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DER_SPIEGEL_30.12.21

n Politik und Gesellschaft stehen die Zeichen zum Jahresbeginn 2022 auf Neuanfang, und fürviele gilt das auch im eigenen Leben. Ein Team um Titelautorin Susanne Beyer hat sich mit den Mecha- nismen des Neustarts beschäftigt, mit den Risiken, Dramen, Schwierigkeiten, aber auch den Chan- cen. Die Redakteurinnen und Redakteure beschreiben jene kulturellen Einflüsse, die den Blick auf Anfänge prägen, und stellen Menschen vor, die den Neuanfang wagten und es nicht bereuen. Und Barbara Hardinghaus traf auf der kanarischen Insel La Palma drei Frauen aus Deutschland, die sich dort unabhängig voneinander ein neues Leben aufgebaut hatten – dann brach der Vulkan aus.

n Politik und Gesellschaft stehen die Zeichen zum Jahresbeginn 2022 auf Neuanfang, und fürviele
gilt das auch im eigenen Leben. Ein Team um Titelautorin Susanne Beyer hat sich mit den Mecha-
nismen des Neustarts beschäftigt, mit den Risiken, Dramen, Schwierigkeiten, aber auch den Chan-
cen. Die Redakteurinnen und Redakteure beschreiben jene kulturellen Einflüsse, die den Blick auf
Anfänge prägen, und stellen Menschen vor, die den Neuanfang wagten und es nicht bereuen. Und
Barbara Hardinghaus traf auf der kanarischen Insel La Palma drei Frauen aus Deutschland, die sich
dort unabhängig voneinander ein neues Leben aufgebaut hatten – dann brach der Vulkan aus.

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DEUTSCHLAND

Der Weg

zum Geld

SUBVENTIONEN Wollte das Staatstheater

Darmstadt die Bundesagentur für Arbeit

um fast eine Million Euro erleichtern? Staatsanwälte

ermitteln, ihr Verdacht: Betrug.

I

m Märchen »Aladin und die

Wunderlampe« ist der Weg zum

großen Geld einfach: Kurz an

einem Öllämpchen reiben, schon ist

man alle materiellen Sorgen los.

Das Staatstheater Darmstadt, wo

das Stück zu Weihnachten noch auf

dem Spielplan stand, hat es im echten

Leben schwerer. Das landeseigene

Opern- und Schauspielhaus wird seit

Jahren von Krisen und roten Zahlen

geplagt, trotz hoher Zuschüsse der

Stadt Darmstadt und des Landes Hessen.

2019 musste es sogar eine Haushaltssperre

verhängen.

Im Coronajahr 2021 ersannen die

Geschäftsführung und der Intendant

einen Plan, der beinahe so wunderbar

erschien wie Aladins Zauber – der

aber nun die Darmstädter Staatsanwaltschaft

ins Spiel brachte. Frisches

Geld, so die Idee, könne doch die

Bundesagentur für Arbeit (BA) liefern.

Dort waren Milliarden an Kurzarbeitergeld

zu verteilen, um die Folgen

der Pandemie abzufedern.

Die Staatsbühne beantragte im Herbst

Kurzarbeitergeld für den Monat Juli.

516 Beschäftigte seien in diesem Monat

von Folgen der Krise betroffen,

heißt es im Antragsformular. Insgesamt

seien 924 404 Euro und 76 Cent

zu erstatten – inklusive Erstattung

von Sozialversicherungsbeiträgen.

Verwertbare Urlaubsansprüche, mit

denen die Kurzarbeit im Theater vermieden

werden könnte, gebe es nicht

mehr.

In Wirklichkeit, so berichten Theaterleute,

hätten sich viele Beschäftigte

im Juli sowieso in ihren Jahresurlaub

verabschieden wollen. Vom

4. Juli bis 17. August sollten ursprünglich

Theaterferien sein, in denen der

Spiel- und Probebetrieb ruht. Der

Zeitraum war schon 2020 verkündet

worden. Hinzu kam: Wegen der niedrigen

Inzidenzwerte waren die Beschränkungen

in Hessen Ende Juni

Intendant Wiegand,

Gelände vor

dem Staatstheater

Darmstadt: Von

roten Zahlen geplagt

stark gelockert worden. Die Pandemie

hätte den Theaterbetrieb kaum

noch einschränken müssen. Intendant

Karsten Wiegand wies diesen Einwand

gegenüber der Arbeitsagentur

zurück: »Ein Staatstheater kann nicht

so kurzfristig auf den Wegfall der Coronabedingungen

reagieren«, schrieben

er und eine Vizedirektorin. Ein

Haus mit mehr als 500 Beschäftigten

müsse erst »hochgefahren« werden.

