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Friedrich Nietzsche zum 100. Todestag - Gesellschaft für kritische ...

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ungefähr so lautet: möglichst viel Erkenntniss<br />

und Bildung, daher möglichst<br />

viel Bedürfniss, daher möglichst viel<br />

Produktion, daher möglichst viel Gewinn<br />

und Glück – so klingt die verführerische<br />

Formel. Bildung würde von den<br />

Anhängern derselben als die Einsicht<br />

definirt werden, mit der man, in Bedürfnissen<br />

und deren Befriedigung, durch<br />

und durch zeitgemäss wird, mit der man<br />

aber zugleich am besten über alle Mittel<br />

und Wege gebietet, um so leicht wie<br />

möglich Geld zu gewinnen. Möglichst<br />

viele courante Menschen zu bilden, in<br />

der Art dessen, was man an einer Münze<br />

courant nennt, das wäre also das Ziel;<br />

und ein Volk wird, nach dieser Auffassung,<br />

um so glücklicher sein, je mehr<br />

es solche courante Menschen besitzt.<br />

Deshalb soll es durchaus die Absicht der<br />

modernen Bildungsanstalten sein, Jeden<br />

soweit zu fördern als es in seiner Natur<br />

liegt, courant zu werden, Jeden dermaassen<br />

auszubilden, dass er von dem<br />

ihm eigenen Grade von Erkenntniss und<br />

Wissen das grösstmögliche Maass von<br />

Glück und Gewinn habe. Der Einzelne<br />

müsse, so fordert man hier, durch die<br />

Hülfe einer solchen allgemeinen Bildung<br />

sich selber genau taxiren können,<br />

um zu wissen, was er vom Leben zu<br />

fordern habe; und zuletzt wird behauptet,<br />

dass ein natürlicher und nothwendiger<br />

Bund von ‘Intelligenz und Besitz’,<br />

von ‘Reichthum und Kultur’ bestehe,<br />

noch mehr, dass dieser Bund eine sittliche<br />

Nothwendigkeit sei. Jede Bildung<br />

ist hier verhasst, die einsam macht, die<br />

über Geld und Erwerb hinaus Ziele<br />

steckt, die viel Zeit verbraucht; man<br />

pflegt wohl solche ernstere Arten der<br />

Bildung als ‘feineren Egoismus’, als<br />

‘unsittlichen Bildungs- Epikureismus’<br />

zu verunglimpfen. Freilich, nach der<br />

hier geltenden Sittlichkeit steht gerade<br />

das Umgekehrte im Preise, nämlich eine<br />

rasche Bildung, um bald ein geldverdienendes<br />

Wesen zu werden, und doch<br />

eine so gründliche Bildung, um ein sehr<br />

viel Geld verdienendes Wesen werden<br />

zu können. Dem Menschen wird nur soviel<br />

Kultur gestattet, als im Interesse des<br />

allgemeinen Erwerbs und des Weltverkehrs<br />

ist, aber soviel wird auch von ihm<br />

gefordert. Kurz: ‘der Mensch hat einen<br />

nothwendigen Anspruch auf Erdenglück,<br />

darum ist die Bildung nothwendig,<br />

aber auch nur darum!’<br />

Da ist zweitens die Selbstsucht des Staates,<br />

welcher ebenfalls nach möglichster<br />

Ausbreitung und Verallgemeinerung der<br />

Kultur begehrt und die wirksamsten<br />

Werkzeuge in den Händen hat, um seine<br />

Wünsche zu befriedigen. ... Überall,<br />

wo man jetzt vom ‘Kulturstaat’ redet,<br />

sieht man ihm die Aufgabe gestellt, die<br />

geistigen Kräfte einer Generation so weit<br />

zu entbinden, dass sie damit den bestehenden<br />

Institutionen dienen und nützen<br />

können: aber auch nur soweit; wie ein<br />

Waldbach durch Dämme und auf Gerüsten<br />

theilweise abgeleitet wird, um mit<br />

der kleinern Kraft Mühlen zu treiben –<br />

während seine volle Kraft der Mühle<br />

eher gefährlich als nützlich wäre. Jenes<br />

Entbinden ist zugleich und noch viel<br />

mehr ein in Fesseln Schlagen. Man bringe<br />

sich nur in’s Gedächtniss, was allmählich<br />

aus dem Christenthum unter der<br />

Selbstsucht des Staates geworden ist.<br />

Das Christenthum ist gewiss eine der<br />

reinsten Offenbarungen jenes Dranges<br />

nach Kultur und gerade nach der immer<br />

erneuten Erzeugung des Heiligen 22 ;<br />

da es aber hundertfältig benutzt wurde,<br />

um die Mühlen der staatlichen Gewal-<br />

Aufklärung und Kritik, Sonderheft 4/2000 117

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