WIRTSCHAFTWer will da noch bauen?IMMOBILIEN Die Wohnungsnot wird zur ideologischen Streitfrage, bis hin zu Enteignungen.Die neue Bundesregierung verspricht Abhilfe – doch allein ist sie machtlos.Mietpreisentwicklung in deutschen Großstädtenzwischen 2011 und 2021, Veränderung in ProzentBerlinLeipzigMünchen+59 %5658Stuttgart54Köln47Frankfurt am Main41Dresden34Hamburg26S ◆Quelle: Empirica; jeweils 3. QuartalJens Gyarmaty / DER SPIEGEL74 DER SPIEGEL Nr. 1 / 30.12.2021
Das Problem mit den Mieten,sagt Jenny Stupka, 32, versteheman am besten, wenn man mitihr um ihren Häuserblock gehe. InBerlin-Wedding, direkt oberhalb desS-Bahn-Rings, der Berlin in innen undaußen trennt, die Mietpreise in bezahlbarund unbezahlbar teilt. Zumindestsagte man das einmal so.Heute, sagt Stupka, gehöre der Kiez,in dem mehr Menschen Transferleistungenbeziehen als sozialversicherungspflichtigarbeiten, zu denen mitdem höchsten VerdrängungsdruckBerlins.Verdrängungsdruck klingt bürokratisch.Was das Wort bedeutet, istsehr konkret: rasant steigende Mieten,bis sich die Bewohnerinnen undBewohner die Wohnung nicht mehrleisten können und wegziehen müssen.Stupka selbst lebt im Wedding ineinem Altbau, Wohngemeinschaft.Ihre Staffelmiete steige seit acht Jahrenjährlich um fast sieben Prozent.Sie läuft am türkischen Kulturzentrumvorbei. »Uns kommt unsereeigene Stadt abhanden«, sagt sie undzeigt auf ein neues Apartmentgebäude,neben einem Spätkauf. Voll möblierteWohnungen für Kurzzeitmieterwerden hier angeboten. 32 Quadratmeterfür knapp 3000 Euro imMonat.Stupkas Horrorvorstellung ist eineStadt, die immer mehr auseinanderdriftet,deren Einheit zerfällt. Innennur Büroflächen und Wohnungen fürMenschen mit Vermögen. Außen dieMittel- und Unterschicht. Die könnteirgendwann noch weiter hinausgetriebenwerden, wie der schwedischeGroßvermieter Roger Akelius es einmalin einem Interview beschriebenhat, in eine Schwesterstadt: 20 Kilometeraußerhalb, ein Ausweichquartierfür 400000 Personen. »Ein Albtraum«,sagt Stupka.Mit ihren Mitstreitern hatte Stupkaeinen spektakulären Volksentscheidauf den Weg gebracht, der inganz Deutschland für Furore sorgte:Ende September stimmten die Berlinerinnenund Berliner darüber ab, obImmobilienkonzerne mit mehr als3000 Wohnungen enteignet werdensollen. Warum dieser radikale Schritt?»Wohnen ist ein Grundbedürfnis«,sagt sie. »Riesige Unternehmen sol -len das nicht ausnutzen können, umihren Aktionären Dividenden auszuschütten.«Als Mieterin mag sie eine Betroffenesein – politisch hat Stupka eineMenge erreicht. Der Frust über kaumnoch bezahlbaren Wohnraum, dieWut über eine Stadtregierung, die dasProblem nicht in den Griff bekommt,Mieterin Stupka:Traum von ruppigenBerlinern undlinken Aktivisten»Die Blockadehaltunginden Behördenträgt zurWohnungsnotbei.