WIRTSCHAFT»Das gesamteBodenrechtmuss neugedachtwerden.«Stephan Reiß-Schmidt, ehemaligerStadtdirektorBerlinerBaustadtrat Schmidt:Vorkaufsrechtin großem StilangewandtMarlene Garwisch / WELT / ullstein bildHäuser nicht an den eigentlichen Interessentenverkauft wurden, sondernin den Besitz städtischer Gesellschaften,Genossenschaften oder privaterEigentümer übergingen. Und 1200-mal konnte er Investoren unter Androhungdieser Option dazu bringen,sogenannte Abwendungsvereinbarungenzu unterzeichnen. In diesenerklären sich Eigentümer bereit,Mietwohnungen nicht in Eigentumswohnungenumzuwandeln oder luxuszusanieren.Letzteres praktizieren Investorenin Berlin häufig: Die Käufer modernisierenaufwendig und legen einenTeil der Kosten auf die Miete um. DieFolge: Gentrifizierung.»Wir gehen als Bezirk voran undzeigen, was möglich ist«, sagt Schmidtstolz. Er hat natürlich ebenfalls fürdie Enteignung der Wohnungskonzernegestimmt. Seine Politik belege,dass die Stadt vor profitgierigen Immobilienspekulantendurchaus zuretten sei. Kürzlich hat der selbst ernannte»Stadtaktivist« ein Buch veröffentlicht,in dem er seine Erfahrungenschildert. Der Titel lautet: »Wirholen uns die Stadt zurück.«Bei einem Spaziergang zeigt erauf dem Kreuzberger Mehringdammauf zwei direkt aneinandergrenzendeWohnblöcke: Das eineWohnhaus habe die Stadt Investorenüberlassen müssen, mit den üblichenFolgen: neue Stahlbalkone,vergoldete Klingelschilder, 25 Euroden Quadrat meter. Die Altmieterseien ausgezogen.Für das daran angrenzende Wohnhaus,das ein wenig in die Jahre gekommenist, hat der Bezirk das Vorkaufsrechtausgeübt. »Hier kosten dieMieten nicht einmal halb so viel«,sagt Schmidt. Alle Altmieter seiennoch da.Was er damit illustrieren möchte:Ohne ihn würde es in seinem Kieznur so von goldenen Klingelschildernwimmeln.Schmidts Idylle ist allerdings akutgefährdet. Anfang November schobdas Bundesverwaltungsgericht seinerPraxis einen Riegel vor. Allein dieBefürchtung, ein Mehrfamilienhauskönnte in Eigentumswohnungen aufgeteiltwerden, reicht dem Urteil zufolgenicht aus, um ein Vorkaufsrechtzu begründen.Nach dem Fiasko um den Mietendeckeldie zweite Klatsche für dieBerliner Baupolitik. Die neue BürgermeisterinFranziska Giffey (SPD) istjedenfalls gewarnt, den Enteignungsvolksentscheidwill sie nicht in einGesetz gießen: Berlin dürfe sich keinweiteres negatives Urteil beim Bundesverfassungsgerichtholen. »Ichkann nur vor zunehmenden Regulierungenwarnen«, sagt Andreas Mattner,Präsident des Zentralen ImmobilienAusschusses. »Denn damitvertreiben wir Investoren aus denStädten.«Stephan Reiß-Schmidt war 20 Jahrelang Stadtdirektor und Leiter derStadtentwicklungsplanung in München.Er glaubt, dass es einen grundlegendenWandel in der Politikbraucht. Nur dann könnten gemeinwohlorientierteVermieter noch mitBauflächen versorgt werden; egal obin Berlin oder in München.»Die Gesetze des freien Marktesfunktionieren beim Boden nicht«,sagt er. Das zeige sich etwa bei Neubauten.Der Bodenpreis mache dortbis zu 80 Prozent der Kosten aus, deshalbrentierten sich nur noch Luxuswohnungen.Gerade für Genossenschaftenseien solche Projekte nichtdarstellbar.»Das gesamte