DER_SPIEGEL_30.12.21
n Politik und Gesellschaft stehen die Zeichen zum Jahresbeginn 2022 auf Neuanfang, und fürviele gilt das auch im eigenen Leben. Ein Team um Titelautorin Susanne Beyer hat sich mit den Mecha- nismen des Neustarts beschäftigt, mit den Risiken, Dramen, Schwierigkeiten, aber auch den Chan- cen. Die Redakteurinnen und Redakteure beschreiben jene kulturellen Einflüsse, die den Blick auf Anfänge prägen, und stellen Menschen vor, die den Neuanfang wagten und es nicht bereuen. Und Barbara Hardinghaus traf auf der kanarischen Insel La Palma drei Frauen aus Deutschland, die sich dort unabhängig voneinander ein neues Leben aufgebaut hatten – dann brach der Vulkan aus.
n Politik und Gesellschaft stehen die Zeichen zum Jahresbeginn 2022 auf Neuanfang, und fürviele
gilt das auch im eigenen Leben. Ein Team um Titelautorin Susanne Beyer hat sich mit den Mecha-
nismen des Neustarts beschäftigt, mit den Risiken, Dramen, Schwierigkeiten, aber auch den Chan-
cen. Die Redakteurinnen und Redakteure beschreiben jene kulturellen Einflüsse, die den Blick auf
Anfänge prägen, und stellen Menschen vor, die den Neuanfang wagten und es nicht bereuen. Und
Barbara Hardinghaus traf auf der kanarischen Insel La Palma drei Frauen aus Deutschland, die sich
dort unabhängig voneinander ein neues Leben aufgebaut hatten – dann brach der Vulkan aus.
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WIRTSCHAFT
nologie. So stärken wir unser Deutschlandgeschäft
im Interesse unserer
Kunden.
SPIEGEL: UniCredit hat mehr als andere
Banken einen paneuropäischen
Ansatz, ist traditionell stark in Mittelund
Osteuropa. Macht Ihnen die politische
Entwicklung dort Sorge?
Orcel: Sie können nicht alle Länder
über einen Kamm scheren, das wird
der Situation nicht gerecht. Die
Transformationsländer haben wirtschaftlich
enorm aufgeholt, auch zum
Vorteil von UniCredit, aber sie sind
noch nicht so weit wie Deutschland,
Italien oder Österreich.
SPIEGEL: Ganz so geschmeidig scheint
es nicht zu laufen. Aus der Türkei,
bis vor Kurzem einer von UniCredits
Kernmärkten, ziehen Sie sich zurück.
Ministerpräsident Erdoğan fährt
einen wirtschaftlichen Harakiri-Kurs
und lässt die Inflation explodieren.
Orcel: Diese Entscheidung wurde vor
meinem Amtsantritt getroffen, aus
einer Reihe von Gründen. Wir konzentrieren
uns jetzt auf die für uns
wichtigsten Märkte, dabei bleibt es.
SPIEGEL: Es heißt, Europa brauche
große, starke Banken, um endlich der
Wall Street Paroli bieten zu können,
das sei auch wirtschafts- und machtpolitisch
enorm bedeutsam. Aber die
Europäer bekommen nicht einmal die
Kapitalmarkt- und Bankenunion hin,
die die Voraussetzung für grenzüberschreitende
Bankfusionen wäre. Ist
der Zug nicht längst abgefahren und
die Kapitalmarktdominanz der Amerikaner
auf ewig zementiert?
Orcel: Leider spielt der Kapitalmarkt
in Europa eine viel geringere Rolle
als in den USA oder auch Großbritannien.
Vereinfacht gesagt: Wenn
Unternehmen Geld brauchen, gehen
sie zu ihrer heimischen Hausbank und
nicht an die Börse, wie im angelsächsischen
Raum. Das ist ein Problem,
und vielleicht muss sich hier auch die
Denkweise ändern, wenn der europäische
Kapitalmarkt wachsen soll.
Auch wir werden in den 13 Ländern,
in denen wir präsent sind, nicht als
paneuropäische Bank wahrgenommen,
die wir ja tatsächlich sind. Auch
das muss sich ändern.
SPIEGEL: Sie könnten sich zumindest
in Deutschland verstärken und die
neue Bundesregierung von einer Last
befreien, indem sie die Commerzbank
kaufen. Die Ampel braucht
Geld und wird ihren 15-Prozent-Anteil
loswerden wollen, UniCredit ist
mit der HVB bereits in Deutschland
vertreten. Wann schlagen Sie zu?
Orcel: Es gab hierzu immer viele
Gerüchte, aber so etwas ist auch eine
Frage des Timings. In Bezug auf stra-
Banker Orcel: »Ich
bin froh, dass meine
Ansprüche anerkannt
wurden«
Katapultstart
Börsenwert von
Unicredit seit Antritt
von Orcel im Vergleich
zur Konkurrenz, Veränderung
gegenüber
15. April in Prozent
60
40
20
0
Unicredit
Commerzbank
Deutsche Bank
Intesa Sanpaolo
Apr.
