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Gewaltbericht - Kurzfassung - BMWA

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1. 5. Das Verhalten der Opfer<br />

Immer wieder wird die Frage gestellt, warum Frauen<br />

sich nicht vom Misshandler trennen bzw. zu ihm<br />

zurückkehren.<br />

Zahlreiche Forschungsarbeiten verweisen in diesem<br />

Zusammenhang auf Parallelen zwischen Gewalt im<br />

familiären Bereich und Terror, Folter bzw. Geiselnahmen.<br />

Ein wichtiges Erklärungsmodell wurde aus<br />

der Analyse eines Banküberfalls entwickelt.<br />

Das Stockholmsyndrom 39<br />

Opfer von Gewalt verhalten sich ähnlich wie Geiseln<br />

– sie identifizieren sich als Überlebensstrategie mit<br />

dem Aggressor. Dies ist das Ergebnis einer psychologischen<br />

Studie, die die Auswirkungen einer Geiselnahme<br />

im Zuge eines Banküberfalls in Stockholm<br />

analysiert hat. Für dieses so genannte „Stockholmsyndrom“<br />

gelten folgende Bedingungen:<br />

Das Leben des Opfers ist bedroht.<br />

Das Opfer kann nicht entkommen oder glaubt,<br />

nicht entkommen zu können.<br />

Der Täter verhält sich gegenüber dem Opfer<br />

phasenweise freundlich.<br />

Das Opfer ist von der Umwelt isoliert.<br />

Auch Kinder misshandelter Frauen können ein<br />

Stockholmsyndrom – in Form der Identifikation mit<br />

dem gewalttätigen Vater – entwickeln, wenn sie<br />

direkt oder indirekt Gewalt und Drohungen miterleben.<br />

Frauen geraten nicht plötzlich in eine Gewaltbeziehung.<br />

Vielmehr ist dies ein längerer Prozess,<br />

der mit Liebe oder vermeintlicher Liebe beginnt.<br />

Zuneigung, Verantwortungsgefühl für die Familie und<br />

die Beziehung führen dazu, dass Frauen bei den<br />

ersten Anzeichen manifester Gewalt nicht sofort mit<br />

Trennung reagieren, sondern oft lange versuchen,<br />

die Beziehung zu verändern.<br />

Traumatic bonding<br />

Durch die vom Täter eingesetzten Strategien wird<br />

die Abhängigkeit vom Misshandler im Verlauf einer<br />

Gewaltbeziehung stärker. Die Opfer klammern sich<br />

zunehmend an die einzige Beziehung, die ihnen<br />

geblieben ist – nämlich die zum Misshandler.<br />

Dieses „traumatic bonding“ führt dazu, dass die<br />

Betroffenen zunehmend die Sichtweise des Misshandlers<br />

übernehmen und dass eigene Interessen,<br />

48<br />

Meinungen und Bedürfnisse völlig verschwinden.<br />

Manchmal ist die Gewaltausübung so massiv und<br />

umfassend (zum Beispiel durch sexuelle Gewalt),<br />

dass es dem Mann gelingt, die Frau zu brechen.<br />

Nur die (angedrohte) Gewalt an den Kindern lässt<br />

Frauen, die sich selbst schon aufgegeben haben,<br />

noch weiter kämpfen. Dauert die Misshandlung<br />

allerdings zu lange, dann schaffen Frauen es meist<br />

auch nicht mehr, ihre Kinder zu schützen. Sie geben<br />

demoralisiert auf, was Selbstmord(versuche) zur<br />

Folge haben kann.<br />

Bewältigungsstrategien (Coping strategies)<br />

Um das Überleben zu sichern und schwerere Gewalt<br />

zu verhindern, entwickeln Betroffene verschiedene<br />

Strategien, die auf eine Veränderung der Situation<br />

zielen. Es kann zwischen problem- und gefühlszentrierten<br />

Bewältigungsstrategien unterschieden<br />

werden.<br />

Problemzentrierte Strategien konzentrieren sich<br />

auf eine aktive Veränderung der äußeren Situation<br />

(z.B. Trennung), wohingegen<br />

gefühlszentrierte Strategien auf die Bewältigung<br />

im Inneren zielen.<br />

Meist werden beide Strategien gleichzeitig oder<br />

abwechselnd eingesetzt, obwohl bei starkem Machtgefälle<br />

vor allem gefühlszentrierte Bewältigungsstrategien<br />

relevant werden, da die realen<br />

Möglichkeiten, Veränderungen herbeizuführen,<br />

gering sind.<br />

Gegenwehr<br />

Aus großer Angst um ihre Unversehrtheit oder jene<br />

der Kinder wehren sich Frauen körperlich gegen den<br />

Misshandler. Doch falls er verletzt wird, riskieren sie,<br />

von ihm angezeigt zu werden. Sehr selten töten<br />

Frauen ihren Misshandler. Wie amerikanische<br />

Studienergebnisse zeigen, kann dies als Hinweis<br />

darauf gedeutet werden, dass Frauen keine<br />

wirkungsvolle Hilfe bekommen: Seit der Einrichtung<br />

von Frauenhäusern sind in den USA Morde an<br />

gewalttätigen Männern zurückgegangen – nicht aber<br />

die Morde an Frauen. 40<br />

Auswirkungen sexueller Gewalt an Frauen<br />

in der Ehe<br />

Sexuelle Gewalterfahrungen führen zu intensiven<br />

Gefühlen von Ohnmacht, Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein<br />

sowie zu Traumatisierungen. Ver-<br />

39 Vgl. Graham, D. L./ Rawlings, E. I./Rigsby, R. K.: Loving to Survive. Sexual Terror, Men’s Violence and Women’s Lives, New York<br />

and London 1994.<br />

40 Zit. nach Washington Post, März 1999.

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