DER_SPIEGEL_30.12.21
n Politik und Gesellschaft stehen die Zeichen zum Jahresbeginn 2022 auf Neuanfang, und fürviele gilt das auch im eigenen Leben. Ein Team um Titelautorin Susanne Beyer hat sich mit den Mecha- nismen des Neustarts beschäftigt, mit den Risiken, Dramen, Schwierigkeiten, aber auch den Chan- cen. Die Redakteurinnen und Redakteure beschreiben jene kulturellen Einflüsse, die den Blick auf Anfänge prägen, und stellen Menschen vor, die den Neuanfang wagten und es nicht bereuen. Und Barbara Hardinghaus traf auf der kanarischen Insel La Palma drei Frauen aus Deutschland, die sich dort unabhängig voneinander ein neues Leben aufgebaut hatten – dann brach der Vulkan aus.
n Politik und Gesellschaft stehen die Zeichen zum Jahresbeginn 2022 auf Neuanfang, und fürviele
gilt das auch im eigenen Leben. Ein Team um Titelautorin Susanne Beyer hat sich mit den Mecha-
nismen des Neustarts beschäftigt, mit den Risiken, Dramen, Schwierigkeiten, aber auch den Chan-
cen. Die Redakteurinnen und Redakteure beschreiben jene kulturellen Einflüsse, die den Blick auf
Anfänge prägen, und stellen Menschen vor, die den Neuanfang wagten und es nicht bereuen. Und
Barbara Hardinghaus traf auf der kanarischen Insel La Palma drei Frauen aus Deutschland, die sich
dort unabhängig voneinander ein neues Leben aufgebaut hatten – dann brach der Vulkan aus.
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Plakate in Hanau
#saytheirnames
NR. 7/2021 »Die Hanau-
Protokolle« – Özlem Gezer und
Timofey Neshitov haben
Über lebende und Angehörige
der Opfer des Attentats von
Hanau monatelang begleitet
und interviewt.
Ferhat Unvar
Hamza Kurtović
Said Nesar Hashemi
Vili-Viorel Păun
Boateng,
Lenhardt 2020
»Die Trauer ist
unbeschreiblich«
NR. 34/2021 »Eine moderne
Hexenjagd« – Nora Gantenbrink,
Isabell Hülsen und Antje
Windmann recherchierten
nach dem Tod des Models Kasia
Lenhardt die Hintergründe.
Warum wollte Kasia Lenhardt
sterben? Diese Frage
stellten sich Anfang dieses
Jahres Redakteurinnen des
SPIEGEL. Im Februar hatte
sich das Berliner Model das
Leben genommen. Dem Suizid
vorausgegangen war eine
Hetzjagd in den sozialen Medien,
ausgelöst durch ein
Interview, das ihr Ex-Freund,
der Profifußballer Jérôme
Boateng, der »Bild«-Zeitung
gegeben hatte. Darin hatte er
Lenhardt auch vorgeworfen,
ihn zu der Beziehung erpresst
zu haben. Dutzende Chat- und
Sprachnachrichten sowie Dokumente,
die dem SPIEGEL
vorliegen, zeichneten ein anderes
Bild. In dem Text, der
im Spätsommer erschien, äußerten
sich Vertraute des ehemaligen
Paares. Auch Adrianna
Lenhardt, Kasias Mutter,
sprach zum ersten Mal nach
dem Tod ihrer Tochter. Boateng
hatte sich zu den SPIEGEL-
Recherchen nicht äußern wollen.
Mittlerweile spielt er
bei Olympique Lyon in Frankreich.
Im September verurteilte
ein Münchner Gericht den
33-jährigen Fußballprofi zu
einer Strafe von 1,8 Millionen
Euro wegen Körperverletzung
an Sherin S., der Mutter seiner
Töchter. Sowohl Boatengs Anwalt
als auch Nebenklage und
Staatsanwaltschaft haben
dagegen Berufung eingelegt.
Adrianna Lenhardt nach Erscheinen
des Artikels: »Mir hat
es viel bedeu tet, dass nicht
mehr nur noch die eine Seite
der Geschichte in der Öffentlichkeit
kursiert. Ich hatte den
Glauben an Gerechtigkeit
schon verloren. Dennoch bringt
mir all das mein Kind nicht
mehr zurück. Ich würde lügen,
wenn ich sage, es ginge uns
gut. Die Trauer ist un beschreiblich.
Kasias Ge schwister
vermissen ihre Schwester, und
Kasias Sohn vermisst seine
Mama. Eine Leerstelle in unseren
Herzen wird für immer
bleiben.«
Mercedes Kierpacz
Kaloyan Velkov
Fatih Saraçoğlu
Sedat Gürbüz
Gökhan Gültekin
Neun junge Menschen, ermordet
am 19. Februar 2020 in Hanau,
von einem rechtsextremen
Attentäter aus rassistischen
Motiven.
