieht das, was <strong>in</strong> <strong>der</strong> Natur geschieht? Es geschieht nach mathematischenGesetzen. Sp<strong>in</strong>oza sagt im Anhang zum ersten Teil, dass „<strong>die</strong> Wahrheit demMenschengeschlecht <strong>in</strong> Ewigkeit verborgen geblieben wäre, wenn nicht <strong>die</strong>Mathematik“ „den Menschen e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>en Norm (Regel) <strong>der</strong> Wahrheit gezeigt hätte“. Also<strong>die</strong> Mathematik. Wie schon bei Descartes und bei Hobbes spricht Sp<strong>in</strong>oza <strong>der</strong> Mathematike<strong>in</strong>e alles überragende Rolle zu - <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Text, <strong>in</strong> welchem <strong>der</strong> mos geometricus wiesonst nirgendwo zur Anwendung kommt. Nun sagt aber Sp<strong>in</strong>oza noch etwas über <strong>die</strong>Mathematik, das an <strong>die</strong>ser Stelle sehr wichtig ist: sie beschäftige sich „nicht mit Zwecken,son<strong>der</strong>n nur mit dem Wesen und den Eigenschaften <strong>der</strong> Figuren“. Das sche<strong>in</strong>t so geme<strong>in</strong>tzu se<strong>in</strong>: <strong>die</strong> W<strong>in</strong>kelsumme im Dreieck beträgt <strong>die</strong> Summe se<strong>in</strong>er Innenw<strong>in</strong>kel, d.h. <strong>die</strong>Summe zweier rechter W<strong>in</strong>kel und d.h. 180 Grad. Hat das Dreieck aber e<strong>in</strong>en Zweck?Können Sie damit e<strong>in</strong>en Nagel <strong>in</strong> <strong>die</strong> Wand schlagen?Allerd<strong>in</strong>gs kommt es nicht nur darauf an, dass wir erkennen, dass <strong>die</strong> geometrischenKörper ke<strong>in</strong>en Zweck haben, son<strong>der</strong>n dass <strong>die</strong> Natur, soweit sie <strong>der</strong> mathematischen62
Erkenntnis zugänglich ist, ke<strong>in</strong>e Zweckursachen hat. In ihr geschieht alles nachmathematischen Gesetzen notwendig. Wir bauen e<strong>in</strong>en Kran, weil wir <strong>die</strong> Hebelgesetzekennen, <strong>die</strong> mit Notwendigkeit verwirklichen, was sie verwirklichen. Wir können den Kranbzw. se<strong>in</strong>e Produktion mit Berechnung realisieren. Und weil das so ist, ist z.B. <strong>die</strong>Produktion von Kränen, mith<strong>in</strong> <strong>die</strong> Technik überhaupt, so erfolgreich. Denken Sie bloße<strong>in</strong>mal, was von uns alles berechnet wird und wie hervorragend das alles funktioniert. Dasgeht nur so, weil je<strong>der</strong> e<strong>in</strong>zelne Schritt von Ursache zu Wirkung den mathematischenGesetzen mit Notwendigkeit unterliegt. Das steckt doch be<strong>in</strong>ahe <strong>in</strong> jedem Seienden -denken Sie an den digitalen Computer, an das Internet - das ist alles Mathematik. DenkenSie an <strong>die</strong> Banken, an <strong>die</strong> Ökonomie, den Kapitalismus, auch das ist alles Mathematik.Und nach Sp<strong>in</strong>oza funktioniert das Alles von Ewigkeit mit Notwendigkeit, weil das zumWesen <strong>der</strong> Natur gehört.Das bedeutet: <strong>die</strong> Natur hat sich ke<strong>in</strong>en Zweck vorgesetzt. Die Zweckursachen, sagt er,s<strong>in</strong>d „nichts als menschliche E<strong>in</strong>bildungen“. Das ist <strong>die</strong> Absage an e<strong>in</strong>en Aristotelismus,<strong>der</strong> sich bis <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Neuzeit</strong> erhalten hat. Die Sonne sche<strong>in</strong>t nicht, weil wir das so schönf<strong>in</strong>den und Gott uns lieb hat. Es regnet nicht, weil <strong>die</strong> Pflanzen wachsen sollen, son<strong>der</strong>nes regnet, weil irgendwelche Wetterbewegungen zur Wolkenproduktion geführt hat, <strong>der</strong>W<strong>in</strong>d <strong>die</strong>se <strong>in</strong> <strong>die</strong>se Richtung getragen und das Gewicht <strong>der</strong> Wassertropfen genau zu<strong>die</strong>sem Zeitpunkt so groß geworden ist, dass sie eben genau dann zur Erde fielen - wasnach Sp<strong>in</strong>oza bis <strong>in</strong>s Unendliche zurück verfolgt werden könnte. Diese Absage an e<strong>in</strong>enatürliche Teleologie gehört zum Charakter <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Naturwissenschaft. Es gibt <strong>in</strong><strong>der</strong> Natur ke<strong>in</strong>e Zwecke. Und wir Menschen s<strong>in</strong>d nach Sp<strong>in</strong>oza nichts an<strong>der</strong>es als Wesen<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en und göttlichen Natur, also gibt es auch für den Menschen nur e<strong>in</strong>bildungsmäßigeZwecke, so wie es e<strong>in</strong>e illusionäre Freiheit gibt.Denken wir das noch <strong>in</strong> zwei Schritten weiter. Ich werde noch zwei Propositionen aus demersten Teil <strong>der</strong> Ethik zitieren und mit ihnen durchdenken, damit wir das ganze Panorama<strong>die</strong>ser skandalösen <strong>Philosophie</strong> vor uns haben. Also: es gibt ke<strong>in</strong>en freien Willen, allesgeschieht mit mathematischer Notwendigkeit, es gibt ke<strong>in</strong>e Zweckursachen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Natur.Das impliziert folgenden Gedanken: „In <strong>der</strong> Natur <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge gibt es nichts Zufälliges(cont<strong>in</strong>gens), son<strong>der</strong>n alles ist aus <strong>der</strong> Notwendigkeit <strong>der</strong> göttlichen Natur bestimmt, aufgewisse Weise zu existieren und zu wirken.“ Das ist <strong>die</strong> Propositio 29. Ich br<strong>in</strong>ge <strong>die</strong>senLehrsatz hier noch, weil Ihnen vielleicht hätte e<strong>in</strong>fallen können, nach dem Zufall zu fragen.Es gibt nach Sp<strong>in</strong>oza ke<strong>in</strong>en Zufall, kann ihn nicht geben. Die Frage nach dem Zufall istnatürlich <strong>in</strong>teressant. Wir reden davon, dass etwas Zufall war o<strong>der</strong> ist. Doch wenn alleD<strong>in</strong>ge <strong>der</strong> Natur verursacht s<strong>in</strong>d, wenn sie nach dem Gesetz von Ursache und Wirkunggeschehen, kann es ke<strong>in</strong>en Zufall geben. Sp<strong>in</strong>oza hat e<strong>in</strong> Beispiel, das er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em etwasan<strong>der</strong>en Kontext verwendet, aber das ist gleichgültig: jemand wird von e<strong>in</strong>er Dachpfanneerschlagen. Wir sagen, das war Zufall (Pech). Doch Sp<strong>in</strong>oza weist darauf h<strong>in</strong>, dass wir63
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Einführung in die Philosophie der
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Eine Sicht, die ich persönlich fav
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letzthinnigen Prüfung dessen, was
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auf die Staatsform als solche, auf
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See ,Land‘ rufen; Cartesius ist e
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