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Friedrich Nietzsche zum 100. Todestag - Gesellschaft für kritische ...

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zeichnete Land heute klassisch – das Genie<br />

des Geldes und der Geduld (und vor<br />

allem etwas Geist und Geistigkeit, woran<br />

es reichlich an der bezeichneten Stelle fehlt<br />

– hinzutun, hinzuzüchten ließe.“ 35 Dem<br />

Philosophen schwebte somit eine Mischung<br />

von Deutschen und Juden vor,<br />

welche zwar dem politischen Denken in<br />

ethnischen Kategorien verhaftet blieb, aber<br />

nicht von einer antisemitischen Grundauffassung<br />

zeugt.<br />

Bestätigt wird diese Einschätzung auch<br />

durch die ablehnenden Aussagen <strong>Nietzsche</strong>s<br />

zu den politischen Anhängern solcher<br />

Ansichten. Neben privaten Stellungnahmen<br />

finden sich solche auch in einem<br />

kurzen Nebensatz in „Jenseits von Gut und<br />

Böse“, wo er meint, es sei vielleicht billig<br />

und nützlich, „die antisemitischen Schreihälse<br />

des Landes zu verweisen“ 36 . Auch<br />

den Bruch mit Richard Wagner führte der<br />

Philosoph in „<strong>Nietzsche</strong> contra Wagner“<br />

neben dessen Annäherung an den christlichen<br />

Glauben auf seine Hinwendung<br />

„<strong>zum</strong> Antisemitismus“ 37 zurück. Diese<br />

Ablehnung ergab sich bei <strong>Nietzsche</strong> – wie<br />

die vorstehenden Zitate gezeigt haben –<br />

nicht nur aufgrund des pöbelhaften<br />

Agierens der politischen Vertreter des<br />

Antisemitismus, was auch akademisch<br />

gebildete Antisemiten wie den Historiker<br />

Heinrich von Treitschke abschreckte. Somit<br />

nahm der Philosoph gegenüber den<br />

Juden eine aus heutiger Sicht verwunderliche<br />

Position ein: So sehr er die jüdische<br />

Religion ablehnte und verachtete, so sehr<br />

schätzte er doch die Juden als starke und<br />

zähe Gruppe. Ablehnung wie Zustimmung<br />

hatten jeweils etwas mit der Einstellung<br />

<strong>zum</strong> Leben und zur Natur in seinem<br />

Sinne zu tun.<br />

Schlußwort<br />

Abschließend zurück zur Ausgangsfrage.<br />

Kann <strong>Nietzsche</strong>s „Der Antichrist“ als eine<br />

programammatische Schrift des Atheismus<br />

angesehen werden? Ein erster Schritt<br />

zur Antwort bezieht sich auf das diesbezügliche<br />

Selbstverständnis des Philosophen.<br />

Während er sich einerseits abwertend<br />

gegenüber atheistischen Strömungen<br />

äußerte, wo<strong>für</strong> das einleitend erwähnte<br />

Zitat steht, bekannte er sich andererseits<br />

<strong>zum</strong> Atheismus, ergab er sich doch <strong>für</strong><br />

<strong>Nietzsche</strong> aus „Instinkt“ 38 . Hier zeigt sich<br />

somit wie bei vielen anderen Themen in<br />

<strong>Nietzsche</strong>s Werk, wozu etwa auch die Einstellung<br />

zur Vernunft gehört, eine unklare<br />

bis widersprüchliche Formulierung von<br />

Positionen. Bemerkenswert an der Herleitung<br />

des Atheismus aus dem Instinkt ist<br />

außerdem, daß der Philosoph ihn nicht<br />

systematisch und theoretisch entwickelte.<br />

Begriffe und Positionen behauptete er<br />

ohne Begründung; Kritikwürdiges und<br />

Verwerfliches entlarvte er ohne Herleitung.<br />

<strong>Nietzsche</strong>s mit apodiktischen Setzung<br />

vorgetragenes atheistisches Selbstverständnis<br />

erscheint als Voraussetzung<br />

und Vorurteil ohne nähere inhaltliche Entwicklung<br />

und theoretische Stringenz.<br />

Spiegelbildlich dazu fehlt es in seinem<br />

Werk auch an einer systematischen Betrachtung<br />

von Religion. Zwar findet sich<br />

bei <strong>Nietzsche</strong> am Rande der Hinweis,<br />

Religion sei ein Ausdruck von „Entselbstung,<br />

von Selbst-Entfremdung“ 39 Aber<br />

diese an die Kritik des Christentums durch<br />

Ludwig Feuerbach erinnernde Deutung<br />

nimmt keinen herausgehobenen Stellenwert<br />

in dem Werk ein. Nicht die Religion<br />

als ein soziales Phänomen an sich stand<br />

im Mittelpunkt von <strong>Nietzsche</strong>s philosophischen<br />

Reflexionen. Er kritisierte und<br />

verwarf das Christentum nicht als Religi-<br />

Aufklärung und Kritik, Sonderheft 4/2000 49

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