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Das dynamische Paradigma in der Linguistik - Universität Bremen

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Dynam. <strong>Paradigma</strong> ______ L<strong>in</strong>guistische Anwendungen__________________<br />

langsame Prozess verläuft ziemlich kont<strong>in</strong>uierlich; allerd<strong>in</strong>gs zeigt er ke<strong>in</strong>e starken<br />

Wirkungen, solange die Situation global stabil ist.<br />

(b) Die Fluktuation im Feld muss ausreichend stark se<strong>in</strong>. Ihr Effekt kann additiv durch<br />

die Auflösungen lokaler Ordnungen (etwa durch die Urbanisierung), durch starke<br />

<strong>in</strong>nere o<strong>der</strong> äußere Migration und durch die Erschütterung des bisherigen<br />

Wertgefüges, durch die Etablierung neuer sozialer Zielvorstellungen (sozialer<br />

Aufstieg), die Zerstörung tradierter Rollenmuster (etwa bei <strong>der</strong> Berufstätigkeit <strong>der</strong><br />

Mutter) usw. ausgelöst werden. Außerdem können sich all diese Determ<strong>in</strong>anten<br />

kooperativ verstärken.<br />

Wesentlich ist jedoch, dass die <strong>dynamische</strong> Konfiguration e<strong>in</strong>erseits und die Fluktuation<br />

an<strong>der</strong>erseits <strong>in</strong> spezifischer Weise zusammentreffen. In dieser Situation gibt es dann e<strong>in</strong>en<br />

Erdrutsch, d.h. die Bewegung, die <strong>in</strong> unserem Beispiel seit dem 17. Jh. angelegt war, entlädt<br />

sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Prozess des Sprachwechsels. Diese Bewegung kann sich direkt im<br />

Sprachverhalten (situative Anpassung an die an<strong>der</strong>e Sprache) o<strong>der</strong> retardiert über die<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong>erziehung bzw. komb<strong>in</strong>iert <strong>in</strong> beiden Bereichen auswirken.<br />

B. E<strong>in</strong> differenziertes synergetisches Modell<br />

Bis jetzt wurde <strong>der</strong> Prozess re<strong>in</strong> qualitativ, d.h. grob, ohne Berücksichtigung <strong>der</strong> Vielfalt<br />

e<strong>in</strong>zelner Bewegungen, <strong>in</strong>dividueller Variationen, Bewertungen usw. betrachtet. Wenn wir<br />

uns auf die entscheidende Phase <strong>der</strong> Destabilisierung konzentrieren und dabei versuchen,<br />

Beweggründe, Randbed<strong>in</strong>gungen, auslösende Faktoren aufzuklären, wird unser qualitatives<br />

Instrumentarium <strong>in</strong>adäquat. Diese Inadäquatheit ist e<strong>in</strong>e generelle Eigenschaft, denn<br />

Fluktuationen, welche <strong>in</strong> stabilen Zuständen gedämpft werden, s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong> Phase <strong>der</strong><br />

Instabilität entscheidend; sie werden <strong>in</strong> dieser Phase extrem verstärkt, so dass kle<strong>in</strong>e Ursachen<br />

riesige Effekte haben können. Dieses Phänomen liegt <strong>der</strong> thermo<strong>dynamische</strong>n<br />

Strukturbildungstheorie von PRIGOGINE und auch HAKENs Synergetik zugrunde (vgl. Kap.<br />

2.5 und 2.6).<br />

Ich will im Folgenden e<strong>in</strong>e spezielle synergetische Modellkonzeption, die von<br />

WEIDLICH (1972) entwickelt wurde, auf unser Problem anwenden. Für technische Details<br />

muss auf HAKEN (1983) und WEIDLICH und HAAG (1983) verwiesen werden.<br />

Wir betrachten zuerst e<strong>in</strong>e homogene soziale Gruppe mit zwei möglichen Zuständen:<br />

N: Wahl des Nie<strong>der</strong>deutschen als Sprache, H: Wahl des Hochdeutschen als Sprache.<br />

Die Zahl <strong>der</strong> Personen, welche sich für Nie<strong>der</strong>deutsch entscheiden, sei nN, die Zahl<br />

<strong>der</strong>jenigen, welche das Hochdeutsche wählen, sei nH. Es gilt:<br />

(1) nN + nH = n (= Gesamtpopulation)<br />

Die relativen Anteile <strong>der</strong> beiden Sprachen an <strong>der</strong> Population s<strong>in</strong>d dann:<br />

xN = nN/n ; xH = nH/n<br />

Wir können die Dynamik <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Population als Übergänge zwischen N<br />

und H o<strong>der</strong> quantitativ als Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Stärke <strong>der</strong> jeweiligen Gruppen nN, nH<br />

beschreiben; dabei s<strong>in</strong>d die Übergangswahrsche<strong>in</strong>lichkeiten:<br />

p (N -> H): Nie<strong>der</strong>deutsch ---> Hochdeutsch<br />

p (H -> N): Hochdeutsch ---> Nie<strong>der</strong>deutsch<br />

Die speziellen Modellbildungskontexte legen es nahe, folgende Parameter e<strong>in</strong>zuführen,<br />

welche die Übergangswahrsche<strong>in</strong>lichkeit bee<strong>in</strong>flussen:<br />

(a) Individuelle Präferenzen für das Nie<strong>der</strong>deutsche (positiv) o<strong>der</strong> das Hochdeutsche<br />

(negativ): P<br />

(b) Individuelle Anpassungstendenzen an das Wahlverhalten <strong>der</strong> sozialen Umgebung: A<br />

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