Tatsächlich stand das Theater im

Sommer noch vor einem anderen

Problem. Es hatte die Pandemiezeit

für eine umfangreiche Sanierung nutzen

wollen, doch die Arbeiten kamen

nicht wie geplant voran. Mitte Juni

alarmierte eine Baumanagerin den

Intendanten über massive Verzögerungen

bis in den Herbst.

Die Theaterleitung zeigte sich »geschockt«

von den »Hiobsbotschaften«,

wie sie kurz darauf in einer

Nachricht an die hessische Kunstministerin

Angela Dorn (Grüne) schrieb.

Wegen der Baumaßnahmen sei der

Proben-, Arbeits- und Spielbetrieb

nicht wie geplant ab Mitte August

möglich, erfuhr die Ministerin. Die

Gründe dafür seien, neben Lieferverzögerungen

und Materialknappheit,

zum Teil in der Landesverwaltung

selbst zu suchen, nämlich »späte Vergaben

im Zuge der Freigabe des Landeshaushalts

im Februar dieses Jahres

und ähnliches«.

In derselben E-Mail lieferten der

Intendant und seine Geschäftsführer

Rolf Oeser

Dietmar Scherf / ullstein bild

der Ministerin eine Lösung: Man werde

die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

des Theaters ab Anfang Juli »sehr

weitgehend in Kurzarbeit schicken«,

schrieben die Theaterleute unter anderem.

Die Theaterferien würden einfach

um einen Monat verschoben, in

Abstimmung mit dem Personalrat.

Dieser stimmte zwar zu, aber das

Gremium plagten offenbar Bedenken.

Eine Fachanwältin für Arbeitsrecht,

die der Personalrat einschaltete,

warnte: Weder die übliche Sommerpause

noch die technischen Arbeiten

rechtfertigten den Bezug von Kurzarbeitergeld.

Es handle sich vielmehr

um eine »vermeidbare Schließung

ausschließlich aus betriebsorganisatorischen

Gründen«.

So ähnlich sehen es auch Sachbearbeiter

der Bundesagentur. Nachdem

sie von Theater-Insidern informiert

worden waren, stoppten sie vorläufig

die Auszahlung. Ein Anspruch auf

Kurzarbeitergeld bestehe nur, wenn

der Ausfall »nicht auf branchenüblichen,

betriebsüblichen oder saisonbedingten

Gründen« beruht, so eine

Sprecherin der Agentur. Wer dazu

falsche Angaben mache, trage ein

»großes Risiko«.

Mehr als 250 Fälle habe die BA bis

Ende Oktober an Staatsanwaltschaften

und Polizei weitergeleitet. Auch

der mutmaßliche Staatstheater-Fall

landete dort: Die Staatsanwaltschaft

Darmstadt hat nach einer Vorprüfung

ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts

auf Subventionsbetrug eingeleitet,

bestätigt ein Sprecher.

Das Theater ließ auf SPIEGEL-Anfrage

eine Anwaltskanzlei erklären,

der Vorwurf entbehre »jeder Grundlage«.

Die Bauverzögerungen seien

keine betriebsorganisatorischen Versäumnisse,

sondern hätten, wie etwa

die Rohstoffknappheit, mit Corona

zu tun. Der Antrag sei »nach bestem

Wissen und Gewissen geprüft« worden

und gerechtfertigt. Es gebe auch

keinen kausalen Zusammenhang

zwischen den Umbauverzögerungen

und dem Antrag auf Kurzarbeitergeld;

die Verlagerung der Resturlaubsbestände

sei im Antrag schon

berücksichtigt gewesen.

Ministerin Dorn wiederum teilte

mit, ihr Haus habe damit so gut wie

nichts zu tun: Es sei »in die konkrete

Antragstellung auf Kurzarbeitergeld

nicht einbezogen« gewesen, so ein

Sprecher. Überdies handle es sich um

ein laufendes Verfahren der BA, das

noch nicht entschieden sei.

Im neuen Jahr steht »Aladin«, zumindest

bisher, nicht mehr auf dem

Spielplan des Theaters.

Matthias Bartsch

n

40 DER SPIEGEL Nr. 1 / 30.12.2021

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