2007 Dissertation_Christanell.pdf
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Durkheimschule – welcher Mauss angehörte – in ihrem Versuch, „das symbolische<br />
Denken in seiner Genese aus seiner sozialen Funktion zu erklären“, gescheitert ist. Es<br />
finden sich in den Werken von Mauss viele Ansätze, die in die Richtung einer „Theorie<br />
des Unbewussten und der Logik der symbolischen Funktion des menschlichen Geistes“<br />
(Ritter 1996, 204) weisen, wie sie später von Lévi-Strauss geschaffen wurde. Mauss hat<br />
diese jedoch nach Auslegung Ritters (1996, 204-205) nicht konsequent zu Ende gedacht<br />
bzw. – mit den Worten Lévi-Strauss’ gesprochen – hat es im Denken von Mauss einen<br />
„Engpass“ (Lévi-Strauss 1950 zitiert in Ritter 1996, 204) gegeben, den dieser nie<br />
überwunden hat 16 .<br />
Es war letztendlich der Strukturalist Lévi-Strauss, der einen Schritt weiter ging und die<br />
„menschlichen Symbolisierungsleistungen der Gesellschaft als eine nicht weiter ableitbare<br />
Gegebenheit“ vorausgesetzt hat (Ritter 1996, 205).<br />
Der britische Sozialanthropologe Edmund Leach, ein Bewunderer und zugleich Kritiker<br />
Lévi-Strauss’, hat in seinem Einführungswerk zu Lévi-Strauss die Grundannahmen des<br />
Strukturalismus, dessen Begründer und bedeutendster Denker Lévi-Strauss war, in<br />
wenigen und prägnanten Sätzen zum Ausdruck gebracht:<br />
„Worum geht es beim ‚Strukturalismus’? Der Ansatz besteht ungefähr darin: Was wir<br />
über die Außenwelt wissen, erfahren wir durch unsere Sinne. Die Eigenschaften der<br />
Phänomene, die wir wahrnehmen, beruhen auf der Wirkungsweise unserer Sinne und<br />
auf der Organisation des menschlichen Gehirns, das die Außenreize, welche ihm<br />
eingegeben werden, ordnet und interpretiert. Ein wichtiges Charakteristikum dieses<br />
Ordnungsprozesses ist der Umstand, dass wir dabei die Kontinuitäten von Raum und<br />
Zeit, die uns umgeben, in Abschnitte teilen, so dass wir prädisponiert sind, unsere<br />
räumliche Umgebung als eine riesige Ansammlung einzelner Dinge zu betrachten, die<br />
in bestimmten Klassen geordnet sind, und den Fortgang der Zeit als Folge einzelner<br />
Ereignisse zu sehen.“ (Leach 1998, 23)<br />
Nach Lévi-Strauss bleibt der menschliche Geist nicht passiv, wenn er mit technologischen<br />
und ökonomischen Voraussetzungen in der natürlichen Umwelt konfrontiert ist (Lévi-<br />
Strauss 1985, 110). Der menschliche Geist reflektiert nicht nur über diese<br />
Voraussetzungen, sondern reagiert auch auf diese und integriert sie in ein logisches<br />
System (ebd.). Diese Integration der „Produkte der Natur“ folgt einer bestimmten<br />
Ordnung, einer Zuordnung in bestimmte Klassen. Nach Lévi-Strauss spiegelt sich die Art<br />
und Weise, nach der das menschliche Bewusstsein „Produkte der Natur“ ordnet und<br />
einteilt, in der Einteilung von „Produkten der Kultur“ wieder:<br />
“Wenn wir als Menschen künstliche Dinge (Artefakte aller Art) hervorbringen,<br />
Zeremonien ersinnen und die Geschichte der Vergangenheit schreiben, dann ahmen<br />
wir entsprechend unsere Wahrnehmung der Natur nach: Die Produkte unserer Kultur<br />
sind ebenso eingeteilt und geordnet, wie wir uns die Produkte der Natur eingeteilt und<br />
geordnet vorstellen.“ (Leach 1998, 23)<br />
In verschiedenen Umwelten reagieren Menschen auf ihre jeweilige Umwelt in ihrer<br />
eigenen Art und Weise (Lévi-Strauss 1985, 110). Somit sind die Kulturprodukte, die von<br />
den Menschen hervorgebracht werden, in einem oberflächlichen Sinne betrachtet sehr<br />
vielfältig (Leach 1998, 29). Da aber alle Kulturen Produkte des menschlichen Geistes<br />
sind, ging Lévi-Strauss davon aus, dass es unter dieser Oberfläche Grundzüge geben<br />
16 Dieser „Engpass“ lässt sich vielleicht durch die starke Bindung von Mauss an das große Vermächtnis seines Onkels<br />
Durkheim und dessen Schüler, welche viele im Ersten Weltkrieg gefallen sind, erklären und durch das Zurücksetzen der<br />
eigenen Forschungsziele und -interessen, um die Werke der Verstorbenen zu vollenden und herauszugeben (siehe dazu<br />
Evans-Pritchards einfühlsame Würdigung von Marcel Mauss in „Die Gabe“ 1996, 7-12).<br />
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