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Grundwissen Kultur- und Medienwissenschaft III. - Index of - Eötvös ...

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Günther Pflug<br />

kationsform entwickelt: der Kongreß. Der Kongreß ist aus dem Bedürfnis des persönlichen,<br />

oralen Kontakts entsprungen, wie etwa auch die Akademie. Doch haben beide Institutionen<br />

die wissenschaftliche Gr<strong>und</strong>bedingung der Literalität beibehalten. Ursprünglich<br />

wurden nämlich die mündlich vorgetragenen Forschungsergebnisse einschließlich der<br />

durch sie ausgelösten Diskussionen in den Kongreß- oder Akademieakten veröffentlicht.<br />

Heute jedoch wird bei den meisten Kongressen nur noch ein Teil der gehaltenen Vorträge<br />

publiziert. Der nicht veröffentlichte Teil ist günstigstenfalls in Form von sogenannten<br />

Preprints zugänglich, die jedoch für Außenstehende <strong>of</strong>t nicht mehr erreichbar sind.<br />

Hier wirken drei Komponenten auf die Rückentwicklung von der Literalität zur<br />

Oralität ein. Erstens lebt in ihr das alte Platonische Argument fort, daß wahre Erkenntnis<br />

nicht in der Lektüre, sondern nur im Gespräch gewonnen werden kann. Zweitens<br />

hat sich die Wissenschaft auf mehreren Gebieten derart schnell entwickelt, daß die<br />

traditionellen Formen der Publikation diesem Tempo nicht mehr entsprechen können. An<br />

die Stelle der schriftlichen Version tritt wieder die mündliche. Und drittens ist der Spezialisierungsgrad<br />

in vielen Wissenschaften so weit fortgeschritten, daß der Kreis möglicher<br />

Interessenten wieder so weit überschaubar wird, daß eine individuelle Informationsverbreitung<br />

einen besseren Zugang zu den wirklich Interessierten darstellt. Das<br />

führt zu einer Zwischenform zwischen einer oralen <strong>und</strong> einer literalen Mitteilung in Form<br />

der Mailbox-Nachricht. Diese Form knüpft wieder an die alte Form des Gelehrtenbriefes<br />

an, wie er etwa bis in die Mitte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts bestanden hat.<br />

Auch in der Literatur, die nach herkömmlicher Ansicht der typische Bereich für die<br />

Schriftlichkeit ist, gibt es ein latentes Spannungsverhältnis zwischen den beiden Polen<br />

der Literalität <strong>und</strong> der Oralität, das sich bis heute erhalten hat, wenn dies auch meist<br />

nicht bemerkt wird.<br />

Daß die Literatur in ihrer historischen Entwicklung erst verhältnismäßig spät zur literalen<br />

Überlieferungsform übergegangen ist, daß der erste Schrifteinsatz auf anderen Gebieten<br />

als der Literatur erfolgte, ist ein gesichertes historisches Faktum. Es ist zum Beispiel<br />

sehr unwahrscheinlich, daß Homer seine Epen schriftlich aufgezeichnet hat. Dennoch<br />

kennt er – wie die Geschichte des Bellerophon im 6. Buch der Ilias zeigt – die<br />

Schrift, da in ihr ein Brief eine entscheidende Rolle spielt. Und selbst nach einem allgemeinen<br />

Übergang zur Literalität haben sich auch in der Literatur weiterhin Formen mit<br />

oraler Überlieferung erhalten, so in der Sage, dem Märchen, in der Fabel <strong>und</strong> der Parabel<br />

sowie im Volkslied, um nur die wichtigsten Beispiele zu nennen. Und selbst heute gibt es<br />

Bereiche, in denen die literarischen Produkte – selbst wenn sie aufgezeichnet werden –<br />

nicht eigentlich in dieser Form, sondern durch mündliche Vermittlung ihre Verbreitung<br />

finden, z. B. der Schlager oder das Karnevalslied.<br />

Nun läßt sich sicherlich nicht bestreiten, daß es sich bei diesen literarischen Formen<br />

um Randerscheinungen der Literatur handelt, daß das, was man unter der eigentlichen,<br />

kulturtragenden Literatur versteht, durchweg in schriftlicher Form verbreitet<br />

wird. Dennoch möchte ich hier zwei Phänomene anführen, die zeigen, daß auch heute<br />

noch auf dem Gebiet der schönen Literatur ein Spannungsverhältnis zwischen Oralität<br />

<strong>und</strong> Literalität besteht.

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