DER_SPIEGEL_30.12.21
n Politik und Gesellschaft stehen die Zeichen zum Jahresbeginn 2022 auf Neuanfang, und fürviele gilt das auch im eigenen Leben. Ein Team um Titelautorin Susanne Beyer hat sich mit den Mecha- nismen des Neustarts beschäftigt, mit den Risiken, Dramen, Schwierigkeiten, aber auch den Chan- cen. Die Redakteurinnen und Redakteure beschreiben jene kulturellen Einflüsse, die den Blick auf Anfänge prägen, und stellen Menschen vor, die den Neuanfang wagten und es nicht bereuen. Und Barbara Hardinghaus traf auf der kanarischen Insel La Palma drei Frauen aus Deutschland, die sich dort unabhängig voneinander ein neues Leben aufgebaut hatten – dann brach der Vulkan aus.
n Politik und Gesellschaft stehen die Zeichen zum Jahresbeginn 2022 auf Neuanfang, und fürviele
gilt das auch im eigenen Leben. Ein Team um Titelautorin Susanne Beyer hat sich mit den Mecha-
nismen des Neustarts beschäftigt, mit den Risiken, Dramen, Schwierigkeiten, aber auch den Chan-
cen. Die Redakteurinnen und Redakteure beschreiben jene kulturellen Einflüsse, die den Blick auf
Anfänge prägen, und stellen Menschen vor, die den Neuanfang wagten und es nicht bereuen. Und
Barbara Hardinghaus traf auf der kanarischen Insel La Palma drei Frauen aus Deutschland, die sich
dort unabhängig voneinander ein neues Leben aufgebaut hatten – dann brach der Vulkan aus.
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WIRTSCHAFT
E-Autos an Ladestation in Berlin
Jens Kalaene / picture alliance / dpa
Ladehemmung
ELEKTROMOBILITÄT E-Autos boomen, doch der Aufbau des Stromtankstellennetzes kommt kaum voran.
Politik und Industrie schieben sich gegenseitig die Schuld zu. Derweil baut Tesla seine Vorherrschaft aus.
M
anchmal ist auch der mächtigste
Lobbyverband der
Republik nicht stark genug.
Der Verband der Automobilindustrie
(VDA), bekannt für seine kurzen
Drähte ins Kanzleramt, müht sich
seit Jahren vergebens an der Aufgabe
ab, eine Ladesäule für Elektroautos
an seiner Zentrale in der Berliner
Behrenstraße aufzustellen. Der
Betreiber des dortigen Parkhauses
lehnt das Ansinnen ab. Der VDA
darf nicht einmal eine eigene Anlage
installieren. Selbst die Nutzung der
vorhandenen Steckdosen ist ihm
untersagt – angeblich aus Haftungsgründen.
Die Symbolik ist mehr als peinlich:
VDA-Präsidentin Hildegard Müller
fährt ein Hybridauto, und kann es an
ihrem Arbeitsplatz nicht mit Strom
betanken. Dabei würde sich Deutsch-
1
Million
Ladepunkte
sollen 2030 in
Deutschland
öffentlich
zugänglich
sein. Aktuell
sind es
gut 50 000.
Quelle: Bundesnetzagentur
lands Leitindustrie so gern als grüne
Vorreiterin präsentieren.
Wenn es bloß Symbolik wäre! Tatsächlich
illustriert die Episode ein
Grundproblem der Mobilitätswende.
Wie soll Deutschland die Diesel- und
Benziner-Ära beenden, wenn es an
ausreichender Infrastruktur für Elektroautos
fehlt? Während die Nachfrage
nach Stromern geradezu explodiert,
schleppt sich der Ausbau der
Ladepunkte dahin. Immer mehr
Autos müssen sich eine öffentliche
Säule teilen. Kamen vor einem Jahr
auf einen frei zugänglichen Ladepunkt
noch 13 E-Autos und Plug-in-
Hybride, sind es heute bereits 22.
Die Energiewirtschaft verweist
zwar gern darauf, dass rund 80 Prozent
der Ladevorgänge zu Hause oder
am Arbeitsplatz stattfänden, öffentliche
Säulen also gar nicht so wichtig
seien wie bei Verbrennern die Tankstellen.
Doch um die Verkehrswende
zu schaffen, reicht es ja nicht, dass
Eigenheimbesitzer auf E-Autos umsteigen.
Um die geplante Zielmarke
von einer Million Ladepunkte bis
2030 zu erreichen, müsse sich »die
derzeitige Geschwindigkeit beim Ausbau
der Ladeinfrastruktur verachtfachen«,
sagt VDA-Präsidentin Müller.
Die Leidtragenden sind Kundinnen
und Kunden, die frühzeitig auf
E-Autos umgestiegen sind. Sie müssen
sich mit einem Wirrwarr aus Anbietern,
Preis- und Bezahlmodellen
herumschlagen – sofern sie überhaupt
eine freie Säule finden.
Im überwiegenden Rest Europas
ist das Ladenetz noch lückenhafter.
Zwar haben die Staaten der Gemeinschaft
mittlerweile rund 300 000 öffentliche
Ladesäulen an ihre Strom-
84 DER SPIEGEL Nr. 1 / 30.12.2021