Grundwissen Kultur- und Medienwissenschaft III. - Index of - Eötvös ...
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Helmut Kreuzer<br />
lung des Lesers nicht ignoriert); der Vergleich soll nur verdeutlichen, daß die Zahl möglicher<br />
„Konkretisationen” nicht fixierbar ist <strong>und</strong> jede Verfilmung den Leser des Originals in<br />
irgendeiner Hinsicht – positiv oder negativ – überraschen wird. Eine Interpretation ohne<br />
eine eigene Entdeckung, eine bloße Paraphrase des Geläufigen ist im Bereich der Verfilmung<br />
so überflüssig wie in der Literaturwissenschaft. Die Verfilmung sieht sich daher<br />
doppelter Kritik ausgesetzt – der Kritik am „Film” als solchem <strong>und</strong> der Kritik ihres Verhältnisses<br />
zum Verfilmten <strong>und</strong> zu früheren Verfilmungen. Daß die Verfilmung als solche<br />
das „Original” gr<strong>und</strong>sätzlich popularisiere oder entradikalisiere, erscheint mir unzutreffend;<br />
daß sie es bislang vielfach getan hat, dürfte mehr am Medium Kino als an der<br />
Kunstart Film gelegen haben (auch wenn nicht bestritten werden soll, daß der Film noch<br />
bessere Möglichkeiten als das Theater hat, ästhetische Distanz zu verringern, Einfühlung<br />
in, „Identifikation” mit fiktiven „Helden” zu erleichtern). Ihre eigene Historizität sollte die<br />
interpretierende Transformation filmisch mitreflektieren. Sie kann sichtbar machen, worin<br />
sie den bestimmenden Sinn ihrer Vorlage erkennt <strong>und</strong> wieweit sie ihn sich zu eigen<br />
macht, das heißt, worin das Sinnzentrum <strong>und</strong> das Wirkungsziel der Verfilmung liegt. Diese<br />
kann mit ihrer Vorlage „spielen”; Momente der Kritik, der Parodie <strong>und</strong> Ironie gegenüber<br />
der Vorlage [...] wie gegenüber älteren Verfilmungen sind nicht ausgeschlossen;<br />
auch das spricht dafür, von interpretativem Werkbezug statt von Werktreue zu sprechen;<br />
die letztere scheint nur ein Verhältnis kritikloser Unterordnung zuzulassen.<br />
Die Literaturverfilmung ist in der Transformation ihrer Vorlage sowohl der Literaturgeschichte<br />
verpflichtet, aus der sie in bestimmter Weise hervorgeht <strong>und</strong> in die sie<br />
ihrerseits hineinwirkt, wie der speziellen Verfilmungs- <strong>und</strong> der allgemeinen Filmgeschichte;<br />
sie läßt sich als Kollision* oder Synthese unterschiedlicher Traditionen auffassen<br />
<strong>und</strong> analysieren. Das Filmerlebnis wird daher um so komplexer, je vielfältiger die<br />
ästhetische Erfahrung der Zuschauer ist. Das trifft nicht nur für Literaturverfilmungen zu<br />
(ein Regisseur wie Truffaut wendet sich generell an ein auch literarisch, nicht nur filmisch<br />
versiertes Publikum), gilt aber auch für sie in besonderem Maße. Oft genug setzt bereits<br />
das Detailverständnis der äußeren Handlung die Kenntnis der Vorlage voraus. Je wichtiger<br />
für die Eigenart der Vorlage sprachliche Brillanz <strong>und</strong> Metaphorik, theoretischer Diskurs,<br />
innere Monologe sind, desto mehr Kreativität beansprucht eine Transformation in<br />
den analogen Film, desto unübersehbarer wird der künstlerische Identitätswechsel, desto<br />
unüberbrückbarer die Distanz, im künstlerischen Glücksfall aber auch: desto intimer die<br />
Nähe <strong>und</strong> Verwandtschaft zwischen den zwei Werken.<br />
Wenn eine Verfilmung eine historische Vorlage hat, kann die historische Distanz<br />
in der Verfilmung betont oder überspielt werden. Im zweiten Fall sollte erkennbar<br />
werden, wie sich die ungebrochene Aktualität des verfilmten Werkes begründet; im ersten<br />
Fall, worin die künstlerische Aktualität der historisierenden Literaturverfilmung liegt, der<br />
aktuelle Sinn der Transformierung eines Werkes, das als ungegenwärtiges begriffen <strong>und</strong><br />
gezeigt wird, in ein gegenwärtiges Massenmedium. Läßt sich dieser aktuelle Sinn ohne<br />
wesentliche Abweichungen vom literarischen Original nicht erreichen, Abweichungen,<br />
die nicht durch den Transformationsprozeß als solchen bedingt sind, sondern aus der Kritik<br />
an der Vorlage folgen oder aus einem Wirkungswillen, dem die Vorlage aus historischen<br />
Gründen nicht genügen kann, dann geht die interpretierende Transformation in eine