DEUTSCHLANDGespräche mit Knierim. Man macht ihmklar, dass seine Cafés geschlossen würden,sollte er so weitermachen. »Er hat alle Hinweisedemonstrativ provokant ignoriert«, sagtTraub.Knierim wehrt sich schriftlich gegen dieMaßnahmen. Er zweifelt die Autorität derPolizei und des Gesundheitsamts an und fordertsie auf, ihre »Legitimation« nachzuweisen.In einem Schreiben schwurbelt er etwasvon »Hochverrat«.»Der Mann bedient sich klassischer Reichsbürger-Gedanken«,sagt Bürgermeister Traub.»Er stellt die Legitimation der Institutionengrundsätzlich infrage.« Der SPIEGEL hatKnierim um eine Stellungnahme gebeten,allerdings keine Antwort erhalten.Am 25. November handelt das Gesundheitsamt.Gegen Mittag wird Knierim verboten,Waren zu verkaufen und das Cafézu betreiben. Die Tür wird mit einemrot-weißen Flatterband gesperrt, Stadtpolizistenstellen sich vor den Eingang. Erstwenn Knierim ein Hygienekonzept vorlegeund sich an die Corona-Auflagen halte, dürfeer wieder öffnen.Die Nachricht verbreitet sich in der »Querdenken«-Szene– per Telegram. Das Café seigeschlossen worden, »weil es sich mit demSystem angelegt hat und Menschen nicht diskriminierthat«, heißt es in einem »Querdenker«-Kanal.Diese Nachricht teilt der in derSzene bekannte Arzt Bodo Schiffmann inseiner Telegram-Gruppe, die 156 000 Menschenabonniert haben. Auch ein Foto desCafés wird dort gezeigt.In der Telegram-Gruppe »FREEodw« tummelnsich Erbachs Impfskeptiker und Gegnerder Coronamaßnahmen. Etwa 200 Mitgliederhat die Gruppe zu dem Zeitpunkt. Auch dortveröffentlicht jemand ein Bild von der Schließung.»Erinnert das nicht langsam doch angewisse Zeiten?«, fragt eine Nutzerin.Im Kanal wird eine »Spontan-Versammlung«angekündigt. »Solidarität mit unseremBäcker vom ›Café Zeitlos‹!! Heute um 18 Uhr.«Ein Bild der Polizisten, die vor dem Café stehen,kommentiert ein Nutzer mit den Worten:»Da sind sie groß die SS-Söldner vom Matiaske.«Frank Matiaske ist der Landrat desOdenwaldkreises.Ein Nutzer namens »Alex K.«, womöglichder Betreiber des Cafés, bedankt sich für dieUnterstützung: »ihr seid Spitze, vielen Dankdafür«, schreibt er, garniert mit drei Kuss-Smileys. In den nächsten Stunden kommentierendiverse Nutzerinnen und Nutzer in derGruppe die Ereignisse. »Das ist Faschismuspur«, schreibt einer. Ein anderer: »Gestapogo home«.Noch am selben Abend versammeln sichvor dem Café Demonstrantinnen undDemonstranten. Die Menschen betreten dasCafé, Bilder auf Twitter zeigen, wie sie ohneMaske darin sitzen, an der Tür hängt ein Zettel:» … wenn Unrecht zu Recht wird – wirdWiderstand zur Pflicht!!! … Solidarität fürAlex«. Auf Videos sind Menschen zu sehen,»Es könnteTrittbrett fahrer geben,die sichmotiviert fühlen.«die vor dem Café stehen und im Licht derPolizeiwagen singen: »Ohne Knüppel, ohneHelme seid ihr nichts.«Am kommenden Tag kehren Leute des Gesundheitsamtszurück zum Café und schließenes mit einem amtlichen Siegel.Am Vormittag des 29. November teilteine Nutzerin ein Foto eines Beitrags derLokalzeitung »Odenwälder Echo« zurSchließung. Darin wird Bürgermeister Traubzitiert: »Ich bedauere die jüngsten Entwicklungen.«Er verweist auch darauf, dass mansich an die Regeln halten müsse. Die Reaktionin der Telegram-Gruppe ist deutlich.Eine Nutzerin reagiert mit acht Mittelfinger-Emojis und schreibt: »Fascholaden«. Danntippt Jörg L. seine Drohung in die Gruppe,Traub und seine Familie sollen bedrängtwerden.Einige in der Gruppe sind ver ärgert überdiese Eskalation. »Die Familie von demMann hat damit nichts zu tun«, schreibt einer.Jörg L. antwortet: »Geh Tanzen und werfemit Gänseblümchen – davon ist das Regimebestimmt beeindruckt und die ziehen alleszurück.