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Friedrich Nietzsche zum 100. Todestag - Gesellschaft für kritische ...

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in „Jenseits von Gut und Böse“: „Ein Volk<br />

ist der Umschweif der Natur, um zu sechs,<br />

sieben großen Männern zu kommen.“ 8<br />

Welche gesellschaftspolitischen Zielsetzungen<br />

sollten nun aber mit einer solchen<br />

Elite-Herrschaft umgesetzt werden. Hierzu<br />

äußerte sich <strong>Nietzsche</strong> nicht in systematischer<br />

Form, eine programmatische<br />

Erklärung enthält allerdings folgende Passage<br />

aus „Die fröhliche Wissenschaft“:<br />

„Wir ‚konservieren‘ nichts, wir wollen<br />

auch in keine Vergangenheit zurück, wir<br />

sind durchaus nicht ‚liberal‘, wir arbeiten<br />

nicht <strong>für</strong> den ‚Fortschritt‘, wir brauchen<br />

unser Ohr nicht erst gegen die Zukunfts-<br />

Sirenen des Marktes zu verstopfen – das,<br />

was sie singen, ‚gleiche Rechte‘, ‚freie<br />

<strong>Gesellschaft</strong>‘, ‚keine Herren mehr und<br />

keine Knechte‘, das lockt uns nicht! – wir<br />

halten es schlechterdings nicht <strong>für</strong> wünschenswert,<br />

daß das Reich der Gerechtigkeit<br />

und Eintracht auf Erden gegründet<br />

werde (...), wir freuen uns an allen, die<br />

gleich uns die Gefahr, den Krieg, das<br />

Abenteuer lieben, die sich nicht abfinden,<br />

einfangen, versöhnen und verschneiden<br />

lassen, wir rechnen uns selbst unter die<br />

Eroberer, wir denken über die Notwendigkeit<br />

neuer Ordnungen nach, auch einer<br />

neuen Sklaverei – denn zu jeder Verstärkung<br />

und Erhöhung des Typus<br />

‚Mensch‘ gehört auch eine neue Art Versklavung<br />

hinzu – nicht wahr?“ 9 Auch<br />

wenn hier kein positives Programm im<br />

engeren Sinne in Gestalt einer eigenen<br />

Zielsetzung vorgetragen wird, veranschaulichen<br />

doch <strong>zum</strong>indest die ablehnend-negativen<br />

Äußerungen eine Richtung und<br />

zwar gegen die individuelle Freiheit und<br />

rechtliche Gleichstellung der Menschen.<br />

Die einzige konkrete Forderung <strong>für</strong> eine<br />

Alternative ist die nach einer neuen Sklaverei.<br />

Auch wer denn nun die Angehörigen der<br />

neuen herrschenden Elite sein sollen, läßt<br />

<strong>Nietzsche</strong> offen. In den Fabrikanten und<br />

Großunternehmern erblickte er sie jedenfalls<br />

nicht, fehlten diesen doch, so die<br />

Begründung in „Die fröhliche Wissenschaft“,<br />

bisher „allzusehr alle jene Formen<br />

und Abzeichen der höheren Rasse, welche<br />

erst die Personen interessant werden<br />

lassen; hätten sie die Vornehmheit des<br />

Geburts-Adels im Blick und in der Gebärde,<br />

so gäbe es vielleicht keinen Sozialismus<br />

der Massen.“ 10 Lediglich in „Jenseits<br />

von Gut und Böse“ findet sich verknüpft<br />

mit einer antidemokratischen Anspielung<br />

eine allgemeine Beschreibung dieser kommenden<br />

Elite: „Dem Menschen die Zukunft<br />

des Menschen als seinen Willen, als<br />

abhängig von einem Menschenwillen zu<br />

lehren und große Wagnisse und Gesamt-<br />

Versuche von Zucht und Züchtung vorzubereiten,<br />

um damit jener schauerlichen<br />

Herrschaft des Unsinns und Zufalls, die<br />

bisher ‚Geschichte‘ hieß, ein Ende zu<br />

machen – der Unsinn der ‚größten Zahl‘<br />

ist nur seine letzte Form -: dazu wird irgendwann<br />

einmal eine neue Art von Philosophen<br />

und Befehlshabern nötig sein, an<br />

deren Bilde sich alles, was auf Erden verborgenen,<br />

furchtbaren und wohlwollenden<br />

Geistern dagewesen ist, blaß und verzwergt<br />

ausnehmen möchte.“ 11<br />

Diese kommende Elite sollte aber – und<br />

hier wird es wieder konkret – die Option<br />

zur Vernichtung Anderer und Minderwertiger<br />

haben, heißt es doch in „Ecce<br />

Homo“: „Jene neue Partei des Lebens,<br />

welche die größte aller Aufgaben, die<br />

Höherzüchtung der Menschheit in die<br />

Hände nimmt, eingerechnet die schonungslose<br />

Vernichtung aller Entartenden<br />

und Parasitischen, wird jenes Zuviel von<br />

Leben auf Erden wieder möglich machen,<br />

16 Aufklärung und Kritik, Sonderheft 4/2000

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