Sucht und Männlichkeit - Bundesamt für Gesundheit - admin.ch
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2. Die Frage der <strong>Männli<strong>ch</strong>keit</strong><br />
2.1 „Ein Mann werden“ oder „Doing Gender“<br />
Bereits vor der Geburt sind Unters<strong>ch</strong>iede zwis<strong>ch</strong>en den Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tern vorhanden.<br />
Da die Spermatozoiden, die das Y-Chromosom tragen, s<strong>ch</strong>neller<br />
sind als jene mit dem X-Chromosom, entstehen bei der Befru<strong>ch</strong>tung<br />
offenbar mehr männli<strong>ch</strong>e Embryonen. Kurz na<strong>ch</strong> der Befru<strong>ch</strong>tung sind<br />
diese wesentli<strong>ch</strong> empfindli<strong>ch</strong>er als weibli<strong>ch</strong>e Embryonen <strong>und</strong> sterben<br />
häufiger ab (8) . Im weiteren Verlauf ist der männli<strong>ch</strong>e Fetus <strong>für</strong> alle Risiken,<br />
die vor der Geburt bestehen, weiterhin sehr anfällig. Diese vorgeburtli<strong>ch</strong>e<br />
Verletzbarkeit s<strong>ch</strong>eint si<strong>ch</strong> in den frühen Entwicklungsstadien des Kindes<br />
fortzusetzen. Einige Theorien stützen si<strong>ch</strong> auf biologis<strong>ch</strong>e <strong>und</strong> genetis<strong>ch</strong>e<br />
Tatsa<strong>ch</strong>en, um diesen Unters<strong>ch</strong>ied zwis<strong>ch</strong>en den Ges<strong>ch</strong>le<strong>ch</strong>tern teilweise<br />
zu erklären. Andere wiederum betonen die Auswirkung kultureller <strong>und</strong><br />
sozialer Faktoren, wel<strong>ch</strong>e diese Verletzli<strong>ch</strong>keit der Jungen no<strong>ch</strong> verstärken<br />
<strong>und</strong> zur männli<strong>ch</strong>en Identität beitragen. Es ist hier ni<strong>ch</strong>t das Ziel, alle<br />
soziologis<strong>ch</strong>en Theorien vorzustellen, die si<strong>ch</strong> mit der <strong>Männli<strong>ch</strong>keit</strong><br />
bes<strong>ch</strong>äftigen. Es wird hier ledigli<strong>ch</strong> auf einige dieser Theorien Bezug<br />
genommen.<br />
Die männli<strong>ch</strong>e Identität ist das Produkt eines aktiven Prozesses, der bereits<br />
im frühen Kindesalter beginnt. Weibli<strong>ch</strong>keit <strong>und</strong> <strong>Männli<strong>ch</strong>keit</strong> sind ni<strong>ch</strong>t<br />
einfa<strong>ch</strong> dur<strong>ch</strong> die Natur oder die Gesells<strong>ch</strong>aft bestimmt, sie werden erworben,<br />
gestaltet <strong>und</strong> inszeniert (Konzept des „Doing Gender“) (6) . Deshalb ist<br />
die Einstellung der Eltern ihrem Kind gegenüber einer der wi<strong>ch</strong>tigsten<br />
Faktoren <strong>für</strong> die Ausprägung seiner Identität. Da männli<strong>ch</strong>e Neugeborene<br />
weniger reif sind als weibli<strong>ch</strong>e, fordern sie von den Eltern wahrs<strong>ch</strong>einli<strong>ch</strong><br />
grössere Aufmerksamkeit. Dies zeigen einige Studien anhand von<br />
Interaktionen <strong>und</strong> Mimik (8) . Von ihrer frühen Kindheit an sind Jungen<br />
empfindli<strong>ch</strong>er, feinfühliger <strong>und</strong> ängstli<strong>ch</strong>er als Mäd<strong>ch</strong>en <strong>und</strong> su<strong>ch</strong>en<br />
mehr körperli<strong>ch</strong>en Kontakt zu erwa<strong>ch</strong>senen Bezugspersonen.<br />
Insbesondere Mütter setzen viel Energie <strong>und</strong> emotionale Bindung ein, um<br />
ihre Söhne zu beruhigen, wenn sie erregt sind. Einigen Autoren zufolge<br />
ges<strong>ch</strong>ieht dies zum Na<strong>ch</strong>teil der Entwicklung der Jungen. Mit zunehmendem<br />
Alter reagieren Jungen vermehrt auf dieses mütterli<strong>ch</strong>e Überengagement.<br />
Sie beginnen Kummer <strong>und</strong> S<strong>ch</strong>merzen mehr <strong>und</strong> mehr zu leugnen<br />
<strong>und</strong> ihre Gefühle zu verbergen, um ni<strong>ch</strong>t hilfsbedürftig zu ers<strong>ch</strong>einen,<br />
selbst wenn es nötig wäre. Dies ist viellei<strong>ch</strong>t eine Art <strong>und</strong> Weise, si<strong>ch</strong> von<br />
der liebevollsten erwa<strong>ch</strong>senen Person zu distanzieren, mit der sie die meiste<br />
Zeit verbringen: der Mutter <strong>und</strong> anderen Frauen, die sie betreuen (1, 9, 11) .<br />
Jungen, die in einer Einelternfamilie ohne Vater aufwa<strong>ch</strong>sen – weil er aufgr<strong>und</strong><br />
berufli<strong>ch</strong>er Verpfli<strong>ch</strong>tungen oder aus anderen Gründen nur selten<br />
anwesend ist –, bauen ihre männli<strong>ch</strong>e Identität no<strong>ch</strong> stärker als andere<br />
über die Distanzierung vom Bild der Mutter auf. Das Bedürfnis, si<strong>ch</strong> von<br />
dem, was in ihren Augen weibli<strong>ch</strong> ist, zu distanzieren, kann si<strong>ch</strong> au<strong>ch</strong> in<br />
einer übertriebenen Inszenierung von typis<strong>ch</strong> männli<strong>ch</strong>en Verhaltensweisen<br />
äussern. Dazu gehört au<strong>ch</strong> der Umgang mit der eigenen<br />
SUCHT UND MÄNNLICHKEIT: Gr<strong>und</strong>lagen <strong>und</strong> Empfehlungen<br />
Bereits der ganz kleine Junge<br />
verinnerli<strong>ch</strong>t, dass seine Gefühle<br />
<strong>für</strong> seine Bezugspersonen eine<br />
Last sein können