Grundwissen Kultur- und Medienwissenschaft III. - Index of - Eötvös ...
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Vom Ruß auf Holz zum Pixel im Kristall 51<br />
Auch die Literatur wäre dann im digitalen Zeitalter angekommen <strong>und</strong> nähme an dem großen,<br />
allgemeinen, schnellen <strong>und</strong> fabelhaft billigen Informationsaustausch teil. Kein W<strong>und</strong>er,<br />
dass viele in der Netzgemeinde Kings Initiative als epochemachende Pioniertat begrüßten.<br />
Auch diesem zweiten Experiment schien zunächst Erfolg beschieden. Im Netz tauchten<br />
die angekündigten Fortsetzungen des Romans auf; also mussten sich Kings Leser wohl<br />
auf seine Bedingungen eingelassen haben. Wenige allerdings wussten, dass The Plant alte<br />
Ware war, ein Anfang der achtziger Jahre begonnenes, als Weihnachtsgruß privat gedrucktes<br />
<strong>und</strong> verschicktes Romanmanuskript, das jetzt im Netz wieder aufgewärmt wurde.<br />
Ein doppelt positives Ergebnis? Der Anschein täuschte, <strong>und</strong> das aus mehreren Gründen.<br />
Erstens: Man stelle sich vor, Thomas Mann hätte die Buddenbrooks als Fortsetzungsroman<br />
kapitelweise direkt an die Leser verkaufen müssen <strong>und</strong> das jeweils nächste Kapitel<br />
nur geschrieben, wenn die Kasse bis dahin gestimmt hätte <strong>und</strong> alle Schulden eingetrieben<br />
gewesen wären. Seriöse Literatur ließe sich unter diesem selbst auferlegten Direktvermarktungszwang<br />
überhaupt nicht hervorbringen, selbst Konfektionsliteratur<br />
geriete unter solchen Produktionsbedingungen zum Krampf.<br />
Zweitens: Mit 160 Millionen Exemplaren ist Stephen King zurzeit der meistverkaufte<br />
Schriftsteller der Welt. Sein Experiment kam überhaupt nur für einen Großautor wie<br />
ihn in Frage, einen Autor mit einer riesigen, zu jeder Ergebenheitsgeste bereiten Fangemeinde.<br />
Die Drohung, bei Nichtbezahlung nicht weiterzuschreiben, ließe das Publikum<br />
bei einem weniger bekannten <strong>und</strong> beliebten Autor völlig kalt. Selbst wenn nur die wenigen<br />
internationalen Großautoren von Kings Kaliber sich alle auf die Selbstpublikation im<br />
Internet* verlegten, wäre der Effekt mit Sicherheit nicht mehr der gleiche. Denn King<br />
pr<strong>of</strong>itierte davon, der Erste <strong>und</strong> bisher Einzige zu sein, der diesen Schritt riskiert hatte,<br />
<strong>und</strong> im Internet ohne Konkurrenz. Er gab seinen Lesern das Gefühl, sie marschierten<br />
in vorderster Front in die Zukunft <strong>und</strong> machten nebenbei auch noch ein<br />
Schnäppchen. Etliche unbekannte Autoren stellen ihre Werke seit Jahren gratis <strong>und</strong> für<br />
jedermann zugänglich auf eine eigene Homepage, in der H<strong>of</strong>fnung, eines Tages würde der<br />
Scout eines normalen Verlags zufällig vorbeikommen, sie entdecken <strong>und</strong> auf die altmodische<br />
Art zwischen zwei Buchdeckeln veröffentlichen. Ich weiß nicht, ob diese Art der<br />
Eigenwerbung auch nur ein einziges Mal Erfolg hatte – der Regelfall war sie jedenfalls<br />
nie <strong>und</strong> kann sie niemals werden.<br />
Das Internet nämlich ist ein denkbar schlechter Ort, die Aufmerksamkeit auf<br />
etwas noch nicht Bekanntes zu lenken. Es verstärkt nur eine bereits vorhandene Bekanntheit.<br />
Zurzeit soll es im Internet zweieinhalb Milliarden Webseiten geben, Tendenz<br />
steil steigend. Unbekanntes geht in dieser Menge rettungslos unter. Wenn alle Autoren der<br />
Welt sich mit allen ihren Manuskripten im Internet ausstellten, könnten sie sich genau so<br />
gut an die nächste Straßenecke stellen <strong>und</strong> den Passanten damit zuwedeln. Leser fänden<br />
sie so nie <strong>und</strong> nimmer, bestenfalls einen barmherzigen Samariter, der verspräche, bald<br />
einmal einen Blick in das Werk zu werfen. Wenn keiner den Namen des Autors <strong>und</strong> den<br />
Titel seiner Werke kennt, kann auch keine Suchmaschine irgendjemanden zu der betreffenden<br />
Seite führen. Kommt dort doch gelegentlich jemand vorbei, dann war es wahr-