«Jens Kahl,Vorstand BerlinerBaugenossenschaftJens Gyarmaty / DER SPIEGELWIRTSCHAFTdas Ohnmachtsgefühl vieler Mieterinnenund Mieter haben dazu geführt,dass 59,1 Prozent für die Enteignungsplänegestimmt haben – trotzUnmengen an juristischen Fallstricken,trotz der Aussicht, dass jahrelangeRechtsstreitigkeiten folgenkönnten und die Unternehmen mitenormen Summen entschädigt werdenmüssten. Und obwohl das Vorhabenschätzungsweise eine zweistelligeMilliardensumme kosten würde,Geld, das an anderer Stelle fehlenkönnte: etwa für den Bau von neuenWohnungen.Die Wohnungsnot ist längst keinrein ökonomisches Problem mehr,keine Frage mehr nur von Markt undMarktversagen. Die Misere ist einedurch und durch politische – mit demHang zur Ideologie. Wer Lösungenverspricht, kann sicher sein, dass ihmdie Stimmen von Millionen Wählerinnenund Wählern zufliegen.Auch Olaf Scholz (SPD) und dieneue Ampelregierung haben auf diesesThema gesetzt. Der Bundeskanzlerhält sich viel auf die Wohnungsbaupolitikin seiner Hamburger Zeitzugute und würde diesen Imageerfolggern auf den Bund ausdehnen. SeinMantra: bauen, bauen, bauen. Im erstenRegierungsjahr sollen 400 000neue Wohnungen entstehen, davon100 000 Sozialwohnungen. So stehtes im Koalitionsvertrag.Scholz hat ein eigenes Bauministeriumgeschaffen – das hat es seit1998 nicht mehr gegeben. Die RessortleiterinKlara Geywitz (SPD) istin der Baupolitik zwar bisher nichtaufgefallen. Dafür hat sie einen engenDraht zu Kanzler Scholz, gemeinsamkandidierten sie vor zwei Jahren fürden SPD-Parteivorsitz. Geywitz giltals nüchterne Analytikerin, was inden hochemotional geführten Debatteneine Stärke sein kann. Von Enteignungen,machte sie gleich klar, hältsie nicht viel. Dadurch entstünde keineeinzige neue Wohnung, sagte siedem »Tagesspiegel«, es ändere sichnur die Eigentümerstruktur.Doch reichen die Rezepte ausScholz’ Hamburger Regentschaft aus,um die Probleme der kommendenJahre zu lösen? Zumal auch noch derKlimaschutz hinzukommt. Der verlangt,dass in den nächsten Jahrenunzählige Gebäude saniert werdenmüssen – das wird Mieten und Wohnungspreiseweiter treiben. Zudemmüssen alle, die weiter mit fossilenEnergieträgern heizen, mit steigendenKosten rechnen, was die Nebenkosten,die sogenannte zweite Miete,erhöhen wird.Für mehr Klimaschutz müssen dieBauvorschriften strenger werden. Ummehr Wohnungen zu bauen, müsstedie Regulierungswut eigentlich eingedämmtwerden. Ein schier unlösbaresDilemma.Die Zahl der Bauvorschriften hatsich laut Angaben des BranchenverbandsZentraler Immobilien Ausschuss(ZIA) in den vergangenen30 Jahren auf 20 000 vervierfacht.Das Bauministerium könnte sichdie Niederlande zum Vorbild nehmen:Dort hat die Regierung voreinigen Jahren das Baurecht grundlegendentrümpelt. Heute kommt dasniederländische Baugesetzbuch mit25 Prozent weniger Regeln aus alsfrüher.Eine Baustelle im Zentrum deskleinen Ortes Michendorf, 43 Kilometersüdwestlich von Berlin. JensKahl, Vorstand der Berliner Baugenossenschaft,sitzt in einem grauenBaucontainer und sagt: »Zum erstenMal seit Jahren bauen wir wieder imUmland, weil es hier deutlich einfacherist als in Berlin.«Er erzählt von seiner letzten Erfahrungaus Tempelhof-Schöneberg,der Genehmigung eines Dachausbaus.Statt teurer Penthäuser, wie siewohl ein privater Investor beantragthätte, wollte er zusätzlich zu denWohnungen mehrere Dachgärten alsGemeinschaftsfläche errichten. »Daswäre ein zeitgemäßer und klimafreundlicherAnsatz gewesen«, sagtKahl. Nachdem sein Unternehmendas Bauvorhaben den Genehmigungs-Nr. 1 / 30.12.2021DER SPIEGEL75
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