DER_SPIEGEL_30.12.21
n Politik und Gesellschaft stehen die Zeichen zum Jahresbeginn 2022 auf Neuanfang, und fürviele gilt das auch im eigenen Leben. Ein Team um Titelautorin Susanne Beyer hat sich mit den Mecha- nismen des Neustarts beschäftigt, mit den Risiken, Dramen, Schwierigkeiten, aber auch den Chan- cen. Die Redakteurinnen und Redakteure beschreiben jene kulturellen Einflüsse, die den Blick auf Anfänge prägen, und stellen Menschen vor, die den Neuanfang wagten und es nicht bereuen. Und Barbara Hardinghaus traf auf der kanarischen Insel La Palma drei Frauen aus Deutschland, die sich dort unabhängig voneinander ein neues Leben aufgebaut hatten – dann brach der Vulkan aus.
n Politik und Gesellschaft stehen die Zeichen zum Jahresbeginn 2022 auf Neuanfang, und fürviele
gilt das auch im eigenen Leben. Ein Team um Titelautorin Susanne Beyer hat sich mit den Mecha-
nismen des Neustarts beschäftigt, mit den Risiken, Dramen, Schwierigkeiten, aber auch den Chan-
cen. Die Redakteurinnen und Redakteure beschreiben jene kulturellen Einflüsse, die den Blick auf
Anfänge prägen, und stellen Menschen vor, die den Neuanfang wagten und es nicht bereuen. Und
Barbara Hardinghaus traf auf der kanarischen Insel La Palma drei Frauen aus Deutschland, die sich
dort unabhängig voneinander ein neues Leben aufgebaut hatten – dann brach der Vulkan aus.
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Spuren des Lebens
Als die Fotografin Herlinde
Koelbl, 82, die damals nahezu
unbekannte Angela Merkel zum
ersten Mal fotografierte, fiel ihr
auf, wie ungelenk die neue Ministerin
aus Ostdeutschland sich
vor der Kamera verhielt, wie sie
nicht wusste, wohin mit ihren
Händen. Es war das Jahr 1991,
Helmut Kohl hatte die 37-jährige
Merkel gerade in sein Kabinett
geholt, und Koelbl wollte
mit ihr über Macht sprechen
und sie, wie einige andere Politiker
auch, über einen längeren
Zeitraum einmal im Jahr fotografieren.
Merkel sah zunächst
keinen Sinn in dem Vorhaben,
schreibt Koelbl im Vorwort
ihres gerade im Taschen Verlag
erschienenen Fotobands »Angela
Merkel. Portraits 1991–2021«.
Sie hat trotzdem mitgemacht,
vielleicht aus merkelschem
Pflichtbewusstsein, vielleicht
auch, weil die Wissenschaftlerin
in ihr unterbewusst doch etwas
in der Versuchsanordnung erkannte,
deren Objekt sie selbst
war. Auf jenem ersten Bild aus
dem Oktober 1991 trägt Merkel
noch eine Strickjacke über dem
Rollkragenpullover, und es ist
fast irritierend, sie ohne den
Blazer mit den großen Clownsknöpfen
der späteren Regierungschefin
zu sehen. Auf dem
Foto von 1998 tauchen zum ersten
Mal die Hände in Rautenformation
auf, allerdings noch
etwas gekünstelt, es fehlt noch
an der Selbstverständlichkeit.
Danach kommt eine Lücke.
Koelbls ursprüngliches Projekt
»Spuren der Macht« war fertiggestellt.
Erst 2006 mit Merkel
als Kanzlerin setzt die Porträtserie
wieder ein, ein gewaltiger
Sprung: Der Blazer ist da, die
Halskette, und der Blick ist ein
anderer, kein suchender mehr,
allenfalls selbstbewusst fragend.
Der Kopf neigt sich immer stärker
nach rechts, während linker
Mundwinkel und linkes Augenlid
nach oben ziehen, sodass
ein beinahe verschmitzter Ausdruck
entsteht. 2021, genau
30 Jahre nach dem ersten Foto,
entstand das letzte Porträt,
und darauf sieht es fast so aus,
als zwinkerte das scheidende
Untersuchungsobjekt der Fotografin
zu. OEH
Rolf Vennenbernd / picture alliance / dpa
Nummer eins im
Quarantäne-Look
Das T-Shirt schlackert um seine
Hüften, die Shorts wallen um
die Knie, und die Füße stecken
in Turnschuhen und Tennissocken.
