Friedrich Nietzsche zum 100. Todestag - Gesellschaft für kritische ...
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Menschen, in der er kein Punkt der Askese<br />
und Pflichterfüllung mehr ist in der<br />
„Entwicklung einer <strong>Gesellschaft</strong> oder eines<br />
Staates oder einer Wissenschaft“, beginnen<br />
nach einem Wort von <strong>Nietzsche</strong>s<br />
Zarathustra dort, wo der „Staat“ und seine<br />
Wertskalen aufhören. (CM 1,365)<br />
<strong>Nietzsche</strong> sehr direkt: „Wo der Staat aufhört,<br />
da beginnt erst der Mensch, der nicht<br />
überflüssig ist: da beginnt erst das Lied<br />
des Notwendigen, die einmalige und unersetzliche<br />
Weise.“ (CM 4,63) Von der<br />
Tätigkeit der Philosophen, von ihrem Beharren<br />
auf sich steigernde Interpretationen<br />
des Lebens der Welt hält <strong>Nietzsche</strong> dabei<br />
große Stücke. Er schließt allerdings von<br />
dieser Art lebenssteigernder Philosophen<br />
ausdrücklich die „in ihrem Staate vergnügten<br />
Philosophieprofessoren aus“. (CM<br />
1,366) Philosoph ist <strong>für</strong> <strong>Nietzsche</strong> nur, wer<br />
merkt, „daß man ihn um sich selbst betrügen<br />
will“. (CM 1,366)<br />
Ad 2) <strong>Nietzsche</strong> der „Grüne“<br />
Die betonte Abkehr <strong>Nietzsche</strong>s vom (idealistischen)<br />
Staatsdenken des 19.Jahrhunderts<br />
ist zweifellos ein Stück Anarchismus<br />
in der Philosophie. Und dieser philosophische<br />
Anarchismus ist noch dazu<br />
„grün“ (so, wie die GRÜNEN von heute<br />
in der Politik, zur Zeit der Gründung ihrer<br />
Partei jedenfalls, ein stattliches Stück<br />
Anarchismus mitenthalten). Gibt doch<br />
<strong>Nietzsche</strong> schon in den glanzvollen deutschen<br />
Gründerjahren des Kapitalismus<br />
seiner Abscheu vor der zunehmenden Industrialisierung<br />
Ausdruck:<br />
„Hybris ist heute unsere ganze Stellung<br />
zur Natur, unsere Natur-Vergewaltigung<br />
mit Hilfe der Maschinen und der so bedenklichen<br />
Techniker- und Ingenieur-<br />
Erfindsamkeit...“ (CM 5,357/358) Gleichzeitig<br />
ist <strong>Nietzsche</strong> <strong>für</strong> „wahres, gesundes,<br />
rothes (!)“ Leben. (CM 1,370) Eine<br />
höchst aktuelle, auch naturfreundliche<br />
Mischung!<br />
Genauso abweisend äußert sich <strong>Nietzsche</strong><br />
zu den „neuen Straßen unserer Städte“: Ich<br />
„denke, wie von all diesen greulichen<br />
Häusern, welche das Geschlecht der öffentlich<br />
Meinenden sich erbaut hat, in einem<br />
Jahrhundert nichts steht und wie dann<br />
wohl auch Meinungen dieser Häuserbauer<br />
umgefallen sein mögen...“ (Bei Knodt<br />
S.48 zitiert = CM, Bd. I, S.339.) Das Zusammenstürzen<br />
dieser Bauten, wie in den<br />
Weltkriegen I und II tatsächlich geschehen,<br />
ist sicherlich folgender Auffassung<br />
<strong>Nietzsche</strong>s zuzuordnen: Solche äußerliche<br />
Bedingungen oder eben hier Nichtmehrbedingungen<br />
können die „wirkliche Befreiung“<br />
des Menschen weder verhindern<br />
noch hier allein erreichen.<br />
Tatsächlich wurde der Kapitalismus nach<br />
der Megakatastrophe des 2. Weltkriegs<br />
zwar sogar durch die CDU vorübergehend<br />
in Frage gestellt, was aber nicht <strong>für</strong> seine<br />
Beseitigung ausreichte. Was zur wirklichen<br />
Befreiung z.B. vom Kapitalismus<br />
fehlte und fehlt, ist die Verwirklichung der<br />
Eigenart der einzelnen Menschen. Diese<br />
Verwirklichung wird laut <strong>Nietzsche</strong> deshalb<br />
und so lange verwehrt, wie „der<br />
Gleichklang, der Konformitätsdruck und<br />
die Versklavung des einzelnen im Rhythmus<br />
von Meinung, Macht und Mode ...<br />
den Menschen nicht zu sich kommen, sondern<br />
<strong>zum</strong> Punkt innerhalb eines politischen<br />
Gebildes, einer Familie, einer Generation<br />
oder Wissenschaft“ werden lassen.<br />
(So Knodt selbst, S.47) „Der Mensch<br />
... folge seinem Gewissen, welches ihm<br />
zuruft: ‚Sei du selbst! Das bist du alles<br />
nicht, was du jetzt thust, meinst, begehrst.‘<br />
Aufklärung und Kritik, Sonderheft 4/2000 99