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Friedrich Nietzsche zum 100. Todestag - Gesellschaft für kritische ...

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mangelhaften Vermögens in Hinblick auf<br />

Harmonielehre und Kontrapunktik und<br />

insbesondere auch der Unfähigkeit bewußt,<br />

mit seiner von der Stimmung getragenen<br />

Improvisationstechnik große musikalische<br />

Bögen zu überspannen. Hier<br />

helfen daher auch Verweise auf den die<br />

Chromatik revolutionierenden Liszt – bei<br />

dem sich bereits Wagner reichlich „bedient“<br />

hatte – oder vorwärtsgreifend auf<br />

Mahler nicht, denen weder diese kompositionstechnischen<br />

Fehler unterlaufen, und<br />

die im Gegensatz zu <strong>Nietzsche</strong> die große<br />

Form beherrschen. Im übrigen meine ich,<br />

daß selbst <strong>für</strong> einen Laien, wenn er einigermaßen<br />

mit der Musik des 18. und 19.<br />

Jahrhunderts vertraut ist, einige der von<br />

Bülow angemahnten Regelverstöße durchaus<br />

heraushörbar sind.<br />

Der Musikwissenschaftler Janz, der neben<br />

der Biografie auch den musikalischen<br />

Nachlaß <strong>Nietzsche</strong>s gesammelt und 1975<br />

herausgegeben hat, urteilt über <strong>Nietzsche</strong>s<br />

Kompositionen 20 :<br />

Es wäre natürlich verfehlt, eine »Ehrenrettung«<br />

<strong>Nietzsche</strong>s als Komponist<br />

anzustreben, dennoch darf festgehalten<br />

werden, daß es trotz gewisser, manchmal<br />

recht störender kompositionstechnischer<br />

Mängel ernstgemeinte und<br />

ernstzunehmende Werke sind, die weitab<br />

von einer bloßen spielerischen Liebhaberei<br />

liegen. <strong>Nietzsche</strong> bedient sich<br />

der Musik genau wie der Sprache: zur<br />

Bewältigung und Übermittlung geistiger<br />

und seelischer Gehalte, sie ist ihm<br />

Mittel der Kommunikation, und dabei<br />

gelingen ihm einige sogar sehr ansprechende<br />

Stücke. Die kompositionstechnischen<br />

Mängel sind die bedauerlichen<br />

Reste eines nicht systematisch durchgeführten<br />

autodidaktischen Studiums.<br />

Daß man es auch in der Musik bei zähem<br />

Fleiß mit autodidaktischem Lehrgang<br />

zu etwas bringen kann, haben seine<br />

ungefähr zeitgenössischen russischen,<br />

im sogenannten »Petersburger<br />

mächtigen Häuflein« zusammengeschlossenen<br />

Komponisten ... bewiesen.<br />

Und <strong>Nietzsche</strong> bewies es <strong>für</strong> das Gebiet<br />

der Philosophie, in der er ebenfalls<br />

Autodidakt war. Daß er dabei als Philosoph<br />

die ungleich größere Potenz darstellt<br />

denn als Musiker, bleibt natürlich<br />

außer Frage. Er hat aber auch in der<br />

Musik an Tiefe und Prägnanz des Ausdrucks<br />

dennoch manchen seiner »zünftigen«<br />

musikalischen Zeitgenossen<br />

mindestens erreicht, wobei es ein<br />

schwacher Trost bleibt, daß auch diese<br />

als zu wenig bedeutend neben einem<br />

Brahms und Schumann unserem Bewußtsein<br />

entschwunden sind.<br />

Jenseits ihrer Mängel sind die Kompositionen<br />

und Kompositionsversuche<br />

<strong>Nietzsche</strong>s aber von besonderem und<br />

hohem Wert <strong>für</strong> die Erhellung seines<br />

Grundwesens, das sich wirklich wie er<br />

es im Brief sagt – offenbart, und zwar<br />

in seinen einzelnen Facetten. ...<br />

Schon C. A. Bernoulli hat nachdrücklich<br />

auf den lyrischen Grundzug im<br />

philosophischen Werk <strong>Nietzsche</strong>s hingewiesen,<br />

noch ohne den kräftigsten<br />

Beweis, die lyrischen Kompositionen,<br />

zur Hand zu haben. Nach längerer Pause<br />

greift <strong>Nietzsche</strong> wieder die Großform<br />

der mehrteiligen Fantasie auf unter dem<br />

Obergedanken »Freundschaft«. Die<br />

Musik gerät ihm hier ebenso ins Pathetische<br />

wie seine Freundesbriefe, die<br />

Fantasien werden formlos, ja unförmig.<br />

<strong>Nietzsche</strong> scheitert in den »Freundschafts«-Kompositionen<br />

(Monodie,<br />

60 Aufklärung und Kritik, Sonderheft 4/2000

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