In diesem Outfit würde
manch berühmte Person nicht
mal zum Sport gehen. Die Gefahr,
unvorteilhaft von Paparazzi
abgelichtet zu werden, wäre
zu groß. Adam Sandler, 55, ist
das offenbar egal. Der Schauspieler
marschiert schon seit
Langem in diesem Look in Restaurants,
zum Einkaufen und
sogar auf den roten Teppich.
Nun wäre das allein noch keine
Meldung. Dass Sandler es mit
diesem »Style« in diesem Jahr
zur Stilikone gebracht hat, allerdings
schon. Laut Google führt
er die Hitliste der am meisten
gesuchten Promi-Looks an.
Damit landet Sandler in seinem
Shabby Chic sowohl vor den
Sängerinnen Britney Spears
und Lizzo als auch vor der
männlichen Stilikone Harry
Styles. Das bedeutet allerdings
nicht, dass Basketball-Shorts
und Oversize-Shirts nun den
Anzug verdrängen. Denn auch
Melania Trump wird in Googles
Top-Ten-Liste geführt. Sie dürfte
mit ihrer oft geschmacklosen
Kleidung (beispielsweise die
»I really don’t care«-Jacke, die
sie beim Besuch eines Aufnahmezentrums
für Einwandererkinder
trug) aber eher als Negativbeispiel
gegoogelt worden
sein. Sandler vielleicht auch.
Wahrscheinlicher ist aber, dass
das Interesse am Sandler-Style
mit dem Jahr 2021 zu tun hat.
Quarantäne, Homeoffice und
geschlossene Klubs dürften
die Nachfrage nach bequemer
Kleidung angefacht haben.
Mancher hatte wohl andere Sorgen,
als möglichst schick auszusehen.
EVH
Jim Ruymen / UPI / laif
Mit Prada und
Valentino
Eine Longchamp-Tasche in
Netzoptik für den Gang zum
Wochenmarkt, ein Tweedrock
von Balmain fürs Date. Dazu
karierte Fischerhüte und fingerlose
Lederhandschuhe, glitzernde
Prada-Taschen, Valentino-
Gürtel, groß beschleifte Cocktailkleider
von Rotate. Kaum
eine Figur ist derzeit so feudal
ausstaffiert wie Emily Cooper,
gespielt von Lily Collins, Tochter
von Musiker Phil Collins und
Protagonistin der Serie »Emily
in Paris«, deren zweite Staffel
nun bei Netflix zu sehen ist.
Wenn die Social-Media-Expertin
aus ihrer Altbauwohnung auf
die Pariser Gehsteige tritt, ist es,
als stiege sie aus der Zauberkugel
der »Mini Playback Show«:
Jeden Morgen trägt sie ein neues
Outfit aus etwa sieben sich teilweise
komplementär verhaltenden
Designerstücken und Second-Hand-Funden.
Wer sich an
die Kolumnistin Carrie Bradshaw
(Sarah Jessica Parker) aus
»Sex and the City« erinnert
fühlt, irrt nicht. Die beiden teilen
nicht bloß ihre Liebe zu Taillengürteln,
sondern auch dieselbe
Ausstatterin. Patricia Field, 79,
sorgte vor mehr als 20 Jahren für
die ikonischen Kostüme von
Carrie und Co. Bei »Emily in Paris»
gab sie den opulenten Outfits
als Modeberaterin den letzten
Schliff. Die ebenfalls vor
Kurzem gestartete »Sex and the
City«-Fortsetzung hat Fields allerdings
abgesagt: Die Serie über
die mittlerweile älteren New
Yorkerinnen ist, jedenfalls modisch,
reifer und somit offenbar
nichts für die 79-Jährige, die
immer sagte: »Wir scheren uns
nicht um die Realität.« EVH
Tina Paul / CAMERA PRESS / laif
Nr. 1 / 30.12.2021
DER SPIEGEL
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