_PRESTIGE_Mallorca_2_2015
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CULTURE<br />
keinen Fall den Freuden dieser Welt hingeben durfte. Eine Figur, die zu den<br />
bedeutungsvollsten Kaisern des Mittel alters zu zählen ist, war der römischdeutsche<br />
Kaiser Karl IV. (1316–1378), der zur Zeit der Grossen Pest von 1347<br />
bis 1351 in Europa lebte. Sein Zeitalter war geprägt durch eine tiefe Frömmigkeit,<br />
die ihren Ausdruck in einer Anschaulichkeit erhalten sollte, weshalb das<br />
Sammeln von Reliquien eifrig betrieben wurde, wie der Historiker Ferdinand<br />
Seibt ausführt. Dies führte zu einem ausgeprägten Reliquienkult Karls IV., der<br />
sich gar in seine eigene Krone einen Dorn aus der angeblichen Dornenkrone<br />
Christi einlassen liess, um eine Brücke zwischen Königtum und Leidensgeschichte<br />
des Herrn zu schlagen. Geschickt wusste er damit seinen Reliquienkult<br />
und seine Frömmigkeit auch politisch einzusetzen und stärkte so seine<br />
Machtposition. Das Sammeln von Reliquien diente also der Repräsentation<br />
seines gesamten Reiches. Für seine Reliquiensammlung und als Schatzkammer<br />
der Reichskleinodien des Heiligen Römischen Reiches liess er ab 1348<br />
die Burg Karlstein in der Nähe von Prag erbauen, die noch heute, allerdings<br />
im 19. Jh. renoviert und umgebaut, besichtigt werden kann. Im zweiten<br />
Stockwerk des grossen Turmes der Burg befindet sich die sagenhafte Kreuzkapelle,<br />
deren Wände mit Edelsteinen ausgekleidet wurden und in die sich<br />
der Kaiser gerne alleine zurückzog. Der Reichtum ist nicht nur Reliquienhülle<br />
und Präsentation der Macht, sondern Edelsteinen wurde eine Wirkung gegen<br />
die Pest bescheinigt, die zu Lebzeiten Karls IV. in Europa wütete. Karl IV. gilt<br />
als hochgebildeter, mehrsprachiger Herrscher, der eifrig bestrebt war, Wissen<br />
anzusammeln, und es ist deshalb auch kein Zufall, dass er seine Erinnerungen<br />
sammelte und diese in einer Autobiographie zu Papier brachte.<br />
Die Geburt der europäischen Sammelkultur<br />
Wie Karl IV. seine Kreuzkapelle als Rückzugsort benutzte, entwickelte sich<br />
aus den fürstlichen Schatzkammern das «studiolo», ein Extraraum für Antikes,<br />
Gemmen, Skulpturen, Münzen, Medaillen etc. Die Ersterwähnung eines<br />
solchen «studiolo» findet sich für das Jahr 1335. Die Schatzkammer diente<br />
bisher der Dokumentation des Reichtums und der Macht, wohingegen mit<br />
dem «studiolo» die Idee des Rückzugs verfolgt wurde und damit auch der<br />
Ordnungsgedanke Einzug hielt. Mit der Entdeckung und Erforschung neuer<br />
Kontinente trat Europa nun aus dem langen Schatten der Antike über alles<br />
Wissen. Ein Jahrhundert nach der Entdeckung Amerikas kamen täglich unbekannte<br />
und seltsame Objekte in die Häfen<br />
Europas, weshalb Sammler auf diese Umwälzung<br />
reagierten. Das 16. Jh. war die Geburt der Museen<br />
und der empiri schen Forschung. Immer mehr Privatleute<br />
be gannen, naturwissenschaftliche Sammlungen<br />
auf zubauen (seltene Steine, ausgestopfte<br />
Vögel etc.). Sie wurden zur Triebfeder der Säkularisierung<br />
und stellten ein Kompendium von Wissen<br />
dar, das die Unabhängigkeit von der Kirche bedeutete.<br />
Der Historiker Philipp Blom spricht gar von einer<br />
Sammelkultur in Europa, die im 16. Jh. explodierte.<br />
Grundlegende Faktoren zur Etablierung einer<br />
solchen waren der Buchdruck (Informationsaustausch),<br />
Fortschritt im Schiffsbau (Austausch von<br />
Waren) und ein effizientes Bankensystem, das<br />
den finanziellen Austausch erleichterte. Nach<br />
DIE WUNDERKAMMERN<br />
Eines der beeindruckendsten historischen Sammlungsphänomene<br />
sind die etwa seit Beginn des 16. Jahrhunderts aufkommenden<br />
Wunderkammern. Höchst unterschiedliche Dinge, deren Herkunft<br />
und ursprünglicher Kontext zum Teil unbekannt waren, wurden<br />
damals in separat eingerichteten Räumen, zum Teil in eigenen Gebäudetrakten<br />
als Arrangement neben-, über- und untereinander<br />
angeordnet. So konnte das Skelett eines Froschs neben einer beschnitzten<br />
Kokosnuss mit Silberbeschlag stehen. Die künstlerische<br />
Verarbeitung eines Naturproduktes zu einem Artificialium war<br />
besonders beliebt. Viele Objekte einer Wunderkammer waren<br />
Ausdruck einer anderen fremden Kultur. Auch zahlreiche Künstler<br />
hatten solch eine Wunderkammer. Rembrandts Künstler-Wunderkammer<br />
ist die bekannteste der frühen Neuzeit. Aber auch heute<br />
noch gibt es Künstler, die sich auf die Insze nierung ihres Sammelguts<br />
konzentrieren.<br />
The Luxury Way of Life | 35