«Eine andere Nutzerin schreibt später, siesei erschrocken über den rauen Ton in derGruppe. »Wo bleibt der gegenseitige Respekt?«L. findet mit seinem Aufruf wenigAnklang, einige Mitglieder der Gruppe kritisierenihn scharf.Bürgermeister Traub sagt, nach der Drohunghabe er mit den Initiatoren der Gruppegesprochen. Die hätten ihm gesagt, dass siediese Art von Nachrichten verurteilten undL. aus der Gruppe ausgeschlossen hätten.Traub sorgt sich dennoch. »Die Vernetzunggeht heute so schnell bundesweit. Es könntebei so etwas Trittbrettfahrer geben, die sichmotiviert fühlen.«TelegramDer Nutzer, der sich bei Telegram Jörg L.nennt, kürzt zu diesem Zeitpunkt den Nachnamennicht ab. Dem SPIEGEL liegt einScreenshot der Nachricht vor. In der Nähevon Erbach lebt ein Mann, der genauso heißtwie dieser Nutzer.Bürgermeister Traub hat keinen Zweifel,dass L. derjenige ist, der die Drohung gegenihn und seine Familie verfasst hat.Dieser Jörg L. ist kein Unbekannter im Ort:Er saß mal – damals noch unter einem anderenNamen – für die AfD im Kreistag. AufFacebook beschimpfte er Sozialdemokratenals »rote Ratten« und Grüne als »Biomüll«.Er schrieb auch: »Ich würde gern was ehrenamtlichtun, Henker, Scharfrichter oder so.«L. teilte auf Facebook mehrfach mit, waser von den Coronamaßnahmen hält, undschrieb etwa über Angela Merkel: »DasMurksel traut sich wesentlich mehr als Erichund Adolf je gewagt hätten!« L. gehört außerdemwohl der »Reichsbürger«-Szene an: Erbezeichnet sich selbst als Bürger des »DeutschenReichs«.Kurz nachdem L. bei Telegram dazu aufruft,den Bürgermeister zu bedrohen, löschter den Aufruf wieder. Er ändert seinen Profilnamenin »Jörg der Löwe« und sein Profilbild,auf dem nun keine Person abgebildet ist.Doch auf Telegram kann weiterhin das alteProfilbild eingesehen werden, das Jörg L.zeigt.Der SPIEGEL hat Jörg L. angefragt, ob ersich zu dem Sachverhalt äußern wolle, allerdingskeine Antwort erhalten.Am 1. Dezember veröffentlicht der Odenwaldkreiseine Pressemitteilung auf seinerWebsite. »Erbacher Café kann wieder öffnen«ist dort zu lesen. »Der Betreiber hat ein Abstands-und Hygienekonzept vorgelegt, dasvom Gesundheitsamt geprüft wurde.«Der Sprecher des Landkreises betontmehrfach, wie »konstruktiv« der Austauschmit Bäcker Knierim gewesen sei. Auf Telegramwird die Wiedereröffnung als Triumphgefeiert. »Ich würde sagen Punktsieg für denBäcker« steht in einer Nachricht, die in derOdenwald-Gruppe geteilt wird.Es ist eine kuriose Dissonanz – für das Gesundheitsamtgeht es um einen Verwaltungsakt.Für die »Querdenker«-Community gehtes um viel mehr.Die Polizei in Erbach fährt weiterhin regelmäßigam Haus des Bürgermeisters vorbei.Am Nikolaustag, erzählt Traub, seien Polizistenin sein Haus gekommen und hätten untersucht,wie es um den »Objektschutz« bestelltsei. »Es ist schon ein irritierendes Gefühl,wenn man sein Haus nach solchen Kriterienangeguckt bekommt«, sagt Traub. Und diePolizei habe ihm einen Tipp gegeben: Bevorer sich morgens in sein Auto setzt, erzählt er,geht er jetzt einmal um das Fahrzeug.Er sei wachsam, sagt Traub. Aber Angsthabe er nicht. »Wenn ich Angst hätte, würdeich vielleicht nichts mehr sagen. So weit istes nicht.«Telegram-Chat-Ausschnitt Hannes Schrader n44 DER SPIEGEL Nr. 1 / 30.12.2021
75 JAHRE DER SPIEGEL1947 — 202218SEITENJUBILÄUMS-SPEZIALSPIEGEL-Gründer Rudolf Augstein,Redakteur Conrad Ahlers 1965mit einer Meldung über das Ausdes Strafverfahrens gegen siein der SPIEGEL-Affäre75 JAHRE DER SPIEGELAUGSTEINS SCHWESTER ÜBER IHREN BRUDER • DIE SPIEGEL-AFFÄRE •FÄLSCHER RELOTIUS • DIE GRÖSSTEN SCOOPSNr. 1 / 30.12.2021DER SPIEGEL45
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