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Grundwissen Kultur- und Medienwissenschaft III. - Index of - Eötvös ...

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Schriftlichkeit <strong>und</strong> Mündlichkeit<br />

gang vom oralen zum literalen Recht, so fällt s<strong>of</strong>ort ins Auge, daß nur ein kleiner Teil<br />

des ursprünglich rein oralen Rechts literale Formen angenommen hat. Die ältesten<br />

Rechtstexte – etwa die Rechtssammlung Hamurabis oder das sogenannte B<strong>und</strong>esbuch aus<br />

dem Alten Testament sind Sammlungen von Gesetzen oder Verhaltensnormen. Der eigentliche<br />

Prozeß der Rechtsprechung jedoch ist fast durchgängig mündlich geblieben<br />

– bei allen Völkern bis auf unsere Tage. Zwar sind auch in diesen Prozeßverlauf literale<br />

Elemente eingegangen. Doch haben sie lediglich ergänzende Funktion in einem gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

oralen Verfahren. So müssen Zeugenaussagen oder Eidesleistungen vor Gericht in<br />

aller Regel mündlich erfolgen, da der unmittelbaren Aussage ein größeres Gewicht beigemessen<br />

wird als der schriftlich formulierten. Hier zeigt sich noch heute eine gewisse Abwertung<br />

der Schriftform.<br />

Daß schließlich das mündlich verkündete Urteil schriftlich festgehalten wird – so bereits<br />

in der frühgriechischen Rechtstradition des 7. vorchristlichen Jahrh<strong>und</strong>erts –, dient<br />

nicht nur der archivalischen Sicherung, sondern auch der Weiterbildung des Rechts, am<br />

deutlichsten in Rechtssystemen mit Präjudizcharakter.<br />

Doch nicht nur in der Rechtssprechung, auch im täglichen Rechtsgeschäft hat sich die<br />

orale Form als die Normalform erhalten. Noch heute bedienen sich die weitaus meisten<br />

Rechtsgeschäfte nicht der Schriftform. Alle Kaufgeschäfte des täglichen Lebens werden<br />

mündlich abgewickelt. Das deutsche Recht schreibt nur für wenige zivilrechtliche Handlungen<br />

eine Schriftform zwingend vor, z.B. bei Gr<strong>und</strong>stückskäufen, Schenkungsversprechen<br />

oder Testamenten, <strong>und</strong> das wohl aus unterschiedlichen Gründen, nicht nur etwa zur<br />

Beweissicherung, sondern auch um die Ernsthaftigkeit einer Willensäußerung festzustellen.<br />

Denn nach allgemeiner Erfahrung wird mündlich leichter etwas versprochen als<br />

schriftlich.<br />

Hier zeigt sich, daß bei dem Übergang von der Mündlichkeit zur Schriftlichkeit im<br />

wesentlichen zwei soziale Komponenten zusammenwirken, die auch bei hoch entwickelter<br />

Literalität orale Traditionen weiterbewahren. Dies sind die bereits von Platon angeführte<br />

Dialektik der Wahrheitsfindung, die eine diskursive Auseinandersetzung der Parteien<br />

verlangt, <strong>und</strong> die größere Aussagebreite einer mündlichen Darstellung, in der die nichtverbale<br />

Kommunikation ergänzend zur sprachlichen Ausführung tritt. Einige Kommunikationstheoretiker<br />

schätzen den Anteil nichtverbaler Information in der mündlichen Kommunikation<br />

auf über 50 %. Unter diesem Aspekt stellt ein Übergang von der Mündlichkeit<br />

zur Schriftlichkeit einen Informationsverlust dar.<br />

Ein anderes Gebiet, auf dem uns auf den ersten Blick die Schriftlichkeit wie eine<br />

selbstverständliche Voraussetzung erscheint, ist die Wissenschaft. Als z.B. eine Fakultät<br />

an einer deutschen Hochschule, aus welchen Gründen auch immer, unter Berufung auf<br />

den Schutz persönlicher Daten die Veröffentlichung der an ihr abgeschlossenen Dissertationen<br />

abschaffen oder auch nur einschränken wollte, wurde dies allgemein als ein Angriff<br />

auf die universelle Zugänglichkeit wissenschaftlicher Ergebnisse verstanden, die als<br />

Kernbestand wissenschaftlicher Struktur angesehen wird. Der Fakultätsbeschluß mußte<br />

daher auf Weisung des Ministeriums zurückgenommen werden. Dennoch hat in zunehmendem<br />

Maße auch die Wissenschaft seit dem letzten Jahrh<strong>und</strong>ert eine orale Kommuni-<br />

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