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Grundwissen Kultur- und Medienwissenschaft III. - Index of - Eötvös ...

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Dieter E. Zimmer<br />

scheinlich ein Missverständnis. Um der Echolosigkeit des Internets vorzubeugen, könnte<br />

der Autor solche Missverständnisse absichtlich provozieren <strong>und</strong> etwa seinem Werk wie<br />

einst Richardson den Titel Pamela geben oder noch besser Pamela Andersson – diesen<br />

Trick hätten ihm schon einige vorgemacht. So könnte er allerdings „Web-Traffic” erzeugen<br />

<strong>und</strong> Besucher auf seine Homepage locken, aber die würden sich nach einem kurzen<br />

Blick enttäuscht aus dem Staub machen.<br />

Kings Experiment konnte also nur darum den Anschein eines positiven Ausgangs haben,<br />

weil er nicht erst im Internet berühmt werden musste, sondern es schon vorher war.<br />

Vorher aber war er es auf völlig konventionelle Weise geworden: unter Mithilfe von Verlegern<br />

<strong>und</strong> Buchhändlern. Nebenbei nämlich erfüllt der ganze traditionelle Publikationsapparat<br />

eine Filterfunktion, die umso wichtiger <strong>und</strong> unerlässlicher wird, je mehr „Information”<br />

von allen Seiten <strong>und</strong> auf allen Kanälen auf die Menschen einstürmt <strong>und</strong> ihre<br />

Aufmerksamkeit beansprucht. Aufmerksamkeit ist unsere kostbarste Ressource, die nicht<br />

beliebig vermehrbar ist. Wir lassen nur an uns heran, was wir von uns aus begehren oder<br />

was wenigstens eine Empfehlung mit sich bringt. Wir sind auf alle Arten von Gütesiegeln<br />

angewiesen. Allein die Tatsache, dass ein Buch gedruckt wurde, beweist, dass jemand es<br />

für druckbar <strong>und</strong> also wohl auch für lesenswert gehalten hat. Wenn ein bestimmter Autoren-<br />

oder Verlagsname darauf steht, der sich in der Vergangenheit unser Vertrauen verdient<br />

hat, werden wir dem neuen Buch einen zusätzlichen Aufmerksamkeitsvorschuss<br />

einräumen. Die äußere Gestalt des Buches zeigt an, welchen Einsatz es seinen Verlag wert<br />

war. Dieser hat systematisch versucht, es über das Geflecht der Multiplikatoren bekannt<br />

zu machen. Auf dem langen Weg vom Schreibtisch des Verfassers bis ins Regal der<br />

Buchhandlung hat es verschiedene Qualitätskontrollen durchlaufen, ist allerlei Publikationssachverstand<br />

in das Werk eingeflossen. Wir wissen zwar, dass <strong>of</strong>t auch alles das nichts<br />

nützt, aber die möglicherweise völlig ungeprüften Inhalte des Internets bekommen unser<br />

Misstrauen in ungedämpfter Wucht zu spüren. Der ganze konventionelle Publikationsprozess<br />

trägt dazu bei, dass ein Buch die Abwehrmauer durchbricht <strong>und</strong> am Ende einige der<br />

Leser findet, denen es zugedacht war. Wenn eine Gruppe von jungen, dynamischen Autoren<br />

sich vornähme, alle ihre Produkte künftig nur noch im Internet zu verbreiten, bliebe<br />

ihnen gar nichts anderes übrig, als dafür etwas zu gründen, was vielleicht anders hieße<br />

(„MediaClick Studio” oder so ähnlich), aber nichts anderes wäre als ein Verlag fürs Internet<br />

– eine Bündelung von pr<strong>of</strong>essionellem Publikationssachverstand.<br />

Noch aus einem schlichten dritten Gr<strong>und</strong> bewies Stephen Kings Experiment nicht, was<br />

es zu beweisen schien. Eine halbe Million Mal in zwei Tagen zwar war sein Riding the<br />

Bullet heruntergeladen worden. Aber wurde die Geschichte auch eine halbe Million<br />

Mal am Bildschirm gelesen? Man muss sich gar nicht auf die beliebte Verdächtigung<br />

einlassen, dass all die Bücher, die in ständig wachsender Zahl gekauft, verliehen, verschenkt,<br />

kopiert, geladen werden, in Wirklichkeit gar nicht gelesen würden, um daran zu<br />

zweifeln. Nehmen wir an, es seien alles Fans gewesen, die jedes Wort des Meisters<br />

einsaugen, <strong>und</strong> keiner hätte sich auch nur ein Wort entgehen lassen. Aber hätten sie es am<br />

Bildschirm gelesen? Oder hätten sie es vor dem Lesen ausgedruckt? Das weiß man natürlich<br />

nicht. Fünf<strong>und</strong>sechzig locker <strong>und</strong> luftig gefüllte Bildschirmseiten: Da ist es gerade<br />

noch denkbar, dass manche sich das Ausdrucken erspart haben. Man darf aber annehmen,

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