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_PRESTIGE_Mallorca_2_2015

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CULTURE<br />

der Grossen Pest verändert sich zudem die Einstellung zu irdischen Dingen,<br />

denn es kommt das Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit auf (Vanitas-<br />

Motive: brennende Kerzen, Sanduhren), wie dies beispielsweise schön im<br />

Kupferstich «Melancolia I» von 1514 von Albrecht Dürer zum Ausdruck kommt.<br />

Es ist die Geburt der Welt der Dinge. Anfänglich sammelt man Kurioses sowie<br />

Interessantes und stellt es in sogenannten Kuriositätenkabinetten, einer Art<br />

Möbelstück, die sich beispielsweise in Apotheken (mit getrockneten Fischen,<br />

Teilen von ägyptischen Mumien) finden liessen, aus.<br />

Daraus entwickelten sich wiederum die Wunderkammern oder Kunstkammern<br />

der Spätrenaissance. Man sammelte alles, was seltsam und fremd war.<br />

Auf diese Weise gelangten 1562 auch erstmals Tulpenzwiebeln nach Europa.<br />

John Trades cant (1570–1638), ursprünglich Gärtner des Herzogs von<br />

Buckingham, ist als eifriger Pflanzensammler bekannt und setzte eine botanische<br />

Völker wanderung in Gang. Auch das Sammeln und Klassifizieren<br />

bzw. das Einbalsamieren von ganzen menschlichen Körpern kam im 17. Jh. auf,<br />

womit ein zunehmendes anatomisches Wissen einherging. Eine solche<br />

Sammlerfigur, die unter anderem von der Ana tomie fasziniert war, war der<br />

russische Zar Peter der Grosse (1672–1725), der eine Vorliebe für lebendige<br />

Kleinwüchsige hatte und auch einen Hermaphroditen zu seiner kaiserlichen<br />

Sammlung zählte. Er war der erste grosse Sammler der russischen Geschichte,<br />

und es lässt einen beim Gedanken, dass er Passanten auf der<br />

Strasse Zähne zog, um diese dann zu sammeln, schaudern.<br />

Die Ordnung der Dinge<br />

Während im 16. und 17. Jahrhundert noch die Kuriositätenkabinette vorherrschend<br />

waren und sich dadurch auszeichneten, dass universal gesammelt<br />

wurde, war das 18. Jh. durch Systematik und spezialisierte Sammlungen geprägt.<br />

Carl Linné (1707–1778) gilt diesbezüglich als einer der be deutendsten<br />

Persönlichkeiten. Er stellte eine botanische Sammlung zusammen und schuf<br />

eine sexuelle Systematik des Pflanzenreiches. Die Ordnung der Dinge wurde<br />

nun relevant. Es ist auch im 18. Jh., als Sammlungen im Zuge der Auf klärung<br />

vermehrt dem Volk zugänglich gemacht wurden. Im 19. Jh. spriessen überall<br />

in Europa Museen und hatten einen missionarischen Zweck: Sie dienten der<br />

Propaganda der aufkommenden Nationalstaaten und sollten mithelfen, den<br />

Bürger zu formen und zu erziehen. Ab 1870 kam auch erstmals der Begriff<br />

des «Kitsch» auf, der von Münchner Kunsthändlern geprägt wurde, die Bilder<br />

in Malmanufakturen herstellten, um sie an englischsprachige Touristen zu<br />

«verkitschen». Sammeln wurde zur Konsumtätigkeit.<br />

Auf Diebestour<br />

Ein Sammler und zugleich einer der berühmtberüchtigtsten<br />

Kunstdiebe unserer Zeit hat wohl<br />

so manchem Kurator schlaflose Nächte bereitet:<br />

Stéphane Breitwieser stahl zwischen 1995 und<br />

2001 auf seiner Diebestour durch ganz Europa<br />

über 200 Kunstwerke im Gesamtwert von circa<br />

20 Mio. Euro. Diese verkaufte er nicht etwa, sondern<br />

sammelte sie zuhause. Den ersten Griff nach<br />

einem Gemälde beging er 1995 in der Schweiz,<br />

wo er auch 2001 nach einem Diebstahl gefasst<br />

wurde. Als Komplizinnen durfte er auf seine Mutter<br />

und seine Freundin zählen. Seine Mutter vernichtete<br />

offenbar einen Teil seines Diebesgutes und<br />

kassierte wie seine Freundin dafür ebenfalls eine<br />

Haftstrafe. Im Jahre 2006 erschien eine Autobiographie<br />

Breitwiesers mit dem Titel «Confessions<br />

d’un voleur d’art». Allerdings wurde der Elsässer<br />

2011 erneut gefasst, da er rückfällig geworden<br />

war. Er selbst begründete seine Vergehen mit<br />

einem Sammelzwang: «Ein Kunstsammler ist nur<br />

dann glücklich, wenn er das begehrte Objekt<br />

endlich besitzt. Aber dann will er etwas Neues,<br />

wieder und wieder, er kann einfach nicht aufhören.»<br />

Die Kulturgeschichte des Sammelns lehrt uns nicht<br />

nur, was wann und wie gesammelt wurde, sondern<br />

sie ist auch ein Spiegel unseres Selbst. Denn<br />

noch immer ist jedes Objekt, das wir sammeln,<br />

etwas, wonach wir uns sehnen, und das wichtigste<br />

Stück der Sammlung kommt erst noch.<br />

36 | <strong>PRESTIGE</strong><br />

«Wenn man<br />

ein Kenner ist,<br />

darf man keine<br />

Sammlung anlegen.»<br />

– Jean-Jacques Rousseau –

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