#saytheirnames
ddp socialmediaservice
Milos Djuric / DER SPIEGEL
»Banane im Kopf«
NR. 29/2001 »Der Trip« –
Der Berliner Unternehmer Carl
Philipp Trump verkaufte legal
ein Derivat der Droge LSD.
Max Polonyi begleitete ihn.
Im Juli berichtete der
SPIEGEL über Carl Philipp
Trump, der in Berlin eine Gesetzeslücke
nutzte: Trump hatte
einen Millionenumsatz mit
der Forschungschemikalie
»1CP-LSD« gemacht, die bei
Konsum einen zwölfstündigen
Rausch aus Wahnvorstellungen
versprach. Ende Juni wurde
sein Produkt verboten. Nur
wenige Wochen später eröffnete
Trump neu, mit einer
Nachfolgesubstanz namens
»1V-LSD«, die laut Trump
eine identische Wirkung haben
soll wie ihre Vorgängerin.
Drei Monate lang verkaufte
Trump wie zuvor – ohne Altersbeschränkung
und mit
Umsätzen von bis zu 50 000
Euro pro Woche. Ende September
schloss die Berliner
Polizei sein Geschäft, »zum
Zwecke der Verhinderung und
Fortsetzung weiterer Straftaten
und Ordnungswidrigkeiten«.
Der Laden ist jetzt amtlich
versiegelt, Trump darf ihn
nicht mehr betreten.
Keineswegs
greisenhaft
NR. 37/2021 »Die ganzen
Filme sind auch Schreie nach
Liebe« – Am 10. Dezember
2021 wurde Georg Stefan Troller
hundert Jahre alt. Hauke
Goos und Alexander Smoltczyk
haben ihn besucht.
Er ist eine Legende und dazu
noch bei bester Gesundheit.
Aber wie ein Interview führen
mit jemandem, der selbst ein
Meister dieses Fachs ist? Der
schon alle kritisch und liebevoll
vernommen hat, von
Coco Chanel und Romy
Schneider bis Muhammad Ali
und Alain Delon? Wir hatten
Troller bereits früher, für
unser SPIEGEL-Buch »Ein
Sommer wie seither kein anderer«,
in Paris getroffen.
Nein, es sei kein Problem,
noch einmal zu kommen, sagte
Troller am Telefon, keineswegs
greisenhaft, sondern mit
einer leicht wienerisch gefärbten
tiefen Katerstimme: »Nur
eine Bedingung: Wir reden
nicht über die alten Dinge,
Jugend in Wien, Krieg, Befreiung
von Dachau.« Das habe
er schon zu oft erzählt, und
das Leben eines Hundertjährigen
ist zu kurz für Wiederholungen.
So trafen wir uns
zwei Tage lang in der Normandie,
im Garten von Trollers
Bauernkate. Auf dem Tisch
standen Kaffee und Kuchen
und Foxy, der Kater. Wir sprachen
über Träume und Albträume,
über nicht Erledigtes,
Versäumtes und vor allem
über die Kunst, Menschen zu
beschreiben, ohne ihnen wehzutun
und ohne dabei die eigene
Aufrichtigkeit zu betrügen.
Es war ein beglückendes
Gespräch, und manchmal, so
möchten wir uns einbilden,
ein Gespräch unter Reporterkollegen.
»Danke, Kinder,
aber jetzt werde ich mich ein
wenig hinlegen«, sagte Troller
zum Abschied.
Trump
Trump sagt, ihm fehlten nun
Tausende Euro Einnahmen pro
Woche. Seinen Onlineshop
betreibt er wie gehabt. Er ist
überzeugt von Qualität und
Legalität seines Produkts, er
selbst konsumiere davon jeden
Morgen zehn Mikrogramm.
Trump blickt optimistisch in die
Zukunft, er suche nach Immobilien
in Hamburg und München,
um weitere Läden zu eröffnen.
Allein die Ankündigung der
Ampelkoalition, Cannabis zu
legalisieren, bereite ihm Sorgen.
Trump hält Cannabis für gefährlicher
als sein LSD. Vor
Kurzem habe er sich von einem
seiner Mitarbeiter trennen
müssen. Dieser habe begonnen
zu kiffen und sei im Büro zu
nichts mehr zu gebrauchen gewesen.
»Das Zeug macht dich
total Banane im Kopf«, sagt
Trump.
Milos Djuric
Nr. 1 / 30.12.2021 DER SPIEGEL
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