Bildnerisches und Technisches Gestalten –eine Sache der ÄsthetikUm die Beschaffenheit der Ziele im Fachbereich BTG zu verstehen, ist eineTheorie erforderlich, welche eine Affinität zum beobachteten Material hat,ihm sowohl verwandt als auch übergeordnet ist. In diesem Fall ist das dieÄsthetik; sie ist Thema des folgenden Abschnitts.Bei allen Unterschieden in der Bezeichnung der Fächer des BTG bleibt etwasGemeinsames, was aus der Sprache direkt abzulesen ist. Die Fächerhaben ihre bekannten Namen wie Zeichnen, Gestalten, Werken, und essind denn auch Bild, Gestalt und das Wirken, was ihre Substanz ausmachen.Ebenso spielen Techniken eine Rolle, denn es geht auch um Fertigkeitund um Kunstfertigkeit. Die Zugehörigkeit des Zeichnens versteht sichvon selbst wie auch die des Hand-Werks. Die Lehrpläne regeln also einenUnterricht mit viel physischer Aktivität, mit hoher Beanspruchung der Sinnebei gleichzeitiger Herausforderung des Intellekts und ohne dass ein unmittelbarerNutzen unbedingt zu resultieren hat. Die prinzipielle Reflexionüber derartige Tätigkeiten und deren Resultate ist Sache der Ästhetik, undsie bietet sich daher als theoretischer Bezugspunkt für die Untersuchungan.Wie anfänglich erwähnt, sind zurzeit bildungspolitische Entwicklungen zubeobachten, welche auch das BTG betreffen. Art und Ausmass der allfälligenNeuerungen sowie die daraus resultierenden Herausforderungen oderKonflikte sind noch nicht absehbar. Die Ästhetik ist keine mittelbar für dieVolksschule relevante Disziplin wie etwa die Mathematik, und sie ist auchaus diesem Grund geeignet, einen unabhängigen Rahmen mit eigenen Kategorienfür die Untersuchung abzugeben.Versteht man die Ästhetik als eine Sicht auf die Welt, die sich mit ihren Kategorienim Prinzip auf fast alles richten kann, wie es Ethik oder Logik mitden ihren auch tun, und hält man die Ästhetik nicht für den Massstab dafür,was als schön und was als hässlich zu gelten habe, dann taugt sie fürdie ganze Breite des Gegenstandes. Die Analyse erfolgt dann auf der Basisdes folgenden Grundverständnisses: «Das Ästhetische bezeichnet Relationen,nicht eindeutige Merkmale von etwas. Die wichtigsten dieser Relationensind sinnliche Wahrnehmung von Formen bzw. Gestalten und deren(Be)Deutungen; gestalthafte Objekte und subjektive Vermögen; Zeigen/Vorführenund Verstehen» (Trebess 2006). Der Bestimmung der anwendbarenKategorien liegt diese Systematik, angepasst auf die Fragestellung zugrunde.Wenn es nun darum geht, eine Vorstellung davon zu gewinnen, welche inhaltlichenVorgaben in der Deutschschweiz für den fraglichen Bereich, derunterschiedlich benannt und strukturiert ist, gelten, dann ist eine systematisierteübergeordnete Perspektive notwendig. Legt man den Akzent aufdie Gesamtheit, dann geht es um den Blick auf das Ganze, also das Korpus16
der Ziele zum BTG in den 14 Lehrplänen. Betont man die einzelnen Vorgaben,dann öffnet sich der Blick auf Spezifika und auf Vergleichsmöglichkeiten.Sollen die Beobachtungen beider Perspektiven in Beziehung zueinandergesetzt werden können, so ist ein Untersuchungsinstrument erforderlich,das beiden Seiten genügt. Ausgangspunkt der Analyse des Materialsist der theoretische Rahmen der Ästhetik, der nicht den Ordnungssystemenvon Lehrplänen entspricht.Ästhetik manifestiert sich in zwei Prinzipien, die auch dem BTG eigen sind: 1Erstens ist etwas physisch anwesend und zweitens ist diese Anwesenheitfür das Individuum spürbar; die Anwesenheit von etwas tangiert sein Befinden,sie tritt ihm entgegen. Physische Anwesenheit ist ein wesentlichesElement der Didaktik, die auf etwas zeigt. Die Voraussetzung des Zeigensist Präsenz – sei das ein Ding, ein Lebewesen oder eine Vorstellung. Wennes in einem Lehrplan heisst «Farbe als autonomes Gestaltungsmittel kennenlernen und anwenden» (AG 95 2 ), so ist damit die Anwesenheit einerFarbe gesetzt und sie kennen lernen heisst, ihrer gewahr werden und erfahren,wie sie einem entgegen tritt, wie sie sich zeigt – und das lässt sichauch am eigenen Befinden ablesen und für das Herstellen einer bestimmtenWirkung in einer Inszenierung einsetzen.Ästhetik im Sinne des griechischen Begriffs Aisthesis ist die die Sinne betreffendeWissenschaft, die Lehre von den sinnlichen Wahrnehmungenund den durch sie gewonnenen Erkenntnissen. Sie spannt den Bogen ausgehendvon dem Werkzeug der Wahrnehmung, den Sinnen über das Gewahrwerden,den durch sie hinterlassenen Eindruck bzw. das Spüren, zumidentifizierenden Erkennen und dem Handeln, bis zum Verstand und zuder durch ihn und die Sinne ermöglichten Erkenntnis und schliesslich zurEinstellung.Diese «neue Ästhetik» 3 die in Abgrenzung zur Ästhetik als Lehre von derSchönheit von Böhme als «Aisthetik» (Böhme 1995) bezeichnet wird, gehtüber das hinaus, was in der Alltagsprache mit ästhetisch gemeint ist, nämlichschön und kultiviert. Ästhetik verstand sich lange als Lehre von dem,was gefällt und missfällt und hat nach den Gesetzen der Schönheit gesucht.Ästhetik im Sinne von Aisthetik jedoch ist Theorie der sinnlichenWahrnehmung im Sinne der Erfahrung der Präsenz von Menschen, Gegenständenund Umgebungen. Eine solche Erfahrung kann man idealtypischin Teilvorgänge zerlegen. Damit ist der Gang durch die Systematik undnicht der Wahrnehmungsvorgang angesprochen. Die Aufmerksamkeit richtetsich auf Anwesenheit, auf Präsenz, die das Individuum erfährt undnicht auf den psychologischen Prozess einer Wahrnehmung: «Das grundlegendeWahrnehmungsereignis ist das Spüren von Anwesenheit. Dieses Spürenvon Anwesenheit ist zugleich und ungeschieden das Spüren von mir alsWahrnehmungssubjekt wie auch das Spüren der Anwesenheit von etwas»(Böhme 2001).Einen beispielhaften Wahrnehmungsverlauf, der die verschiedenen Facetteneiner Wahrnehmungserfahrung hervorhebt, schildert Böhme am Beispielder sirrenden Mücke nachts im Dunkeln:Also man denke sich, dass man im dunklen Hotelzimmer liegt, nachts aufwacht und […]dieses bedrohliche Sirren hört. Das ist allerdings eine Hörerfahrung. Aber das Entscheidende,worauf es mir jetzt ankommt, ist, dass sie auf der einen Seite quasi am ganzenLeib gespürt wird, also als Beunruhigung und Anspannung bzw. Abwehrbereitschaft, und17
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