Gewaltbericht - Kurzfassung - BMWA
Gewaltbericht - Kurzfassung - BMWA
Gewaltbericht - Kurzfassung - BMWA
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
4. URSACHEN UND HINTERGRÜNDE<br />
VON GEWALT AN ALTEN MENSCHEN<br />
Es lassen sich im Wesentlichen fünf Konstellationen<br />
herausarbeiten, die ein erhöhtes Risiko für Gewalt<br />
an alten Menschen darstellen:<br />
4. 1. (Wechselseitige) Abhängigkeiten<br />
zwischen Opfer und TäterIn<br />
In unserer Gesellschaft existiert nach wie vor die<br />
Erwartung, dass die Familie eine lebenslange und<br />
solidarische Form des Zusammenlebens ist. Dem<br />
steht entgegen, dass durch die zunehmende Individualisierung<br />
Abhängigkeiten mit Zwangscharakter<br />
abgelehnt werden, zumal diese zumeist für beide<br />
Seiten Kontrollverlust und Hilflosigkeit bedeuten.<br />
Diesem Spannungsfeld sind sowohl die alten<br />
Menschen als auch ihre Angehörigen ausgeliefert.<br />
Auf Grund der Umkehrung der Macht- und<br />
Abhängigkeitsverhältnisse ist eine Veränderung der<br />
bestehenden Beziehungsmuster erforderlich.<br />
Nicht selten werden dabei ungelöste Konflikte aus<br />
der Vergangenheit reaktiviert. Emotionale<br />
Beziehungen – z.B. zwischen Mutter und Tochter –<br />
werden ambivalent, weil ein Widerspruch zwischen<br />
den verinnerlichten Wertvorstellungen von Dankbarkeit<br />
und liebevoller Zuwendung und den oft<br />
dramatischen Einschränkungen in der eigenen<br />
Lebensgestaltung besteht. Im schlimmsten Fall führt<br />
diese Ambivalenz zu gewalttätigen Handlungen.<br />
Viele Spannungen haben ihren Ursprung in den<br />
Schuldgefühlen, die Angehörige empfinden. Nicht<br />
selten verstärken alte Menschen diese bereits vorhandenen<br />
Emotionen. Gewalt ausübende Menschen<br />
sind damit gleichzeitig Opfer und TäterIn.<br />
Es gibt aber auch Abhängigkeitsverhältnisse, die<br />
ihren Ursprung in außerfamiliären Konstellationen<br />
und Persönlichkeitsmerkmalen oder antisozialen<br />
Verhaltensweisen der TäterInnen haben (psychische<br />
Krankheit, andauernde Erwerbslosigkeit,<br />
Alkoholismus und Suchtgiftabhängigkeit,<br />
Spielleidenschaft, etc.).<br />
4. 2. Fehlende Distanzierungsmöglichkeit<br />
Eine signifikante strukturelle Ursache für Gewalt ist<br />
(zu) enger Kontakt, im Besonderen verursacht durch<br />
das unfreiwillige Zusammenwohnen der Generationen.<br />
Die Konfliktgefahr ist umso größer, je weniger<br />
wirksam die soziale Kontrolle und je stärker die<br />
Lebenssituation durch Stress belastet ist.<br />
73<br />
Pflegebeziehungen schränken die Möglichkeiten<br />
zum Abstandhalten sehr stark ein. Als belastend und<br />
aggressionsfördernd wird nicht die Pflegetätigkeit an<br />
sich empfunden, sondern vielmehr die Notwendigkeit,<br />
auf Abruf bereit zu stehen bzw. ständig<br />
anwesend sein zu müssen.<br />
4. 3. Soziale Isolation und unzureichende<br />
soziale Unterstützung<br />
Diese Faktoren können entweder das Resultat oder<br />
der Auslöser für Gewalt sein. Trifft ersteres zu, so<br />
führen das Fehlverhalten und die Angst, dass die<br />
Übergriffe aufgedeckt werden könnten dazu, dass<br />
sich die Familie isoliert. Die alten Menschen haben<br />
dadurch wenig Möglichkeiten, um Hilfe von außerhalb<br />
zu bitten.<br />
Umgekehrt kann mangelnde Unterstützung von<br />
außen – wichtig ist hier vor allem die soziale Unterstützung<br />
– durchaus Gewalt begünstigen.<br />
Schwierig wird es, wenn die primäre Pflegeperson<br />
überzeugt ist, die einzige zu sein, die die Pflege<br />
leisten kann. Diese Auffassung steht im Widerspruch<br />
zum berechtigten Wunsch nach Unterstützung und<br />
kann zu erheblichen Spannungen führen.<br />
4. 4. Psychische und körperliche Überforderung<br />
Physische Belastungen allein führen eher selten zu<br />
Gewalt. Es sind vielmehr die psychischen<br />
Belastungen, die als extrem und überfordernd empfunden<br />
werden.<br />
So kann es z.B. auf Grund der Persönlichkeitsveränderung<br />
des zu pflegenden Menschen zu einem<br />
fast vollständigen Zusammenbruch regulierter<br />
Beziehungen kommen. Die positive Resonanz durch<br />
den/die Gepflegte/n gibt es kaum – im Gegenteil, oft<br />
ist Aggression die Antwort auf Zuwendung. Psychische<br />
Beeinträchtigungen des alten Menschen<br />
erleichtern in bestimmter Weise seine Entpersönlichung,<br />
die Hemmschwelle zur Ausübung von<br />
Gewalt wird herabsetzt.<br />
Eine Überforderung stellt auch die Diskrepanz<br />
zwischen der Erwartung, Kontrolle über die Pflege<br />
zu behalten und der Realität der Pflegeanforderungen<br />
dar. Besonders belastend wirken Depression,<br />
Unzufriedenheit und Nörgelei des alten Menschen.<br />
Als frustrierend wird auch der Umstand erlebt, dass<br />
sich trotz intensiver Bemühungen der Zustand des<br />
alten Menschen nicht verbessert, sondern oft noch<br />
zunehmend verschlechtert. Eine besondere Gruppe<br />
sind jene Verwirrten, die phasenweise klar und kon-