Das dynamische Paradigma in der Linguistik - Universität Bremen
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Dynam.<strong>Paradigma</strong> Idee und Programm _________________5<br />
1. EINLEITENDE BEMERKUNGEN ZU VORGESCHICHTE, IDEE UND PROGRAMM<br />
EINER "DYNAMISCHEN SPRACHTHEORIE"<br />
1.1 E<strong>in</strong>e Skizze <strong>der</strong> Vorgeschichte <strong>der</strong> "<strong>dynamische</strong>n Sprachtheorie"<br />
Die Sprachwissenschaft kann auf e<strong>in</strong>e weit zurückgreifende Problemgeschichte<br />
verweisen, und grundlegende Probleme <strong>der</strong> Sprachtheorie, z.B. die Frage, ob Sprache eher<br />
natürlich geformt sei o<strong>der</strong> lediglich konventionell sei, s<strong>in</strong>d m<strong>in</strong>destens seit dem Dialog<br />
"Kratylos" von PLATON gestellt worden. Die Grammatik, also jenes für die Sprache zentrale<br />
Regelgefüge, das jedem, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e fremde Sprache lernt, schmerzhaft zu Bewußtse<strong>in</strong> kommt,<br />
ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Antike, bei den Griechen und Römern und beson<strong>der</strong>s kunstfertig <strong>in</strong> <strong>der</strong> alt<strong>in</strong>dischen<br />
Grammatik von PANINI bereits gut ausgeprägt. Von e<strong>in</strong>er Spracherklärung kann im Falle <strong>der</strong><br />
Grammatik aber nur sehr bed<strong>in</strong>gt die Rede se<strong>in</strong>, da sie <strong>in</strong> ihrer traditionellen Form eher<br />
Sprache kodifiziert und normiert und da sie selbst e<strong>in</strong>e Sprachbeschreibung nur implizit<br />
enthält. PLATON gibt immerh<strong>in</strong> zwei Bereiche an, aus denen Sprache erklärbar ist: die Natur,<br />
wobei als H<strong>in</strong>tergrund die Naturphilosophie <strong>der</strong> Jünger des HERAKLIT und <strong>der</strong> Anhänger<br />
des PYTAGORAS anzunehmen ist, o<strong>der</strong> aber die Gesellschaft, und <strong>in</strong> <strong>der</strong> H<strong>in</strong>wendung zur<br />
Gesellschaft, zur Ethik bestand ja gerade die Wende des SOKRATES gegenüber se<strong>in</strong>en<br />
Vorgängern 1 . Zwei grundlegende Bereiche, aus denen Sprache erklärbar sei, s<strong>in</strong>d somit <strong>in</strong>s<br />
Licht gerückt: Natur und Gesellschaft, und es braucht uns nicht zu wun<strong>der</strong>n, dass die<br />
Sprachwissenschaft noch heute zwischen Naturwissenschaft und Sozialwissenschaft e<strong>in</strong>e<br />
Zwischenstellung e<strong>in</strong>nimmt, sowohl bezogen auf ihre Methoden als auch auf ihrer<br />
Theoriebildung. Der große Rahmen für konkurrierende Erklärungsansätze ist damit bereits <strong>in</strong><br />
PLATONs Kratylos umrissen.<br />
Sowohl die wissenschaftlichen Erklärungen für Naturphänomene als auch die Theorien<br />
<strong>der</strong> Gesellschaft wandelten sich systematisch im 17. Jh. und frühen 18. Jh. War GALILEI<br />
noch bestrebt, die neuen Techniken, Beobachtungen und die daraus sich ergebenden<br />
Erklärungsansätze mit <strong>der</strong> offiziellen Lehre <strong>der</strong> Kirche, die vom Schularistotelimus geprägt<br />
war, <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung zu br<strong>in</strong>gen, so wurde <strong>der</strong> Graben durch die KEPLERschen Gesetze<br />
noch tiefer. Bis <strong>in</strong>s 18. Jh. f<strong>in</strong>den wir noch vielfache Bemühungen, die Naturphilosophie mit<br />
<strong>der</strong> Theologie <strong>in</strong> E<strong>in</strong>klang zu br<strong>in</strong>gen. Im Zusammenhang mit dieser Entwicklung und<br />
wesentlich geprägt von <strong>der</strong> Fortentwicklung <strong>der</strong> Physik und <strong>der</strong> Mathematik, entstehen die<br />
Kartesianische Methode und ausgelöst durch die Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit LOCKEs<br />
Erkenntnistheorie, die Arbeiten zur Sprachphilosophie von LEIBNIZ. Wir wollen kurz auf<br />
diese beiden Autoren e<strong>in</strong>gehen, da die von ihnen entwickelten Ansätze die Theorienlandschaft<br />
<strong>in</strong> <strong>der</strong> heutigen Sprachwissenschaft nicht unwesentlich bestimmt haben. In gewisser Weise<br />
kann man sagen, dass die Bewegung, welche das 17. Jh. <strong>in</strong> die Erkenntnis- und Sprachtheorie<br />
h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gebracht hat, bis heute "nachzittert" und vielleicht überhaupt die wesentlichste<br />
Neuerung seit <strong>der</strong> Antike darstellt.<br />
DESCARTES hat zwei wichtige Entwicklungen ausgelöst, die mit se<strong>in</strong>em Dualismus<br />
Geist (Seele) – Körper (Masch<strong>in</strong>e) zusammenhängen:<br />
1 E<strong>in</strong>e kurze Historiographie <strong>dynamische</strong>r Sprach- und Weltauffassungen enthält WILDGEN (1985d):<br />
Dynamische Sprach- und Weltauffassungen (von <strong>der</strong> Antike bis zur Gegenwart). Sie ist vergriffen und wird <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er elektronischen Fassung (mit aktualisierenden Anmerkungen) auf me<strong>in</strong>er Homepage zugänglich gemacht.<br />
Die Spätrenaissance wurde <strong>in</strong> <strong>der</strong> Monographie zu Giordano Bruno „<strong>Das</strong> kosmische Gedächtnis“ (Wildgen,<br />
1998; siehe Zusatzbibliographie) detaillierter behandelt. Auch die Monographien Wildgen (1994) und (1999)<br />
enthalten jeweils e<strong>in</strong>e historiographische E<strong>in</strong>leitung. Siehe auch die neueren Publikationen des Autors <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />
Rubrik: „Geschichte <strong>der</strong> Sprachwissenschaft, Sprachphilosophie/Semiotik“ <strong>der</strong> Zusatzbibliographie.