Grundwissen Kultur- und Medienwissenschaft III. - Index of - Eötvös ...
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Joachim Paech<br />
terhaltungsprogramms, in dem sie eine Programmnummer unter anderen darstellten.<br />
Das Programm des Berliner Wintergarten nannte um 1900 Attraktionen wie die folgenden:<br />
„Arthur Saxon, der stärkste Mann der Welt; die Stanley Bros., Equilibristen; Geschwister<br />
Klein, Kunstradfahrer; Gebrüder Darras, Handvoltigeure; <strong>und</strong> die Truppe Hegelmann mit<br />
einer berühmten Hochseilnummer” (Festschrift „50 Jahre Wintergarten” 1888-1938. (1938)<br />
Repr. Hildesheim, New York 1975, S. 37-39).<br />
Ein amerikanisches Vaudeville-Programm enthielt gewöhnlich neun Nummern, die untereinander<br />
ohne engere Verbindung waren: Auf eine burleske Eröffnungsnummer folgten<br />
Akrobaten, Tiernummern, ein Zauberer, Tanz- <strong>und</strong> Gesangsdarbietungen. Den Schluß<br />
bildete wieder eine komische Nummer. „Obwohl das Vaudeville seinem Publikum wie<br />
eine unstrukturierte Sammlung unterschiedlicher Nummern vorkam, war es tatsächlich bis<br />
ins Kleinste geplant <strong>und</strong> kontrollierte mit präzisen Pointen die Reaktionen des Publikums”<br />
(Vgl. Don B. Wilmeth, Stage Entertainment. in: Inge, M. Thomas [ed]: American Popular<br />
Culture, Vol. 1. S. 296). In diesen Programmablauf ließen sich Filmvorführungen ohne<br />
weiteres integrieren, <strong>und</strong> auch hier sah man das, was vorher live vorgeführt wurde, zum<br />
Beispiel Akrobaten oder eine komische Nummer, jetzt noch sensationeller als flimmernde<br />
Schatten auf der Leinwand an derselben Stelle.<br />
Auch wenn das Programm nur Filmvorführungen enthielt, geschah das in einem programmatischen<br />
Umfeld, das sie in den Kontext der populär-kulturellen Darbietungen eingeordnet<br />
hat, z.B. den Jahrmarkt oder Zirkus oder die Tradition der Café-concert-<br />
Veranstaltungen, in der Lumières erste Filmvorführungen stattfanden. Dieses erste Filmprogramm<br />
hat die Vielfalt der Nummern, die üblicherweise in solchen Veranstaltungen zu<br />
sehen waren, wiedergespiegelt: Die Einzelfilme dauerten jeweils nicht länger als eine<br />
Minute: „La sortie des usines Lumière à Lyon” – „Le déjeuner de Bébé” – „Bassin des<br />
Tuileries” – „L'arrivé d’un train en gare de La Ciotat” – „Le régiment” – „Maréchalferrant”<br />
– „La partie d’écarté” – „Mauvaises herbes” – „Le mure” – „La mer” –<br />
„L’arroscur arrosé”. Jeder Film ist eine Nummer für sich, <strong>und</strong> auch die dokumentierenden<br />
Aufnahmen waren besondere Attraktionen nur als bewegte Bilder von Menschen, die aus<br />
einer Fabrik kommen, von einem Eisenbahnzug, der in einen Bahnh<strong>of</strong> einfährt, einer<br />
Wasserfontaine etc.; dazu gibt es kleine Genreszenen wie die Fütterung eines Babys (der<br />
Familie Lumière) oder von Kartenspielern <strong>und</strong> am Ende, wie im Vaudeville <strong>und</strong> Varieté<br />
üblich, eine komische Nummer, „Der begossene Rasensprenger”.<br />
In den ersten Jahren war der Film also nichts anderes als eine filmische Wiederholung<br />
<strong>und</strong> Erweiterung des Programms, von dem er in den populär-kulturellen Unterhaltungsetablissements<br />
der Industrie-Nationen um die Jahrh<strong>und</strong>ertwende einen Teil bildete:<br />
Die Laterna magica-Projektionen zeigten nun statt ihrer Glasscheiben bewegte Bilder<br />
ganz ähnlicher Sujets, kleine, meist komische Theaterszenen sah man an derselben Stelle<br />
projiziert statt szenisch aufgeführt, <strong>und</strong> die Kleinkunst-Nummern der Varietés konnte man<br />
so <strong>of</strong>t wiederholen, wie man wollte, ohne daß die Akteure ermüdeten.