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Langenberger Kulturlexikon - unter der muren

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Am Montag, den 9. November 1863, veröffentlicht "Die Süddeutsche Zeitung,<br />

Frankfurt/Main (Abendblatt)" folgendes von Georg Gottlob Jung verfasstes Manifest:<br />

Zu Langenberg in Rheinpreußen ist ein Brief des dort neu gewählten Abg. G. Jung eingelaufen,<br />

in welchem es heißt:<br />

"Seitdem mein Name mit den Ereignissen <strong>der</strong> Jahre 1848 und 49 in Berlin verflochten war, und meine<br />

damalige Thätigkeit in den stenographischen Berichten, sowie in den geschichtlichen Relationen <strong>der</strong> damaligen<br />

Zeit (am ausführlichsten in Streckfuß: "Freies Preußen") vor Aller Augen lag, habe ich es mir zum Princip<br />

gemacht, nur auf einen bestimmten Ruf als Candidat noch aufzutreten. Nun haben Sie mich gewählt, und noch<br />

an<strong>der</strong>e meiner Collegen aus dem Jahre 1848 werden zum ersten Male wie<strong>der</strong> die Ehre haben, das preußische<br />

Volk zu vertreten. Das darüber ängstliche Gemüther in eine gewisse Unruhe gerathen, mag sein; wenn es aber<br />

ihnen nachginge, so würden wir uns noch am Anfang aller Geschichte befinden, da je<strong>der</strong> Fortschritt dieselben<br />

Befürchtungen erzeugen muß. Daß so krankhafter Phantasie dabei manchmal das Jahr 1848 mit seinen Unruhen<br />

wie<strong>der</strong> auftauchen mag, ist bei solchen Gemüthern natürlich. Der denkende Mensch sagt sich aber:<br />

vor 1848 hatten wir keine freie Presse, keine Volksmänner, keine öffentliche Reden und Vereine, und <strong>der</strong><br />

vereinigte Landtag war ein sehr ungefährliches Institut, an welchem das Volk wenig Theil nahm, und dennoch<br />

verpflanzte sich die französische Februar-Revolution auch auf preußischen Boden, welches wahrlich nicht<br />

geschehen wäre, wenn man die liberalen Grundsätze Stein´s mit den versprochenen Reichsständen vollendet und<br />

gekrönt hätte, statt sich fortwährend zu verkümmern, und das Volk in Unmündigkeit zu erhalten.<br />

Schon deshalb, weil wir eine Revolution für ein Unglück halten, wollen wir den vollen aufrichtigen Aufbau<br />

unserer Verfassung, denn ein Volk welches selbst seine Angelegenheiten frei mitbestimmt, das revolutionirt<br />

nicht, es wird sich doch nicht selbst schlagen wollen.<br />

Von an<strong>der</strong>er Seite klagt man über das Verschwinden <strong>der</strong> Mittelparteien, über Verschärfung des Conflicts durch<br />

entschiedene Wahlen, die man wohl gar dem Volk als Unbesonnenheit anrechnen will, - und man prophezeit<br />

Ueberstuerzung. Zunächst haben wir diesen Jammer schon oft gehört. Bei den Wahlen Waldeck´s, Kirchmann´s,<br />

Becker´s und An<strong>der</strong>n. Wir haben aber seit dem Eintritt dieser Männer von keinen Überstürzungen gehört (die<br />

lebhaften Scenen im Abgeordnetenhause wurden gerade durch Männer wie von Sybel und Bockum-Dollfs<br />

herbeigeführt).<br />

Wohl aber haben wir gesehen, daß das Haus immer fester wurde in dem Grundsatz:<br />

Wir sind nicht abgesandt um zu diplomatisiren, zu handeln mit den verbrieften Rechten des Volkes,<br />

wir können daß beschworene Recht des Volks an <strong>der</strong> Gesetzgebung und <strong>der</strong> Steuerbewilligung nicht erst noch<br />

wie<strong>der</strong> erkaufen, indem wir gegen unsere Ueberzeug dem Volke unproductive Leistungen und Abgaben<br />

aufbürden. Es würde auch ein solcher Handel in doppelter Weise ver<strong>der</strong>blich sein.<br />

Bei einem Ministerium, dem dies einmal gelungen, würde fortan das Recept gelten:<br />

"dreimal zuviel for<strong>der</strong>n, mit Bruch <strong>der</strong> Verfassung drohen, auch beginnen, - und man erhält was man will."<br />

Die große Masse des Volkes aber würde allem constitutionellen Wesen abhold werden, von dem es nur eine<br />

Vergrößerung <strong>der</strong> Lasten einerntet, die die absolute Regierung allein nicht aufzulegen wagte.<br />

So würden wir denn dem Vormunds- und Polizeistaat vormärzlichen Angedenkens und bei dem nächsten<br />

europäischen Gewitter einem neuen, dann aber weit gefährlicheren Jahre 1848 entgegengetrieben.<br />

Es handelt sich bei uns um einen Principienkampf, und <strong>der</strong> kann nicht durch Verschieben, Nachgeben us.w.<br />

vertuscht, <strong>der</strong> muß eben ausgekämpft werden.<br />

Die Altliberalen haben drei Jahre lang die Gel<strong>der</strong> <strong>unter</strong> an<strong>der</strong>em Namen bewilligt, die Entscheidung über die<br />

Heeresorganisation aber abgelehnt, - die Folge davon war, daß später das Ministerium behauptete,<br />

im guten Glauben gewesen zu sein, die Landesvertretung billige dieselbe.<br />

Vor allen Dingen aber mußte die vollständige Machtlosigkeit, in <strong>der</strong> man ihre das Staatsministerium<br />

innehabenden Freunde <strong>der</strong> feudalen Partei und dem Herrenhause gegenüber ließ, diesen Herren die Augen<br />

darüber öffnen, daß man sie nur dazu gebrauchen wollte, <strong>der</strong> alten büreaukratischen Bollgewalt ein populäres<br />

Mäntelchen umzuhängen.<br />

"Das Volk in seinem dunkeln Drange<br />

Ist sich des rechten Weges wohl bewußt."<br />

Und es hat einen sicheren Tact bewährt, wenn es diese Herren trotz ihrer sonstigen Fähigkeiten nicht wie<strong>der</strong><br />

wählte. Das ewige Abwägen zwischen Erreichbaren und nicht Erreichbaren bei einfachen Fragen geschriebenen<br />

und beschworenen Rechtes <strong>unter</strong>gräbt den Rechtssinn sowohl nach oben als nach unten. Wir wollen aber,<br />

wenn wir sonst nichts retten können, den ausgebildeten Rechtssinn des Volkes als heiliges Vermächtnis <strong>der</strong><br />

besseren Zukunft übermachen, und dem Ministerium, mag es wie<strong>der</strong> und wie<strong>der</strong> auflösen, mehr und mehr<br />

octroyieren, mit dem großen Kurfürsten zurufen:<br />

Ex ossibus ultor!"<br />

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