_PRESTIGE_Mallorca_2_2015
- No tags were found...
You also want an ePaper? Increase the reach of your titles
YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.
CULINARIUM<br />
Foto: Ritz-Carton Wolfsburg,<br />
Götz Wrage<br />
beweist hier einer Mut zu echtem Geschmack. In<br />
kaum einer anderen mit drei Sternen dekorierten<br />
Küche des deutschsprachigen Raumes kann der<br />
Gast nämlich so intensive Aromen erleben wie bei<br />
Elverfeld. Daneben finden auch – zumindest in der<br />
deutschen Topgastronomie – eher selten anzutreffende<br />
Produkte den Weg auf den Teller: Lammzunge<br />
zum Beispiel, die Elverfeld mit weissem<br />
Trüffel kombiniert, oder Weinbergschnecken aus<br />
dem Odenwald mitsamt ihrem Kaviar, die er mit<br />
einer sehr kräftigen Mark-Emulsion paart.<br />
Hier darf es also ruhig auch mal merklich<br />
salzig, scharf oder bitter schmecken<br />
Wenn Elverfeld etwa ein Rindstatar mit Sardine,<br />
schwarzem Rettich, Koriander, Miso, Yuzu und<br />
Klettenwurzel kombiniert, sind nicht nur alle genannten<br />
Elemente klar als individuelle Geschmackskomponenten<br />
identifizierbar, der Küchenchef verarbeitet<br />
die Yuzufrucht ausserdem gleich mitsamt<br />
ihrer Schale, weshalb die grosszügigen Gelpunkte<br />
auf dem Teller eine deutlich akzentuierte Bitternote<br />
mitbringen, die diesen Klassiker in eine völlig<br />
neue Geschmacksdimension katapultiert. Tatar³<br />
sozusagen. Bravo.<br />
Apropos Klassiker: Seine Meriten hat sich Elverfeld<br />
nicht zuletzt mit deren längst überfälliger<br />
«Rehabilitierung» verdient. So wundern sich Erstbesucher<br />
des «Aqua» beim Blick in die Karte<br />
vielleicht hier und da schon ein wenig, tauchen<br />
dort doch regelmässig Gerichte wie Jägerschnitzel,<br />
Finkenwerder Scholle, Leber auf Berliner Art<br />
oder Sauerfleisch vom Eisbein mit Mixed Pickles<br />
und Röstkartoffeln auf. Was haben diese<br />
allenfalls der gutbürgerlichen Küche<br />
zu rechenbaren Rezepte auf der<br />
Karte eines veritablen Sternerestaurants<br />
zu suchen, mag<br />
sich mancher dabei insgeheim<br />
fragen? In Frankreich<br />
oder Italien würde diese<br />
Frage übrigens kein Gast,<br />
der etwas von guter Küche<br />
versteht, jemals stellen.<br />
Es war und ist aber genau dieses oft augenzwinkernde Spiel mit der Erfüllung<br />
bzw. Nicht-Erfüllung von Erwartungen, das einen sich durch das<br />
gesamte Menü ziehenden Spannungsbogen aufbaut, der den Besuch im<br />
«Aqua» so lohnend macht. Denn was am Ende auf den Tellern landet, hat<br />
zunächst nur wenig mit dem auf der Karte Angekündigten zu tun. Vielmehr<br />
erinnerten die immer perfekt arrangierten Teller Elverfelds in den vergangenen<br />
Jahren mal an Gemälde Piet Mondrians, wie zum Beispiel sein berühmter<br />
Lamm-Tafelspitz mit Frankfurter Grüner Sauce, mal an moderne<br />
Stillleben oder sie schienen vom epischen Ansatz japanischer Kaiseki-Küche<br />
inspiriert. Der Geschmack aber erwies sich dabei stets als potenzierte<br />
Essenz jener Idee, die diesen Gerichten ursprünglich in ihrem bürgerlichen<br />
oder bäuerlichen Kontext zu Grunde lag – und dazu gehört nun einmal auch<br />
meist ein intensives Aroma. So etwa beim norddeutschen Klassiker Birnen,<br />
Bohnen und Speck, den uns Elverfeld Ende 2014 als Teil einer Amuse-<br />
Bouche-Trilogie serviert. Der Küchenchef dekonstruiert das kulinarische<br />
Dreigestirn in eine hauchdünne, getrocknete und herrlich krosse Birnenscheibe,<br />
die mit fast schon puderartigen Speckpartikeln gesprenkelt ist –<br />
schon die schmeckt für sich genommen grossartig. Daneben serviert er<br />
zwei Suppen-Shots mit leichten Bohnen und einem herrlich cremigen<br />
Specksud. Voilà! Geschmack pur.<br />
Mehr kann ein Koch nicht leisten …<br />
Am besten lässt sich das kulinarische Déjà-vu-Erlebnis à la «Aqua» vielleicht<br />
anhand einer Schlüsselszene aus dem Pixar-Klassiker «Ratatouille» plastisch<br />
machen. Als der grimmige Gastrokritiker Ego – nomen est omen – das von<br />
der kochenden Ratte Rémy zubereitete Gemüsegericht der französischen<br />
Arbeiter und Bauern probiert, versetzt ihn dieser authentische Geschmack<br />
wie eine Zeitmaschine im Bruchteil einer Sekunde zurück in eine Szene seiner<br />
Kindheit. Damals hatte ihn seine Mutter nach einem Sturz vom Fahrrad mit<br />
einem grossen Topf Ratatouille getröstet. Mehr Seele auf dem Teller geht<br />
nicht, und genau solche Teller liefert Elverfeld fast wie am Fliessband. Mit<br />
Verlaub: Mehr kann ein Koch nicht leisten.<br />
Dass der gebürtige Hesse auch was den Einsatz regionaler Produkte in der<br />
Spitzenküche angeht zu den Pionieren gehört, sei hier nur der Vollständigkeit<br />
halber erwähnt. Gleichzeitig ist Elverfeld einer, der niemals stehen bleibt,<br />
sich niemals auf seinen Lorbeeren ausruht. Wirft man etwa einen Blick in sein<br />
vor vier Jahren in der Collection Rolf Heyne erschienenes monumentales<br />
Kochbuch und vergleicht die Rezepte von 2008–2011 mit dem, was heute<br />
auf der Karte des «Aqua» steht, ist auch hier schon wieder eine deutliche<br />
Weiterentwicklung zu spüren. So wirkt Elverfelds Spiel mit Aromen und<br />
Zutaten trotz höchster Weihen – mittlerweile steht das «Aqua» auf der<br />
Foto: Ritz-Carton Wolfsburg,<br />
Götz Wrage<br />
The Luxury Way of Life | 207