Bodenrecht mussneu gedacht werden«, sagt er. Dennhier liege die wahre Ursache desProblems. Grund und Boden seienkeine normale Ware, die beliebig vermehrtwerden könnte. Es handle sichvielmehr um ein Gemeingut wie Luftund Wasser, das der Allgemeinheitdienen sollte. Über die vom Finanzmarktgetriebenen Baulandpreisewerde viel zu wenig gesprochen. Derneue Koa litionsvertrag bringe dawenig Entlastung, so Reiß-Schmidt.»Die beschlossenen Maßnahmenwerden die Situation kaum entschärfen.«Und wenn, dann brauchtensie Jahre, bis sie ihre Wirkung entfalteten.Er fordert Maßnahmen, »die sofortwirken«. Etwa einen Bodenpreisdeckel,der in überhitzten MärktenPreissteigerungen bei Grundstückennur noch in Höhe der Lebenshaltungskostenerlaubt. Oder die Einführungeines sogenannten Planungswertausgleichs,mit dem sich Wertsteigerungenrausrechnen lassen, fürdie der Eigentümer selbst nichts getanhat. Beispielsweise, wenn eine Kommuneüberhaupt erst Bauland ausweist.»Das würde Bodenspekulationunattraktiver machen«, sagt Reiß-Schmidt. Die Einnahmen könntendirekt in den geförderten Wohnungsbauinvestiert werden.Solche Forderungen sind nichtneu. Hans-Jochen Vogel, einst Oberbürgermeisterin München und späterJustizminister, hatte bis zu seinemTod im Jahr 2020 für eine Bodenrechtsreformgekämpft. Er konntesich damit in der SPD-Fraktion nichtdurchsetzen. Reiß-Schmidt und seineMitstreiter vom »Bündnis Bodenwende«fordern nun eine Enquetekommission,die Lösungsvorschläge aufBundesebene erarbeiten soll.Auch das Land Berlin sucht seinHeil inzwischen in einem Arbeitskreis.Da der Volksentscheid keinkonkretes Gesetz zum Inhalt hatte,ist die Regierung nicht gezwungen,das Ergebnis umzusetzen. Bei denKoalitionsverhandlungen zwischenSPD, Grünen und Linken einigtensich die in der Frage der Enteignungzerstrit tenen Parteien erst einmaldarauf, eine Kommission zu bilden.Sie soll in den ersten 100 Tagen entstehenund rund ein Jahr später Ergebnisseliefern.Aktivistin Jenny Stupka befürchtet,dass das Problem so lediglich verschlepptwird. Mitte Dezember sitztsie auf einem Podium in der BerlinerVolksbühne. Das Thema: »Keine Enteignungist auch keine Lösung«. DerModerator hat »Das Kapital« vonKarl Marx dabei.In der Fragerunde meldet sich einejunge Frau aus dem Publikum: »Wiesollen wir denn unseren Schwung behalten,wenn es so langsam vorangeht?Im Sommer waren wir so viele.Jetzt holt uns der Alltag wieder ein.«Stupka antwortet: »Wir müssen inlängeren Zeithorizonten arbeiten.Uns noch besser vernetzen.« Sie träumevon einer Allianz: ruppige Berliner,die die Schnauze voll haben, undlinke Aktivisten. Plätze besetzen,demonstrieren, Druck machen. »ZivilerUngehorsam, aber mit Kaffeeund Kuchen.«Die akute Wohnungsnot kann allerdingsauch das nicht lindern.Henning Jauernig, Janne Knödler,Michael Krögern78 DER SPIEGEL Nr. 1 / 30.12.2021
Für die ganze Vielfaltdes Journalismus.JETZTEINREICHENEin Preis für alleJournalist:innen.Für Formate aus Print, TV,Radio oder aus dem Web.Für fotografische undcrossmediale Arbeiten.Einsendeschluss31. Januar 2022Alle Infos unternannen-preis.deveranstaltet vom2022
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