Das dynamische Paradigma in der Linguistik - Universität Bremen
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Dynam. <strong>Paradigma</strong> ______ L<strong>in</strong>guistische Anwendungen__________________<br />
Was bedeutet diese zuerst nur optische Analogie jedoch für e<strong>in</strong>e Theorie <strong>der</strong> arealen und<br />
sozialen Distribution von Sprache?<br />
Wenn wir uns die Sprache extrem vere<strong>in</strong>fachend als e<strong>in</strong>e abstrakte Flüssigkeit vorstellen,<br />
die <strong>in</strong> Abhängigkeit von Randbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> Bewegung gebracht wird, so ergibt sich das<br />
Bild, das SHAW (1982) zur Exemplifizierung chaotischer Strukturen benützt hat. Die<br />
Flüssigkeit hat e<strong>in</strong>e gewisse Viskosität und e<strong>in</strong>e Rate <strong>der</strong> Energiedissipation. Im Analogon<br />
"Sprache" entspräche <strong>der</strong> Viskosität <strong>der</strong> Zusammenhang, die Strukturb<strong>in</strong>dung <strong>in</strong>nerhalb des<br />
Sprachsystems; <strong>der</strong> Energiedissipation entspräche die Ausbreitungsgeschw<strong>in</strong>digkeit von<br />
Innovationen im Sprachgebrauch. Durch die areale Begrenzung und <strong>in</strong> Abhängigkeit von <strong>der</strong><br />
Größe <strong>der</strong> Population kommt es zu raumzeitlichen Musterbildungen <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Sprachgeme<strong>in</strong>schaft. Die zufälligen Sprachverän<strong>der</strong>ungen erzeugen <strong>in</strong> Abhängigkeit von<br />
Systemb<strong>in</strong>dung und Innovationsdiffusion Verän<strong>der</strong>ungsmodi und Frequenzen <strong>der</strong><br />
Verän<strong>der</strong>ung. Die "Flüssigkeit" Sprache wird zu bestimmten Modi "angeregt"; diese Modi<br />
verteilen sich stufenweise nach <strong>der</strong> jeweiligen Dimension, man könnte <strong>in</strong> Analogie zur<br />
Phonetik auch von Formanten <strong>der</strong> Sprachverän<strong>der</strong>ung sprechen. In e<strong>in</strong>er ersten Modellbildung<br />
solcher Phänomene könnte man auf die Überlagerung verschiedener Modi, wie sie z.B. durch<br />
e<strong>in</strong>e FOURIER-Analyse aufgedeckt werden kann, zurückgreifen. Es würde sich also nur um<br />
e<strong>in</strong>e sche<strong>in</strong>bare Unordnung durch Überlagerung verschiedener Ordnungsstrukturen handeln.<br />
Es kann aber auch <strong>der</strong> Fall se<strong>in</strong>, dass bereits nach wenigen Schritten die Ordnungsstrukturen,<br />
die zuerst feststellbar s<strong>in</strong>d, also die e<strong>in</strong>fachen, globalen Modi, die z.B. durch allgeme<strong>in</strong>e<br />
Gesetze des Sprachwandels (vgl. die GRIMMschen Gesetze) und durch subsidiäre Gesetze<br />
(vgl. VERNERs Gesetz u.ä.) gegeben s<strong>in</strong>d, sehr schnell <strong>in</strong> chaotische Strukturen übergehen,<br />
so dass bereits auf niedrigerem Niveau Unordnung und Unvorhersagbarkeit e<strong>in</strong>tritt. In diesem<br />
Fall könnte e<strong>in</strong> chaotischer Attraktor vorliegen, d.h. das System wird auf Grund se<strong>in</strong>er<br />
eigenen Struktur (und nicht wegen äußerer Störungen) nach wenigen strukturerhaltenden und<br />
strukturerzeugenden Schritten unvorhersehbar. Dies bedeutet aber auch, dass die<br />
wissenschaftliche Erhellung des Systems nicht mehr durch Modelle, welche nach e<strong>in</strong>er<br />
Komposition von Modi suchen, zu erfolgen hat, son<strong>der</strong>n dass die Irregularität bereits <strong>in</strong> den<br />
Anfangsbed<strong>in</strong>gungen und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Natur des Systems begründet ist. <strong>Das</strong> Chaotische wird damit<br />
legitimer Bestandteil des Systems und ist ke<strong>in</strong>e Störung, die durch weitere Analysen zu<br />
elim<strong>in</strong>ieren wäre o<strong>der</strong> die schlichtweg ignoriert werden soll.<br />
Um zu e<strong>in</strong>em Modell <strong>der</strong> raumzeitlichen Selbstorganisation von Sprachgeme<strong>in</strong>schaften zu<br />
gelangen, müssten zuerst die Grundgesetze <strong>der</strong> arealen und sozialen Selbstorganisation von<br />
Sprache untersucht werden. Als Orientierungshilfe kann dabei die Modellbildung von<br />
ALLEN und SANGLIER (1981) dienen. Sie gehen aus von <strong>der</strong> Theorie <strong>der</strong> zentralen Orte<br />
und Städte, die CHRISTALLER (1933) entwickelt hat. Im Gegensatz zu CHRISTALLER<br />
versuchen sie, die Genese des Systems experimentell zu rekonstruieren. Dazu gehen sie von<br />
mehreren Ebenen funktionaler, wirtschaftlicher Organisation aus:<br />
- Basissektor: (Landwirtschaft und lokale Gütergew<strong>in</strong>nung). Dieser Sektor erfüllt lediglich<br />
lokale Bedürfnisse und ernährt e<strong>in</strong>e Basisbevölkerung.<br />
- Versorgungssektor: Die Population des Basissektors wird mit allgeme<strong>in</strong>en Gütern und<br />
Leistungen (z.B. handwerklicher Art) versorgt. Diese Funktionen können z.B. von<br />
Zentren aus organisiert werden.<br />
- Weitere höhere Sektoren.<br />
Die grundlegenden "logistischen" Gleichungen, die ALLAN und SANGLIER benutzen,<br />
berücksichtigen nicht nur die Geburts- und Sterberaten, son<strong>der</strong>n auch die<br />
Arbeitsmöglichkeiten, die räumliche Flexibilität <strong>der</strong> Arbeiter und die Kosten dieser<br />
Flexibilität, sowie die Distribution von Gütern und Leistungen. Auf dieser Basis kann die<br />
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