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Friedrich Nietzsche zum 100. Todestag - Gesellschaft für kritische ...

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fehl und nicht die Vereinbarung stand im<br />

Zentrum seines politischen Denkens. So<br />

heißt es denn auch in „Also sprach Zarathustra“:<br />

„Die Menschen-<strong>Gesellschaft</strong>, die<br />

ist ein Versuch, so lehre ich‘s – ein langes<br />

Suchen: sie sucht aber den Befehlenden!<br />

– ein Versuch, o meine Brüder! Und kein<br />

‚Vertrag‘! Zerbrecht, zerbrecht mir solch<br />

Wort der Weich-Herzen und Halb- und<br />

Halben!“ 16 Von daher verstörte den Philosophen<br />

auch insbesondere die Schutzfunktion<br />

des Staates, der Bürgern gleiche<br />

Rechte gewährt und diese ohne gesellschaftlichen<br />

Kampf <strong>für</strong> sie über sein Gewaltmonopol<br />

durchsetzt. In „Zur Genealogie<br />

der Moral“ heißt es dazu: „Eine<br />

Rechtsordnung souverän und allgemein<br />

gedacht, nicht als Mittel im Kampf von<br />

Macht-Komplexen, sondern als Mittel<br />

gegen allen Kampf überhaupt, etwa gemäß<br />

der Kommunisten-Schablone Dührings,<br />

daß jeder Wille jeden Willen als<br />

gleich zu nehmen habe, wäre ein lebensfeindliches<br />

Prinzip, eine Zerstörerin und<br />

Auflöserin des Menschen, ein Attentat auf<br />

die Zukunft des Menschen, ein Zeichen<br />

von Ermüdung, ein Schleichweg <strong>zum</strong><br />

Nichts.“ 17<br />

Angesichts der Fixierung auf die Herrschaft<br />

als Ausdruck von Macht lehnte<br />

<strong>Nietzsche</strong> auch die Notwendigkeit einer<br />

Legitimation von Macht ab. In „Jenseits<br />

von Gut und Böse“ beklagte er <strong>für</strong> das<br />

Europa seiner Zeit das Fehlen von Befehlshabern<br />

und Unabhängigen oder konstatierte<br />

deren notwendige „moralische Heuchelei“:<br />

„Sie wissen sich nicht anders von<br />

ihrem schlechten Gewisssen zu schützen<br />

als dadurch, daß sie sich als Ausführer<br />

älterer oder höherer Befehle gebärden (der<br />

Vorfahren, der Verfassung, des Rechts, der<br />

Gesetze oder Gottes) oder selbst von der<br />

Herden-Denkweise her sich Herden-Maximen<br />

borgen, <strong>zum</strong> Beispiel als ‚erste Diener<br />

ihres Volks‘ oder als ‚Werkzeug des<br />

gemeinen Wohls.“ 18 <strong>Nietzsche</strong> kritisiert<br />

hier nicht primär die als Phänomen nicht<br />

zu leugnende ideologische Rechtfertigung<br />

von Herrschaft im manipulativen Sinne,<br />

sondern die in seinem Denken nicht vorgesehene<br />

Notwendigkeit der Legitimation<br />

von Herrschaft überhaupt. Sie sollte <strong>für</strong><br />

den Philosophen absolut sein und nur dann<br />

rechtfertigte sich <strong>für</strong> ihn der Staat: „Die<br />

Aufrechterhaltung des Militär-Staates“, so<br />

<strong>Nietzsche</strong> im Nachlaß aus den achtziger<br />

Jahren, ist das allerletzte Mittel, die große<br />

Tradition sei es aufzunehmen, sei es<br />

festzuhalten hinsichtlich des obersten Typus<br />

Mensch, des starken Typus. und alle<br />

Begriffe, die die Feindschaft und Rangdistanz<br />

der Staaten verewigen, dürfen daraufhin<br />

sanktioniert erscheinen (z.B. Nationalismus,<br />

Schutzzoll).“ 19<br />

Die im oben dargestellten Sinne vorgetragene<br />

Ablehnung des Staates steht keineswegs<br />

grundsätzlich im Widerspruch zur<br />

Ideologie und Praxis des Nationalsozialismus.<br />

Zwar erhob Hitlers Macht bereits<br />

früh einen absoluten und totalitären Anspruch,<br />

gerade dadurch wurden aber auch<br />

zentrale Funktionen des Staates als Regelwerk<br />

außer Kraft gesetzt. In den Kategorien<br />

von Max Weber 20 gesprochen löste<br />

die personenbezogene charismatische<br />

Herrschaftsform die unpersönliche bürokratische<br />

Herrschaftspraxis ab und führte<br />

längerfristig <strong>zum</strong> Zerfall und zur Zerstörung<br />

geregelter Formen der Ausübung von<br />

Politik und damit auch der Institution des<br />

Staates im modernen Sinne. Von daher<br />

sprachen auch schon frühe Interpretationen<br />

des Nationalsozialismus von einem<br />

„Unstaat“, von einer Herrschaft der Gesetzlosigkeit,<br />

welche die Rechte wie die<br />

Würde des Menschen „verschlungen“ hat.<br />

18 Aufklärung und Kritik, Sonderheft 4/2000

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