2021
Aug.
Dez.
tegische Übernahmen haben wir sehr
klare Kriterien, aber gleichzeitig gilt
es jetzt, unseren strategischen Plan
umzusetzen. Wir wollen schließlich
unsere Aktionäre nicht enttäuschen.
SPIEGEL: Die Commerzbank ist jetzt
zu haben und nicht in ein paar Jahren.
Orcel: Es bleibt dabei, dass wir erst
einmal unseren strategischen Plan
umsetzen.
SPIEGEL: Vielleicht kauft ja ein Finanzinvestor
die Commerzbank. Immer
öfter steigen Private-Equity-Fonds bei
Banken ein oder kaufen sie gleich
ganz. Sind »Heuschrecken«, wie sie
früher hießen, politisch und gesellschaftlich
akzeptiert?
Orcel: Das ist fraglos ein spannendes
Thema. Ich glaube, das hängt von der
Größe der Banken ab. Generell sind
Finanzinvestoren akzeptierter als früher,
auch weil viele nicht mehr so aggressiv
auftreten wie früher. Aber bei
einer großen Bank von nationaler
oder internationaler Bedeutung sähe
die Sache anders aus.
SPIEGEL: Finanzinvestoren haben
nicht den besten Ruf, Banker auch
nicht. Sie sollten 2019 Santander-
Chef werden, die Verträge waren
unterschrieben. Dann entschied sich
die spanische Großbank um, und Sie
pochten auf Auszahlung der vereinbarten
Gehälter und Boni. Die Sache
landete vor Gericht, das Ihnen soeben
68 Millionen Euro Kompensation zugesprochen
hat, auch wegen des »moralischen
Schadens«, den Sie erlitten
hätten. Glauben Sie nicht, dass so
etwas das öffentliche Bild des gierigen
Bankers festigt?
Orcel: Das ist eine persönliche Sache,
mir blieb keine andere Wahl. Die Verträge
waren nun einmal unterschrieben,
und nun hat das Gericht entschieden.
Ich bin froh, dass meine
Ansprüche anerkannt wurden.
SPIEGEL: Dann lassen Sie uns über Ihr
Image sprechen. Sie waren jahrzehntelang
Investmentbanker und Dealmaker
und gelten als jemand, der wie
kaum ein anderer Mitarbeiter über
ihre Belastungsgrenzen treibt. Zuletzt
aber haben Sie sich dafür ausgesprochen,
dass auch Banker auf ihre Work-
Life-Balance achten sollten. Wo her
der Sinneswandel?
Orcel: Ich glaube nicht, dass ich mich
gewandelt habe. Ich habe mich bei
bestimmten Themen vielleicht nur
stärker zu Wort gemeldet, weil es
wichtig ist, sie anzusprechen.
SPIEGEL: Ist das eine gute oder
schlechte Nachricht?
Orcel: Schauen Sie: Wer für die deutsche
Nationalmannschaft spielen will,
muss hart trainieren. Das fällt umso
leichter, wenn man liebt, was man tut,
und etwas gewinnen will. Das ist im
Beruf genau dasselbe.
SPIEGEL: Das klingt hübsch, aber unkonkret.
Orcel: Jeder hat doch die Wahl: Will
ich weniger arbeiten, weil mir andere
Dinge wichtiger sind? Oder mehr,
weil ich Karriere machen möchte?
Jeder Arbeitgeber sollte mir die Möglichkeit
geben, diese Wahl zu treffen,
gerade auch als Lehre aus der Pandemie.
Bei einem meiner Ex-Arbeitgeber
kamen meine Mitarbeiter auf
mich zu und fragten, ob das Wochenende
schon am Freitagnachmittag
beginnen könne. Ich habe sie gefragt:
Wie gehen wir damit um, wenn unsere
Kunden am Freitagmittag etwas
von uns wollen? Am Ende haben wir
uns darauf geei nigt, dass jeder einen
halben Tag pro Monat komplett zur
freien Verfügung hat und machen
kann, was er will. Natürlich nach Absprache,
sodass immer jemand für
unsere Kunden da ist. Ich bin also
nicht dogmatisch. Aber ich denke, es
ist unsere Aufgabe, unsere Kun den
bestmöglich zu unterstützen, und das
erfordert manchmal Flexibilität.
SPIEGEL: Wegen Ihres Aussehens werden
Sie auch der »Ronaldo des Bankings«
genannt, angelehnt an den
portugiesischen Fußballstar. Gefällt
Ihnen das eigentlich?
Orcel: Nicht wirklich. Meine Frau ist
Portugiesin. Für ihre Familie gibt es
nur einen Ronaldo, und der spielt
Fußball.
jeweils Freitagswerte
S ◆Quelle: Refintiv DatatreamInterview: Tim Bartz n
UniCredit
Nr. 1 / 30.12.2021
DER SPIEGEL
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